Im August diesen Jahres ist Drehbeginn des feministischen Kurzfilmprojekts „Obsession“ der 24- jährigen Filmemacherin Moira Grohé, die selbst schon als Schauspielerin in Kurzfilmen wie „Ace Up My Sleeve“ (2021, Sophie Gusenko) zu sehen war. Mit UnAuf hat Moira unter anderem über ihre Motivation hinter dem Projekt gesprochen, aber auch darüber, was die Zukunft so für sie bereithalten könnte.

UnAuf: Wie ist es als Studentin und in einem so jungen Alter, einen eigenen Film zu realisieren? Das scheint ja für die meisten undenkbar, sei es wegen fehlendem Geld oder Erfahrung…

Moira: Ich hatte das Glück, dass ich schon in einigen Kurzfilmen mitspielen durfte. Da habe ich immer mit einem Ohr bei der Regie und auch bei allem, was mit Technik zu tun hat, zugehört und dadurch sehr viel gelernt. Und ich interessiere mich auch einfach dafür. Zusätzlich sind viele meiner Freund*innen in diesem Bereich tätig, also studieren zum Beispiel Filmwissenschaften an der FU. Maria Groß, die Produzentin des Films, kenne ich, weil sie mich in einen Film reingecastet hat. Seitdem habe ich in mehreren ihrer Filme mitgespielt und jetzt sitze ich auf der anderen Seite mit ihr.

UnAuf: Also würdest du sagen, Connections sind wichtig in der Branche?

Moira: Ja, glaube ich schon. Das ist aber auch mit Grund, warum wir diesen Film machen, also um FINTA bzw. Frauen zusammenzubringen, weil man sich ja fast gar nicht kennt und wenn du einander nicht kennst, kannst du einander auch nicht in eine Crew holen.

UnAuf: Ist das auch so ein bisschen deine Motivation dahinter, Aufmerksamkeit für FINTA zu erwecken und eine Plattform zu schaffen?

Moira: Total! Bisher ist es ja wirklich so: Die Filme werden von Männern geschrieben, die werden von Männern gefilmt, da wird von Männern der Ton abgenommen, der ganze Film wird von Männern abgenommen und dann wird er von Männern auch noch geschnitten. Also Männer zeigen mir ihre Perspektive auf Frauen. Da kann ja gar nichts Authentisches bei rauskommen, weil die Lebensrealität von Frauen kein Mann in der Gänze fassen kann, das ist einfach so. Genauso wie eine Frau nicht in der Gänze eine männliche Lebensrealität fassen kann, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Und jetzt wollen wir eben einmal diese On-Screen-Weiblichkeit zeigen und dann gibt es ja noch das Ganze hinter der Kamera. Ganz ehrlich: Wenn wir einen Film im Fernsehen anschauen, wer guckt sich dann im Abspann an, wie viel Männer, wie viel Frauen, wie viel Non-Binäre, wie viele Trans-Menschen da dabei waren? Das macht keiner und das weiß auch keiner. Das prasselt alles auf einen ein und man eignet sich diese Meinungen und Ansichten an und checkt überhaupt nicht, was dahinter steht. Wie auch?

Man muss sich immer mal wieder in Erinnerung rufen, was das für eine Arbeitsatmosphäre für Schauspieler*innen am Set ist und durch die Me-Too-Debatte wissen wir ja auch, zu was diese Arbeitsatmosphäre geführt hat.

UnAuf: Und da willst du dann Aufklärungsarbeit leisten? Auf dem Instagram-Account von „Obsession“ hast du ja auch ein paar Statistiken zur Geschlechterverteilung veröffentlicht und auf Startnext hast du auf Links verwiesen, wo man sich noch weiter belesen kann. Das sind heftige Zahlen, um es gelinde auszudrücken. Bei der Regie war von 74% männlich, 21% weiblich und 5% gemischtgeschlechtlich die Rede…

Moira: Ja, total! Ich war bei der Recherche auch selbst überrascht ehrlich gesagt. Mir war schon klar, dass es eine krass männlich dominierte Branche ist, aber bei Kamera und Ton 85 und 91 Prozent? Also wirklich, ich finde das ganz schlimm. Vor allem, wenn du dir überlegst, dass bei den Szenen, die im Film inszeniert werden – also sprechen wir mal davon, dass eine Frau sich ausziehen soll oder irgendwelche Sexszenen hat – eine Gruppe Männer drum herumsteht. Man muss sich immer mal wieder in Erinnerung rufen, was das für eine Arbeitsatmosphäre für Schauspieler*innen am Set ist und durch die Me-Too-Debatte wissen wir ja auch, zu was diese Arbeitsatmosphäre geführt hat. Harvey Weinstein ist kein Einzelfall. Bei weitem nicht.

Foto: Sophie Gusenko

Als wir die Schauspieler*innen gecastet haben, haben sie alle für die erste Runde ein 2-3 minütiges Video über Feminismus mitgeschickt und sollten ein bisschen über ihren Bezug zu und ihre Erfahrungen mit Feminismus berichten. Die Geschichten, die wir da gehört haben – das sind ja alles Schauspieler*innen – sowohl aus dem Privatleben als auch vom Set, glaubt man nicht. Vor allem glaubt man sie in der Masse nicht. Das ist einfach tragisch und traurig.

