Einmal im Jahr, am 8. März wird in der großen Öffentlichkeit über die Rechte von Frauen und die Folgen sexueller Gewalt gesprochen. Doch Taten wie der Mord an Sarah Everard zeigen, dass wir jeden Tag darüber reden müssen. Ein Plädoyer für mehr Kommunikation und Prävention
Es ist einer dieser typischen Spätwinternachmittagsspaziergänge: Ich ziehe durch die Straßen, fotografiere Sticker an Laternen, Stromkästen, Hauswänden. Ein Mischmasch aus Lebensweisheiten, auffälligen Unauffälligkeiten – zumindest für jene, die nicht richtig hinsehen – und politischen Botschaften à la There is no Planet B, All cunts are beautiful oder 8. März ist alle Tage. Und genau bei letzterer fand das Gespräch statt, was Grund für diesen Artikel ist. Selbstverständlich nicht der alleinige, aber der, der die Gedanken ins Rollen brachte.
Lila Graffiti-Farbe auf einer sahnefarbenen Hauswand, eine große Zahl und daneben vier kleinere Worte. Ich richte meine Handykamera darauf, mache ein, zwei Schnappschüsse als eine Stimme hinter mir und meiner Freundin ertönt: „8. März ist alle Tage, könnt ihr mir erklären, was das bedeutet?“ Ein Mann steht da, um die 30, einen Jutebeutel in der Hand, er wirkt interessiert.
„Oh, das ist, weil ja am 8. März der Internationale Frauentag ist und das hier bedeutet halt, dass jeder Tag Frauentag sein sollte.“
Wir freuen uns, dass er fragt, doch sein nächster Satz zerstört unsere anfängliche Freude ein wenig, schließlich lautet er: „Oh Gott, das wäre ja schlimm.“
Wir beginnen zu erklären: „Naja, es geht dabei halt darum, auf die Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen aufmerksam zu machen, denen Frauen immer noch ausgesetzt sind.“
Er kratzt sich am Bart. „Echt, gibt es da denn welche?“, fragt er.
„Ja, schon, zum Beispiel den Gender Pay Gap, den Gender Data Gap, Gewalt gegen Frauen und das ist nur die Spitze des Eisbergs“, erklären wir weiter. Er sieht jetzt ein bisschen verwirrt aus, man merkt, dass er nicht weiß wie er antworten soll. Aber er versucht es: „Oh, also mir ist das eigentlich voll egal.“ Schnell fügt er hinzu: „Aber gibt ja bestimmt Menschen, für die das wichtig ist.“
„Ja, und zwar Frauen!“
Sein Lächeln ist nun mehr als unsicher, man merkt ihm an, dass er das Gefühl hat, in diesem Gespräch kein Land mehr gewinnen zu können und so verabschiedet er sich mit den Worten: „Ich find das sind echt Arschlöcher, also die, die scheiße zu Frauen sind.“
Wir müssen das Gespräch suchen
Das Gespräch ist ein gutes Beispiel für eine gescheiterte Kommunikation. Anfangs war ich schockiert, dass der Mann scheinbar nie seine eigenen Privilegien hinterfragt hatte. Doch mit der Zeit merkte ich, dass das zwar stimmt, ich aber auch etwas nicht hinterfragt hatte und zwar die Bubble in der ich lebe. Ich vergesse oft, dass nicht jeder links und grün ist, dass nicht jeder ein*e Feminist*in ist, nicht jeder versteht warum Umweltschutz wichtig ist oder allgemein, dass nicht jede*r meine Ansichten teilt. Der Mann dagegen lebt in seiner Bubble, in der er vielleicht nie darüber nachgedacht hat, welchen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten Frauen ausgesetzt sind. Schließlich musste er sich nie damit auseinandersetzen, weil er davon nicht betroffen ist.
Allerdings muss gesagt werden, dass der Schritt, den er gegangen ist, ein wichtiger und richtiger Schritt war. Er hat das Gespräch gesucht und nachgefragt. Natürlich bewegt man sich dabei immer auf einem schmalen Grat zwischen interessiert nachfragen und jemanden vielleicht dahingehend zu bedrängen, die erlebten Diskriminierungserfahrungen offenlegen zu müssen. Und natürlich ist es auch nicht unsere Aufgabe als Frauen, Männern beizubringen wie Sexismus sich auf unser Leben auswirkt und umgekehrt. Aber dennoch kann der Dialog ein erster wichtiger Schritt sein. So weiß ich zum Beispiel viel über Sexismus, der sich gegen Frauen richtet, aber über den, der gegen Männer geht, umso weniger und das aus dem simplen Grund, dass ich nie mit diesem konfrontiert wurde. Um uns und unsere Erfahrungen mit Sexismus verstehen zu können, ist Kommunikation und Austausch unverzichtbar.
