Vor Theatern, beim Spaziergang, auf Protestschildern: Die englische Sprache ist überall zu lesen und zu hören. Vom gebrochenen Englisch bis zum elitären und universitären Englisch ist alles dabei. Die Sprache soll globale Verbundenheit signalisieren. Doch wer wird hier wirklich eingebunden und wer wird vergessen?

Ich öffne den Briefkasten meiner Eltern und sehe die üblichen Rechnungen, Werbungen und natürlich auch den einen Brief von der Ausländerbehörde. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus. Was wird es diesmal sein? Was müssen meine Eltern wieder vorweisen, um der Integrationspolitik Deutschlands gerecht zu werden? Die 30 Jahre auf deutschem Boden reichen natürlich nicht aus. Ich übersetze für meine Eltern den Brief. Es handelt sich um die Aufforderung einen Deutschkurs zu besuchen. Überraschend ist das nicht, da ich schon viele solcher Briefe übersetzen musste. Die Tatsache, dass meine mittlerweile über 55-jährigen Eltern gezwungen werden Deutsch zu lernen, macht mich wütend und traurig.

Dies ist die eine Realität, die zeigt wie Deutschland mit den „Ausländern“ – meinen Eltern – umgeht. Die andere Realität sehe ich in abendlichen Barbesuchen an der Weserstraße in Neukölln: Menschen, die miteinander auf Englisch reden. Mitarbeiter*innen, die nur Englisch sprechen können. Schilder, die nur auf Englisch geschrieben worden sind. Die Corona-Auflagen stehen in Supermärkten sogar nur auf Deutsch und Englisch.

Ich kenne viele Leute, die aus (englischsprachigen) westlichen Ländern nach Berlin kommen und es nicht für notwendig halten, Deutsch zu lernen. Warum auch? Berlin hat Englisch als legitime Alternative akzeptiert. Mit dieser Akzeptanz von Englisch will sich Berlin positiv zum Multikulturalismus positionieren. Das Image vom weltoffenen und globalen Berlin wird vermarktet. Dies bleibt aber auch nur ein Image, denn Menschen, deren Muttersprache weder Englisch noch Deutsch ist, werden ausgegrenzt und vergessen.

Wer sind diese Menschen? Laut dem Tagesspiegel kommen „von den rund 1,3 Millionen Berlinern mit Migrationshintergrund […] 417.000 aus EU-Ländern, die meisten davon aus Polen (114.000). 182.000 Menschen haben Wurzeln in der Türkei und 154.000 in arabischen Staaten. 145.000 Menschen stammen aus Ländern der früheren Sowjetunion.” Für die Mehrheit der in Berlin lebenden Menschen ist Englisch eine (unbekannte) Fremdsprache. Also wem sollen die Corona-Auflagen auf Englisch helfen?

Diese Doppelmoral ist in vielen Bereichen zu bemerken. Sprachen, die gesellschaftlich als weniger wichtig angesehen werden, werden ausgegrenzt und ignoriert. Als nicht erstrebenswert oder einfach falsch angesehen. Die Einwanderung von privilegierten Menschen aus englischsprachigen Ländern wie England, USA und Kanada wird gerne gesehen. Sie bringen Deutschland und Berlin ökonomisches und kulturelles Kapital sowie Ansehen. Ausländer*innen, die Kapital einbringen, sind wertvoll. Man bezeichnet sie nicht mal als Ausländer, sondern als Expats. Expat ist ein Begriff aus dem Englischen und bezeichnet eine „ständig im Ausland lebende Person“. Die einen sind Expats und die anderen sind schlichtweg Ausländer.

Meine Eltern sind die ungewollten Ausländer – die Migranten. Nur das Erlernen der deutschen Sprache und das fehlerfreie, perfekte Verhalten macht sie zu guten Ausländern. Ihre Muttersprache Tamil wird nicht anerkannt. Sie muss in vier Wänden bleiben. Am liebsten soll sie einfach komplett weggelassen werden, wie die Kultur in der sie aufgewachsen sind, die nämlich nicht vorteilhaft für Deutschland ist. Es nennt sich Integration, doch in Wahrheit ist es das Aufzwingen von einer Sprache und Kultur und das Ausradieren derer die nicht als wertvoll angesehenen wird. Integration bedeutet oft nichts anderes als Assimilation.

Ich will hiermit nicht die englische Sprache ablehnen, sondern lediglich diese Doppelmoral aufzeigen, die für einige Menschen eine Tür öffnet und für andere dieselbe schließt. Rassismus und Klassismus, die ihre Entstehung unter anderem der Kolonialzeit verdanken, sind die Grundbausteine dieser Doppelmoral. Dieses Denken beeinträchtigt das Leben meiner Eltern und doch versuchen sie immer wieder einem System gerecht zu werden, welches sie nicht mit einbezieht.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #256 zum Thema Menschenrechte erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Illustration: Paulina Hillebrand