Wir werden deshalb auch einen zweiten Film machen, der quasi gleichzeitig mit dem fiktionalen Film realisiert wird. Dieser wird in einem dokumentarischen Format sein – auch ein Kurzfilm – im Rahmen dessen wir diese ganzen kurzen Videos als Zusammenschnitt zeigen wollen. Wir hatten wahnsinnig viele Bewerbungen, das war ein riesiger Ansturm, was uns natürlich einerseits freut, aber andererseits total traurig ist. Und wir hätten diese Videos jetzt nicht alle löschen und so tun können, als gäbe es sie nicht. Das wäre falsch. Deswegen arbeiten wir das alles jetzt nochmal auf und wollen es auch verbinden mit Making-Of-Szenen aus dem Film und einfach zeigen: Das ist die Realität.

UnAuf: In deinem Film geht es darum, dass sich eine konservativ-geprägte Studentin zum ersten Mal mit unserer patriarchalen Gesellschaft auseinandersetzt und anfängt, patriarchale Strukturen zu erkennen und zu hinterfragen. Schließlich trifft sie in ihrer Professorin ihr erstes feministisches Vorbild und entwickelt für sie die titelgebende Obsession. Was hat dir die Idee für diese Handlung gegeben?

Moira: Ursprünglich war mein Plan: Ich will Frauen zeigen so wie ich sie erlebe. Und dann kamen mehrere Aspekte hinzu: Einmal diese Dynamik von einer jüngeren Frau und einer älteren. Es wird selten gezeigt, dass eine jüngere Frau was von einer älteren will – auf eine romantische Art. Entweder sind es [Anm. d. Red.: in den Filmen] Mutter und Tochter oder Geschwister. Und dann finde ich auch einfach diesen Aspekt von „Frauen sind einander ein Vorbild und keine Konkurrenz“ so wichtig und da hat sich natürlich diese Dynamik einer Professorin, die sowieso schon lehrt, und einer jungen Frau angeboten, auch einfach von der Erzählstruktur her.

UnAuf: Ohne zu viel vom eigentlichen Inhalt vorwegzunehmen: Hat die Protagonistin vielleicht doch noch nicht ganz verstanden, worum es bei „female empowerment“ geht, wenn sie ihre Professorin stalkt?

Moira: Absolut. Die Studentin stellt wirklich die totale „Antifeministin“ dar. Sie macht im Grunde genau das Gegenteil vom Feminismus. Es gibt diesen Moment, wo Charlotte total enttäuscht von ihrer Professorin ist und es als den größten feministischen Verrat sieht, dass die Professorin sich mit einem Mann abgibt, und das ist natürlich völliger Schwachsinn. Bei Feminismus geht es nicht darum, Männer auszuschließen und auch bei diesem Film geht es nicht darum, Männer auszuschließen…

UnAuf: Was ja aber gerne auch mal so dargestellt wird, oder? Feminist*innen sind Männerhasser*innen?

Moira: Total. Wir haben auch derartige Mails und Hassnachrichten bekommen. Aber das ist es eben nicht. Es ist eben nicht Männerhass und es ist eben nicht Männerausschließen, sondern: Jetzt mal den Fokus wechseln, jetzt mal die Perspektive wechseln. Das ist genauso wie die Frauenquote. Man muss Frauen erst in diese Ebenen reindrücken; anders geht’s ja offensichtlich nicht, sonst wären wir schon da. Und dann ist es ein Selbstläufer.

Bei allem, was ich mache, habe ich den Anspruch, dass es einen feministischen Blickwinkel gibt.

UnAuf: Du hast es gerade schon erwähnt. Du eckst mit dem Projekt auch bei gewissen Leuten an. Was hast du da so erlebt?

Moira: Ich hab sogar aus dem privaten Bereich Nachrichten von Menschen bekommen, von denen ich seit Jahren nichts gehört hab. Ein Beispiel: Mir wurde eine Statistik über Gefängnisbevölkerung in Deutschland und die Geschlechterverteilung darunter geschickt. Ich weiß überhaupt nicht, ob die stimmt, aber da waren fünf Prozent Frauen und der Rest Männer und daraufhin kamen so Nachrichten wie: „Kämpf doch gegen diese Ungerechtigkeit! Ihr wollt immer nur die geilen Sachen, aber wenn es um Bundeswehr oder Gefängnisinhaftierungen geht, seid ihr ganz still!“ und das ist auf so vielen Ebenen falsch.

Ich hab ja auch Stalking ausgewählt, weil es fast keine weiblichen Stalkerinnen gibt. Das ist ein fast rein männliches Delikt. Deswegen hab ich eine Frau zur Stalkerin gemacht. Das Krasse ist aber nicht, dass es wirklich weniger weibliche Stalkerinnen gibt. Der Unterschied ist, dass Männer Frauen nicht für so gefährlich empfinden wie Frauen Männer und sie deswegen weniger oft anzeigen und Frauen auch weniger oft wirklich handgreiflich werden, aber der Psychoterror bei Frauen viel größer ist.

