Lang genug hat das Land die kulturelle Zwangspause erdulden müssen – umso besser, dass sich das Kulturleben in Berlin auch im Sommer diesen Jahres keine Atempause gönnt. Für die UnAufgefordert-Kulturkolumne hat unser Autor zwei Ausstellungen besucht, die scheinbar völlig unterschiedlich doch ganz ähnlichen Ideen folgen. In dieser Woche erscheint der zweite Teil – die Besprechung der Kunstmesse 1st Meseberg International for Contemporary Art.

Eine Scheune, eine grüne Wiese, der holde Geruch von Kuhdung, gegenüber ein Friedhof auf dem scheinbar nur eine Familie begraben liegt – folgte man der Assoziationskette würde man wohl eher nicht darauf kommen, dass in dieser Aufzählung das Wort ,,Kunst‘‘ vorkommen könnte. Doch weit gefehlt, denn die renommierte Berlin-Kölner Galerie Nagel Draxler hat hier, in der Mark Brandenburg, mitten in der kleinen Ortschaft Meseberg in diesem Sommer zum ersten Male ihre Zelte aufgeschlagen um eine ,,Internationale Kunstmesse‘‘ zu realisieren. Wo der Name 1st Meseberg International for Contemporary Art noch wie ein Euphemismus klingt, zeigt man sich vonseiten der Galerie zukunftsfroh und verspricht hier demnächst regelmäßig Sommerausstellungen sowie einen Skulpturengarten zu realisieren. Vermutlich hängt dieses Engagement auch damit zusammen, dass die Eigner der Galerie ein Feriendomizil in der Ortschaft besitzen.

Ist diese Kunstausstellung also nur Teil eines Bespaßungsprogramms für die vielen Großstadtmenschen, die sich von Großstadtenge und Pandemie aufs Land treiben lassen um dort, genauso wie an den Prenzlauer Bergen dieser Welt – und wie sollte es anders sein – erneut in ihren eigenen Blasen leben, mit den Einwohnern fremdeln, schicke Cafés eröffnen um schlussendlich nur die Wohnungspreise in die Höhe zu treiben? Schließlich weiß jeder Gentrifizierungsgeschädigte: zuerst kommt die Kunst, danach der Kommerz, dann die Kündigung.

Bespaßungsprogramm für Großstadtmenschen beim Landausflug?

Nun – über all‘ dies lässt sich trefflich streiten. Unstrittig ist aber, dass die Ausstellung hier in Meseberg ein sympathischer Versuch ist, Kunst zu demokratisieren und sie auch dorthin zu bringen, wo sie für gewöhnlich keinen Platz findet. Wer hat schon Muße für den Zug nach Berlin-Kreuzberg oder einen schicken Europa-Hoodie, wenn es darum geht, ob man als Milchbauer seinen Betrieb schließen muss, hier im Löwenberger Land so zwischen NPD-Wahlplakaten und den Resten ostdeutscher Herrlichkeit? Und somit lohnt sich das, was Nagel und Draxler hier präsentieren durchaus.

Foto: Simon Vogler

Da wäre einmal der Skulpturengarten, der auf der Wiese eines altehrwürdigen Bauernhauses aufgerichtet ist und den man schon von weitem erkennt – ganz besonders wegen eines eigentümlichen gelben Zeltes, das – so verrät es eine Anwohnerin – anfangs für einen neuen Schafstall gehalten wurde. Dabei handelt es sich um das ,,Gelbe Loch‘‘ von Michael Butler, das durch eine niedrige Eingangsröhre betreten werden kann und dann zur Betrachtung des Himmels durch ein großes Opäum einlädt. Da steht man also ganz im gelben Schein dieses Rundzeltes, blickt gen Himmel und hört – nichts. Es ist schließlich nicht der Rosa-Luxemburg-Platz, an dem man steht und wo Nagel Draxler ihre Galerie betreiben, sondern die weite märkische Landschaft, wo die Kunst völlig neu wirken kann.

Für 30.000 € einen neuen Benz oder eine Skulptur?

Eindrücklich sind neben den Werken von Butler auch die Skulpturen von Anna Fasshauer, von der in Meseberg etwa das Werk ,,Crusz‘‘ ausgestellt wird. Aus Blech und Stahl hat Fasshauer große Skulpturen geformt und sie farbig lackiert – hier ganz in rot. Diese Skulpturen kommen in ihrer Gestalt archaisch daher, im Zwiegespräch mit grünem Rasen und blauen Himmel wirken sie aber sehr apart, fast zerbrechlich. Nicht eine Blechpresse hat Fasshauer hier zur Hilfe genommen, sondern hat alles eigenhändig gebogen und gedengelt, sodass hier auch geronnene Kraft ausgestellt wird. Sowas kostet dann immerhin 30.000 € und ist eine schöne Alternativanschaffung für alle, die mit dem Gedanken spielen in einen neuen Benz zu investieren.

