Ich habe zwei große Leidenschaften: Männer und Feminismus. In den letzten zwei Jahren habe ich meine beiden liebsten Freizeitbeschäftigungen in einer Art Feldstudie vereint, mich mit 21 Männern getroffen und musste mir dabei die Frage stellen, ob ich wirklich Feministin sein kann, wenn ich den ganzen Tag über Männer nachdenke.

Jan* war eines meiner ersten Tinder-Dates vor mehr als zwei Jahren. Seitdem erscheint sein Name in unregelmäßigen Abständen auf meinem Sperrbildschirm. Wir folgen und entfolgen uns auf Instagram, liken dann doch wieder ein Foto des anderen, treffen und ghosten uns wieder. Wir stehen aufeinander, mögen uns aber nicht besonders.

Er ist respektlos und frech, schickt zu früh eindeutig sexuelle Nachrichten, versetzt mich, testet Grenzen aus. Und trotzdem kann ich nicht nein sagen, wenn er sich bei mir meldet. Mit Jan ist es seit Jahren ein Hin und Her, das ich nur zu gerne mit Freundinnen auseinandernehme.

Also sitze ich am Freitagabend mit einer Freundin in einer Bar und warte darauf, dass es 23 Uhr wird und Jan und ich ausmachen, wo wir uns treffen. Immer wieder schiele ich auf mein Handy und unterbreche meine Freundin, wenn er eine vage Nachricht schickt, in der er mich weiter hinhält. Und ich will über ihn reden. „Was würdest du schreiben?“ Den ganzen Abend steht Jan im Mittelpunkt unseres Treffens, obwohl er gar nicht da ist. Um halb eins schreibt er, er sei zu müde. Heute wird es nichts mehr. Meine Freundin ist – ich wäre es auch – sauer, dass ich den ganzen Abend auf mein Handy statt auf sie fokussiert und mit den Gedanken nur bei Jan war. Und sie wirft mir vor, in meiner Kolumne Wasser zu predigen und in Echt Wein zu trinken.

Also muss ich mir die Frage stellen, die mir schon seit einiger Zeit auf jedem sogenannten Mädelsabend durch den Kopf geht: Kann ich Feministin sein, wenn Männer so viel Raum in meinen Gedanken einnehmen? Hat das eine etwas mit dem anderen zutun?

Jan könnte genauso Marco heißen oder Pablo oder Ali. Und ich könnte jede meiner Freundinnen sein. Zu einem gewissen Grad ist es immer das Gleiche: Eine von uns geht auf ein Date und anschließend wird selbstverständlich analysiert, interpretiert und spekuliert. Was lief gut? Kann ich mich über dieses Kompliment freuen, obwohl es sexistisch war? War er woke genug? Wie war der Sex? Soll ich ihm schreiben?

Mein Single-Freundinnenkreis ist eine Echo-Kammer. Eine von uns hat immer etwas zu besprechen und sorgt dafür, dass alle anderen auch wieder daran erinnert werden, wie aufregend Dating ist. Und egal, ob wir uns den Kopf zerbrechen, wieso er sich nicht meldet, uns über sexistische Dynamiken aufregen oder uns gegenseitig Tipps für für uns besseren Sex geben, am Ende reden wir über Männer.

Es ist eine Gratwanderung: Wo hört Austausch, Empowerment und sexuelle Befreiung auf, und wo ist die Grenze, ab der wir maskieren, dass wir unsere Affären für das Spannendste in unserem Leben halten? Ich frage mich, ob sich auch hier zeigt, dass wir verinnerlicht haben, dass Männer das Wichtigste überhaupt sind und wir ihnen deshalb diesen ganzen Raum geben, selbst, wenn sie gar nicht anwesend sind.

In unserer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft wurde uns beigebracht, dass unser Wert davon abhängt, einen Partner zu finden. Wenn wir also ganz ehrlich sind und ganz genau zuhören, tauschen wir in diesen Gesprächen, die wir als Empowerment deklarieren, nicht insgeheim Tipps aus, um besser anzukommen? Vergleichen wir uns nicht insgeheim mit unseren Freundinnen, urteilen wir nicht insgeheim über sie und ordnen uns selbst zwischen ihnen ein?
Hat meine Freundin also Recht, wenn sie sagt, dass mir Integrität fehlt, wenn ich eine Kolumne über Feminismus schreibe, und trotzdem einen ganzen Abend über diesen Typen reden will und auf seinen Bootycall warte, um zu springen, sobald er mit dem Finger schnippt?

Ich bin hin- und hergerissen: Es stört mich, dass ich mich fühle, als erniedrige ich mich vor Jan, und dass es so selten passiert, dass meine Freundinnen und ich mal einen ganzen Abend lang nur über Politik, unsere Karriere oder Träume sprechen. Aber zeigt sich andererseits nicht genau hier internalisierte Misogynie? Dass ich den Respekt vor mir selbst infrage stelle, weil ich “leicht für Jan zu haben bin” und viel über ihn reden möchte, ist sexistischer, als auf seinen Bootycall zu warten.

Wenn diese eine Person mir den Kopf verdreht hat, und ich sie unbedingt sehen will, hat das nichts mit meiner Rolle als “starke Frau” zutun. Wenn ich verknallt bin und meinen Schwarm über all meine Interessen stelle, ist das menschlich. Das Ziel ist es nicht, jedes Kribbeln, jede Aufregung, jede emotionale Abhängigkeit zu unterdrücken, möglichst abgebrüht zu sein. Meine Leidenschaft für jemanden zu unterdrücken macht mich nicht zur Feministin. Was mich zur Feministin macht, ist zu wissen, dass ich über ihn sprechen möchte, mein Wert aber nicht davon abhängt, wie viel Raum ich ihm gebe.

Nachdem mich Jan mal wieder versetzt hat, habe ich ihn blockiert. Ich liebe Männer, aber nicht zu dem Preis, dass sie meinen Seelenfrieden stören und mich von meinem Plan der Weltherrschaft ablenken.


*Name von der Redaktion geändert

Illustration von Isabelle Aust

Alle Texte der Kolumne Tinder vs. Feminismus lest ihr hier.