Unsere Autorin Malin hat sich gemäß dem Motto „Drama,Baby“ die Theatertexte der Gegenwart und Festivalszene in Deutschland angeschaut. Welche Trends es dabei gibt und was an den Preisverleihungen so wichtig für die Zukunft ist, präsentiert sie in einer Zusammenstellung der wichtigsten deutschsprachigen Preise für Gegenwartsdramatiker*innen und -texte. Folge 8: Festivalzeit

Während draußen die Sonne scheint, wird in den Theatern unter Hochdruck gearbeitet. Die große Sommerpause steht bevor, neue Spielpläne werden geschmiedet und Saisons geplant. Das Beste des vergangenen Jahres – ob Musik, Kunst oder Theater – lässt sich jetzt Revue passieren lassen.  Sommer ist Festivalzeit – das gilt nicht nur für Techno, sondern auch für den Theaterbetrieb. Während das Berliner Theatertreffen langsam in die letzten Vorbereitungen geht und der Heidelberger Stückemarkt eröffnet wird, starten die Mühlheimer Theatertage in ihre 47. Runde. Der deutschen Gegenwartsdramatik wird so auf unterschiedlichste Art und Weise Tribut gezollt, wenn auch gleich die wichtigste Frage dieses Feldes noch unbeantwortet im Raum steht: Wie wird es weiter gehen?

Pandemie, sinkende Gehälter, starre Verträge – die Lage ist nicht allzu rosig, um noch Theaterstücke zu schreiben und davon leben zu können. Aber dennoch gibt es Autor*innen, die diesen Versuch wagen, ihre Geschichten erzählen, auf Missstände aufmerksam machen und die Theaterbühne für das nutzen, was sie so gut kann: das Politische. Neben Brecht, Müller und Weiss gibt es jetzt neue Stimmen, die die Bühne politisieren und mit ihren Texten vor allem popularisieren. Neben Elfriede Jelinek, die in Mülheim mit ihrem Text Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen? aufgrund sich auffällig häufender Nominierungen nicht mehr eingeladen worden wäre, stehen jetzt Autor*innen wie Helgard Haug und Sivan Ben Yishai, die das Feld der Gegenwartsdramatik im Wesentlichen beeinflussen. Das Luxus-Problem dieses Überflusses an Erfolg können dabei aber die wenigsten Autor*innen aufweisen, die mit ihren Texten über das Jahr hinweg latent sinkende Aufmerksamkeit bekommen. Genau diesem negativen Trend versuchen die Festivals auf unterschiedlichste Art entgegenzuwirken. Zur Ehrung gehört deshalb nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein künstlerisches Kapital, durch das die Zukunft des Theaters profitieren soll. Indem die Gegenwartsdramatik – und das heißt vor allem die Autor*innen – ausgezeichnet werden, werden auch die individuellen Perspektiven ebendieses Bereiches und Personen gesichert und erweitert.

Wird in Heidelberg die Avantgarde der Theaterszene zusammengerufen – was auch immer das bedeuten mag – finden sich beim FIND Festival an der Schaubühne in Berlin vor allem die Stücke zusammen, die Stellung beziehen zu Rassismus, Gewalt und ihren Diskursen. Neben Hausautor*innen, wie Maja Zade mit ihrem Stück reden über sex, steht dann der Autor Édouard Louis buchstäblich mit seinem eigenen Text auf der Bühne und performt in der hinreißend spielerischen Ernsthaftigkeit eines heranwachsenden Kindes die politischen Dimensionen von Massenarbeitslosigkeit und Armut einer französischen Provinz.

Neben dem Rimini-Protokoll, das mit seiner eindrücklichen Inszenierung All right. Good night., die das Verschwinden des Flugzeugs MH370 in Malaysia mit einer fortschreitenden Demenzerkrankung im Familienumfeld ins Verhältnis setzt, in Mülheim nominiert ist, reist das DIEZEN Kollektiv mit dem Stück Hascherl, das sich mit einem unerfüllten Kinderwunsch auseinandersetzt, nach Heidelberg. Die Festivals werben mit einer nie dagewesenen Diversität ihrer Autor*innen und Stücke, die unlängst ein Standard geworden sein sollte, aber sich trotzdem nur schleppend entwickelt. Besonders sticht heraus, dass die Mehrzahl der teilnehmenden Autor*innen Frauen sind, was das DIEZEN Kollektiv mit seinem weiblichen Blick auf das Theater unterstreicht.  Sinnbildlich klingt das wie in der Lesung von Paula Thielecke beim Stückemarkt, die mit Judith Shakespeare – Rape and Revenge der jüngeren Schwester von William Shakespeare Stimme und Geschichte gibt. Den bis vor wenigen Ausgaben von männlichen Autoren dominierten Ferstivals wird damit der Spiegel vorgehalten und geben eine Richtung vor, in die sich die Gegenwartsdramatik im Kampf gegen vor allem patriarchale Strukturen und Machtverhältnisse begibt.

Neben den Inszenierungen gibt es bei eigentlich allen Festivals vor allem eins: Gesprächsstoff. Ob in Form einer organisierten Diskussionsrunde, die sich auch mit dem Blick in die Zukunft der Gegenwartsdramatik beschäftigen, oder beim Bier danach, das auch zum Festivalsommer dazugehört.


Foto: Jeremy Bezanger