Foto: Simon Vogler

Schmunzeln muss man bei dem Skulpturenpaar ,,Trilobites (1) und (2)‘‘. Hier hat Künstler Pedro Wirz auf zwei großen Natursteinen künstliche Spiegeleier aufgeschlagen, von denen eins ein graues Eigelb präsentiert. Nun, die Welt ist eben ambivalent. Ambivalenz kommt auch im Werk des Künstlers JPW3 zum Ausdruck, der unter dem Titel ,,Rosa w/ avo‘‘ einen Ferrari-Motor zum Schnauben bringt. Dieser Ferrari-Motor steht hier mitten in der Wiese umringt von einigen Lavendelpflänzchen. ,,Auf die Idee muss man erstmal kommen!‘‘, will man ausrufen und fragt sich immer wieder, wie das wohl alles auf den unwissenden Dritten wirken muss.

Doch auch in der alten Scheune, die wohl auch einmal ein Kuhstall gewesen ist, wird Kunst präsentiert, namentlich auf dem Speicher, zu dem eine wackelige Holztreppe hinauf führt. Da ist der Erlebnischarakter schon mit eingerechnet. Hier überzeugt etwa Mark Dions ,,Lemonade Stand‘‘, der einen Limonaden-Verkaufsstand mit sämtlichen Zubehör darstellt und uns dabei mit dem Schild ,,Refreshing Lemonade $ 2, Real sea Shells $ 1 ) vor Augen führt, wie früh im Leben man in Kontakt mit der Kommerzialisierung der Natur kommt. Die Natur nimmt sich hier auch Hans-Jörg Mayer zum Sujet, wenn er – ganz klassisch auf Leinwand – mit ,,De Sade‘‘ eine traurige, aber sehr prachtvolle Sonnenblume präsentiert.

Foto: Simon Vogler

Das hat seine ganz eigene Ästhetik, weil, wenn man das Fenster des Speichers öffnet, man direkt auf ein blühendes Sonnenblumenfeld blicken kann.

Neue Horizonte öffnen sich

Schließlich verlässt man die Ausstellung durch das große Scheunentor, in dem die Installation ,,Door‘‘ von Mirjam Thomann befestigt ist. Zwei große weiße Tetraeder, wie eine Bartür auf halber Höhe installiert geleiten einen wieder ins Freie und der geneigte Besucher dürfte fast traurig sein, dass die Ausstellung nun schon zu ihrem Ende gekommen ist. Noch völlig beschwingt spaziert man nun um den nahegelegenen Huwenowsee und kommt zum Schluss, dass das Engagement von Nagel Draxler hier in Meseberg im Allgemeinen lobenswert und die Leistung der Kuratoren im Besonderen glanzvoll ist. Hier werden Horizonte erweitert, neue Kunsträume erschlossen und man meint, hier – weit ab von engen Galerien und übersättigten Hauptstadt-Kulturpublikum, kämen die Werke völlig neu, natürlich besser, zur Geltung.

Ja, man sieht alles organische Landluft atmen und will einem jeden Kunstinteressierten eine Ausfahrt nach Meseberg wärmstens ans Herz legen. Man soll sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen mit seiner Kritik an Projekten wie solchen, denn – und das zeigt sich hier in Meseberg – sie wirken. Natürlich ist es vornehmlich angereistes Hauptstadtpublikum, das hier über Schotterwege stampft, aber wenn es Nagel Draxler gelingt nur drei oder vier Menschen zu begeistern, die vorher keinen Zugang zur Kunst hatten, wenn es gelingt hier neue Horizonte zu eröffnen, dann ist Verdienstvolles geleistet worden. Die Kunst, die hier ausgestellt wird hat das Potenzial dazu, allein das Vermittlungsprogramm müsste ausgeweitet werden. Im nächsten Jahr wird man sehen, wie es hier weitergeht. Noch gilt die Empfehlung zum Besuch der diesjährigen Veranstaltung.


Die 1st International for Contemporary Art in Meseberg läuft noch bis zum 28.08.2021 in Meseberg (Meseberger Dorfstraße 32, 16775 Gransee). Der Eintritt ist frei. Ein anschließender Spaziergang um den Huwenowsee sowie die Betrachtung des Schlosses in Meseberg (immerhin Gästehaus der Bundesregierung!) lohnt sich durchaus.

Möglich ist etwa eine Anreise mit dem Fahrrad im Zug von Berlin aus über Oranienburg bis Gransee und von dort bis nach Meseberg (etwa 40 Minuten Fahrt). Auch die Stadt Gransee ist durchaus sehenswert.

Fotos von Simon Vogler