Wir kriegen allerdings auch – und das bemängele ich sehr – Gegenwind von links. Ich habe viele Nachrichten bekommen in Richtung: „Schreibt nicht FINTA, schreibt nicht divers, schreibt doch einfach, was ihr meint! Sprecht es aus!“ Dieser Frust, den ich total verstehen kann, wird an der falschen Ecke ausgelassen. Ich sage das als jemand, der sich dessen wirklich sehr bewusst ist, was es macht, wenn man immer ausgelassen wird. Es ist frustrierend, aber man muss woanders ansetzen.

UnAuf: Wir haben ja schon recht viel über das eigentliche Projekt und deine Motivation dahinter gesprochen. Jetzt würde ich gerne noch wissen, wer dahintersteckt. Wer bist du, was macht dich aus?

Moira: Momentan studiere ich Schauspiel und davor hab ich Jura studiert, weil ich für Frauenrechte kämpfen wollte auf einer ganz sachlichen Ebene und wirklich ansetzen wollte bei: Wie bring ich die durch? Dann hab ich da so viel Sexismus erlebt, dass mich das fast gelähmt hätte. Das war so furchtbar für mich.

Ich musste in mich gehen und mich fragen: Was will ich eigentlich? Dann hab ich zwar das gemacht, was ich wirklich machen wollte, aber hab gemerkt, dass mir etwas fehlt: dieser Kampf für Frauen. Man fragt sich ja auch: Was ist meine Aufgabe als Mensch? Bei allem, was ich mache, habe ich den Anspruch, dass es einen feministischen Blickwinkel gibt. Mein Glück ist, dass ich mich jetzt mit Frauen umgeben darf, die das teilen.

Unsere Dramaturgin zum Beispiel, Sabine Schreiber, kannte mich überhaupt nicht. Sie war selbst schon beim Filmfest München und hat einfach nur auf Instagram gesehen, dass ich was zum Film gepostet hab und hat mir dann geschrieben und gefragt: „Wen braucht ihr? Ich will euch helfen.“ Sie hat Dramaturgie studiert, sie weiß, was sie tut und hilft uns, weil sie will, dass das Projekt was wird. Und genau das ist es. Auch was Förderungen anbelangt: Die Frauen, denen wir unsere Sachen schicken, die dann entscheiden, ob wir Förderungen bekommen, freuen sich alle wahnsinnig, dass das Projekt umgesetzt wird.

Ich glaube, ich habe einen Standpunkt, der erzählt werden muss und ich bin sehr gewillt, ihn zu erzählen

UnAuf: Stichwort Förderungen: Wie genau kann das Projekt realisiert werden?

Moira: Also wir hatten zum einen diese Startnext-Kampagne, die ja eigentlich nur aus Privatleuten besteht, und zum anderen haben wir noch eine Förderung von RISE. Das ist ein Jugendförderprogramm, das finanziell soziopolitische Ideen fördert. Der ursprüngliche Gedanke hinter RISE war, gegen extremistische Islamisierung vorzugehen. Deswegen wollen sie Sachen fördern, bei denen es um Gender, Politik und so weiter geht. Von denen haben wir zwei Förderungen erhalten, was einem Großteil unserer Förderung entspricht. Dann haben wir von pazz eine Förderung bekommen. Das ist eine neue Seite – ähnlich wie Crew United – die im Moment kleine Projekte fördern. Es stehen aber auch noch Förderungen aus. Im Moment hängt alles an diesen drei Förderungen, aber wir kommen auf jeden Fall durch. Wir haben jetzt keine Sorgen oder so, haben damit aber auch total Glück, denn es sieht nicht bei allen so gut aus.

UnAuf: Du möchtest dich mit „Obsession“ auch an Filmhochschulen bewerben. Ist das dann dein nächster Schritt nach der Schauspielausbildung?

Moira: Also ich werde auf jeden Fall in Richtung Regie gehen, ob ich jetzt von Kunsthochschulen angenommen werde oder nicht, aber ich glaube, ich habe einen Standpunkt, der erzählt werden muss und ich bin sehr gewillt, ihn zu erzählen und ich möchte die Ausbildung, die mich befähigt, ihn sinnvoll zu erzählen – politisch sinnvoll, aber auch so, dass er als Film besteht. Ich möchte befähigt werden, Menschen über Emotionen größere, komplexere Zusammenhänge verständlich zu machen, indem ich zeige: So fühlt sich diese Person. Das möchte ich so ins Publikum transportieren, dass es mitfühlt, weil ich glaube, das ist viel stärker, als wenn ich mich in einen Gerichtssaal setze und aus Paragraph XY zitiere. Es muss anders funktionieren. Die größten Veränderungen spielten sich ab, weil Menschen was gefühlt haben, weil Menschen was empfunden haben und weil das im ganzen Körper passiert ist, weil sie verstanden haben: Das geht so nicht. Das darf nicht sein. Menschen auf ganz basaler Ebene ansprechen funktioniert für mich am allerbesten über Film und über Kunst und über Emotionen.

Das Gespräch führte Nora Rauschenbach.


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Foto: Nicola Grohé