Das Gezwitscher der Vögel, die blassen Sonnenstrahlen, die das Zimmer durchfluten, ein leises Stöhnen beim Aufwachen und langsam löst die Realität des Morgens die verträumte Nacht ab. Endlich beginnt ein Tag voller Hoffnung und Tatendrang!

Der Morgen fängt oft schon am Abend an. Mit einer perfekt durchgetakteten ‚Night-Time-Routine‘, die – das erklärt sich von selbst – aus einer entspannenden Yoga-Session, dem Auftragen von diversen Haut-, Augen- und Gesichtslotionen, dem Schlürfen eines Lavendel-Baldrian-Haferkraut-Tees und der einstündigen Lektüre irgendeines Murakami-Buchs besteht, wird der regenerierendste Achtstundenschlaf eingeläutet, den es geben kann. Das ist das Geheimnis eines stressfreien, aber auch und vor allem produktiven, effizienten und konstruktiven, vielleicht sogar kreativen Morgens. Geheimzutat: AcHtSaMkEiT!

Ja, schön wär’s.

Eher sieht es nämlich so aus, dass versucht wird den Zwiebelgeschmack im Mund durch eine zwanzigminütige Zahnputz Session verschwinden zu lassen und beim Anblick des Badezimmerbodens kommen dann nicht gerade Glücksgefühle hoch. Vor einer Stunde sind mir die Augen bei jedem Atemzug schon zugefallen und jetzt bin ich wieder hellwach. Also wird noch auf ein paar Nachrichten geantwortet, und oh diese E-Mail erinnert mich jetzt netterweise an das Ende der Leihfrist der Bücher, die sich auf dem Boden neben dem Schreibtisch stapeln – dabei ist die Hausarbeit noch gar nicht fertig. Mit diesen ganzen Gedanken werd’ ich jetzt sowieso nicht gleich einschlafen können, dann brauch ich eben noch was zum Hören, vielleicht irgendeinen Podcast, aber welchen? Ich scrolle und suche. Das mit dem Bildschirm-Blaulicht-Verbot vor dem Einschlafen ist jetzt eh gelaufen. Und dann, kurz vor dem Einschlafen fällt mir ein, dass der Wecker noch gestellt werden muss. Jetzt wird erstmal gezählt wie viele Stunden diese Nacht geschlafen werden darf. Jeden einzelnen Klingelton gehe ich durch, entweder zu schrill, zu leise, zu laut, oder einfach nervig. Hätte ich doch schon längst eine neue Batterie für den schicken analogen Wecker gekauft: Dann müsste ich das nicht immer am Handy machen.

Montagmorgen. Der Handywecker klingelt. Sechs Mal wird auf snooze gedrückt. Bei jedem erneuten Aufwachen denke ich dann, wie müde ich doch bin. Und dann irgendwann packt mich die Scham, noch nicht zeitungslesend und blusetragend am Frühstückstisch Porridge zu essen. Es muss jetzt alles hektisch passieren, schließlich sind alle anderen bestimmt schon total produktiv bei der Arbeit.

Aber du hast keine Zeit für aChTsAmE Produktivität, denn du bist eine chaotische Studentin, du versuchst dich in dieser Welt und Zeit zurecht zu finden, dem zu entsprechen, was von dir erwartet wird und du merkst, dass nun noch etwas auf deine To-Do-Liste gekommen ist: Wie emanzipiere ich mich denn jetzt von diesem in unserer leistungsorientierten Gesellschaft antrainierten Produktivitäts Wahn??!!!11


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #259 zum Thema „Erwartungen“ im Februar 2022 erschienen. 

Illustration: Céline Bengi Bolkan