Wir müssen anfangen, aufzuklären
Nach der Ermordung von Sarah Everard am 3. März 2021 in London begannen Diskussionen über die Sicherheit von Frauen auf den Straßen und der Hashtag #ReclaimTheStreets ging viral. Es wurde über Victimblaming gesprochen und mehr als nur einmal fiel der Satz, der nach solchen Vorkommnissen oft gesagt wird: „Stop protecting your daughter, start educating your son!“ Aber noch eine Sache passierte: Einige Männer begannen im Netz zu fragen, was sie tun könnten um Frauen nachts auf dem Nachhauseweg ein Gefühl der Sicherheit zu geben. „Auf die andere Straßenseite gehen“, fiel als Vorschlag sehr oft oder auch „Nicht ansprechen“. Natürlich können die befragten Frauen an dieser Stelle nicht für alle weiblichen Personen sprechen, aber dennoch ist das Nachfragen ein Schritt in die richtige Richtung. Die Unterhaltung mit dem Mann über das Graffiti zeigt schließlich, dass es noch einige Männer gibt, denen die Problematik gar nicht bewusst ist und die vermutlich auch daher nicht auf die Idee kommen, dass Frauen (nachts) Angst vor Männern haben könnten oder was sie persönlich dagegen tun können. Und umgekehrt gibt es mit Sicherheit sexismusbedingte Probleme von Männern, von denen wir als Frauen wenig wissen. Es ist also wichtiger denn je, dass wir beginnen uns auszutauschen, Lösungsmöglichkeiten aufzeigen, nachfragen und uns weiterbilden. Wir müssen anfangen, aufzuklären. Es wird Zeit, für eine Prävention von sexueller Gewalt. Und die wird nicht funktionieren, indem wir weiter Möglichkeiten für Frauen entwickeln, sich zu schützen, sondern indem wir beginnen darüber aufzuklären, wo sexuelle Gewalt anfängt und vor allem, wie jede*r einzelne von uns sich verhalten muss um sie zu verhindern.
Als ich in der 9. Klasse war, gab es in unserer Schule eine Gewaltprävention. Und eine Drogenprävention. Was es nicht gab, war eine Prävention von sexueller Gewalt. So wie uns erklärt wurde, was Drogen mit unserem Körper machen oder warum Prügeleien keine Lösung sind, hätte auch jemand kommen sollen um zu erklären, was die Problematik von sexueller Gewalt ist. Dass man nicht ungefragt Nacktbilder schickt, dass man nicht Menschen auf der Straße anzügliche Bemerkungen hinterherruft, dass Nein wirklich Nein heißt und zu akzeptieren ist.
Wenn diese Art der Prävention stärker passieren würde, wäre zumindest in den Köpfen der Menschen ein Bewusstsein für die Problematik vorhanden und ein Verständnis dafür, wie man sich zu verhalten hat. Und wahrscheinlich hätten auch diejenigen Menschen, die von sexueller Gewalt eher nicht betroffen sind, einen Einblick in die Auswirkungen dieser bekommen.
Wir müssen Räume für Diskussionen schaffen
Jetzt, im Nachhinein weiß ich, dass das, was der Mann getan hat richtig war. Er hat an einer Stelle, an der er das Gefühl hatte, nicht genug zu wissen, nachgefragt. Und das sollte mehr passieren! Natürlich heißt das nicht, dass man erwarten kann, dass jede Person auf der Straße Zeit, Lust und Kraft hat über ihre persönlichen mit Sexismus verbundenen Erfahrungen aufzuklären. Deswegen sollten wir Räume für diese Diskussionen schaffen. In Talkshows, in Schulen, in den (sozialen) Medien. Wir müssen alle erreichen, denn nur so können wir gegen die Problematik vorgehen: Alle die in ihrer Bubble leben. Alle die noch nie von Sexismus gehört haben. Alle denen er egal ist. Alle, die nicht verstehen, was der Sinn des 8. März ist. Alle die sich noch nie damit auseinandersetzen mussten. Wir müssen den Spruch Stop protecting your daughter, start educating your son! