Bildung wird zunehmend zur Ware. Kein Wunder, denn der Markt bietet große Wachstumschancen. Doch oft geht dieser Gewinn zu Lasten der unterbezahlten Nachhilfekräfte- wie auch in meinem Fall.
Im Verteiler meiner alten Uni entdeckte ich die Ausschreibung eines Start-Ups mit Sitz in Augsburg, das sich auf Online-Nachhilfe und Lerncoaching spezialisiert hat. Mir sagten die flexiblen Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit zu, erste Erfahrungen im pädagogischen Coaching zu machen. Aber – um ehrlich zu sein – ich war vor allem auf das Geld angewiesen. Denn Berlin ist teuer und mein Auslandssemester könnte noch teurer werden. Gesagt, getan: Ich bewarb mich auf die Stelle und wurde direkt zum ersten Vorstellungsgespräch eingeladen. Überzeugt hatten meine Fremdsprachenkenntnisse. Doch auch wie beim Dating fielen mir die Warnzeichen erst im Nachhinein auf. Ich war erstmal geblendet von den attraktiven Arbeitsbedingungen. Damit euch das nicht passiert, folgen vier Red Flags.
Red Flag #1: Das gefährliche ‘Du’
In typischer Start-Up Manier verlief das Vorstellungsgespräch überraschend informell. Vor mir stand ein gelernter Pädagoge, der mir direkt das Du anbot und mitten im Gespräch anfing, mit mir über das Studium und bekannte Reformpädagog*innen und Erziehungswissenschaftler*innen zu plaudern. Ich war irritiert darüber, dass ich nicht über meine Qualifikationen befragt wurde und gleichzeitig dankbar, dass sich eine Konversation auf Augenhöhe zu entwickeln schien. Also heuchelte ich Interesse am Gesprächsthema vor und ließ mich darauf ein. Was ich nicht wusste, war, dass sich in das Gespräch viele typische Start-Up Parolen einschlichen, die mir das Gefühl eines Unternehmens geben sollten, das sozial und am Allgemeinwohl orientiert sei. Wie zum Beispiel der Satz „Wir sind nicht auf Wachstum ausgerichtet”, was im Zusammenhang mit der Selbstbeschreibung des Unternehmens fiel. Meine Alarmglocken hätten schon läuten sollen, als ich merkte, dass ich nicht an einem qualitätsorientierten Auswahlverfahren teilnahm. Und dass mein Arbeitgeber versuchte, die Distanz zwischen uns zu verringern, indem er mit dem Duzen ein vermeintliches ‘Wir-Gefühl’ zu schaffen versuchte. Das ‘Du’ sollte verschleiern, dass er in Wahrheit eine Machtposition innehat und ich letztendlich auf seine Bezahlung angewiesen bin.
Red Flag #2: Krumme Zahlen
Auch dieser Red Flag ging anfangs an mir spurlos vorbei: Während des Gesprächs wurde ich gefragt, welche Gehaltsvorstellungen ich hätte. Ich nannte eine Summe von mindestens 15 Euro pro Stunde, obwohl feststand, welcher Lohn angeboten wurde. Ich blieb optimistisch,doch meine Zahlen wurden nach unten korrigiert. Später bemerkte ich in meinem Arbeitsvertrag, dass die Zahlen noch niedriger waren als in der Stellenanzeige. Meinen Arbeitsvertrag erhielt ich erst auf Nachfrage in meiner vierten Arbeitswoche.
Ich hatte die Möglichkeit, entweder meinen Vertrag anzufechten oder einen weiteren Monat auf mein erstes Gehalt zu warten. Da ich der Auffassung war, dass ein bis zwei Euro weniger keinen bedeutenden Unterschied machen, unterzeichnete ich. Die Not macht manchmal nicht kreativ, sondern angreifbar.
Red Flag #3: Intransparenz
Mit zunehmender Zeit merkte ich, dass sich eine Art von Arbeit sammelte, die weder honoriert noch anerkannt wurde: Die Vor- und Nachbereitung meiner Stunden. Es wurde schon von Anfang an kommuniziert, dass diese unsichtbare Arbeit nicht bezahlt werden würde. Trotzdem betonte das Unternehmen im gleichen Atemzug, qualitätsorientiert zu sein und seine Lehrkräfte -die natürlich auf Honorarbasis arbeiten- wertzuschätzen. Team-Treffen, die eine Möglichkeit für kollegialen Austausch und Gruppensolidarität geboten hätten, wurden oft ohne Angabe von Gründen abgesagt und es existierten keine gemeinsamen Chat-Räume für Nachhilfekräfte. Maximale Anonymität durch parallele Einzelarbeit gehörten zum Arbeitsalltag.
Schon im ersten Gespräch mit einer Kollegin erfuhr ich, dass sie bei gleicher Qualifikation höher bezahlt wurde als ich. Uns wurde klar, dass nicht nur die Zahlen krumm waren, sondern auch die Geschäfte hinter den Zahlen. Bei meiner zweiten Gehaltsabrechnung entschied ich mich dazu, meine unsichtbare Arbeit mit genauer Stundenzahl anzugeben. Ich setzte mir ein Ultimatum: Ich würde kündigen, sollten meine Vorgesetzten diese Arbeit nicht würdigen.
Red Flag #4: Die Studi-Falle
Sie wurde nicht anerkannt. Ich bekam die nüchterne Antwort zurück, dass sie nicht bezahlt werden würde. Eine andere Antwort hatte ich nicht erwartet und innerlich schon gekündigt. Meine Stunden bereitete ich immer weniger vor und erledigte nur das Mindeste. Mit meiner Motivation sank auch die meiner Schüler*innen.
Nach meiner Mail wurde ich angerufen und gefragt, mit welchem Lohn man mich behalten könne. Ich nannte eine Zahl, die ihnen zu hoch war und vermeintlich Verluste bereiten würde. Sie war nur wenige Euro höher als der Mindestlohn.
Letztendlich unterschieden sie sich in keinem Punkt von einem typischen Start-Up und setzten auf emotionale Involviertheit, um Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern.
Dabei sind Student*innen oft eine beliebte Zielgruppe für Arbeitgeber*innen, weil sie zeitlich flexibel sind und sich in einer finanziellen Abhängigkeitssituation befinden, sodass sie keine hohen Ansprüche formulieren, was die Arbeitszeiten und ihre Vergütung angeht. Umso wichtiger ist es, dass sie über ihre Rechte informiert sind und wissen, welche Anlaufstellen es gibt, um diese Erfahrungen zu verbalisieren. Es war unter anderem dieser Unwissenheit geschuldet, dass ich die Red Flags nicht erkannt habe. Hier sehe ich einen großen Handlungsbedarf.
Foto: Josefa nDiaz/unsplash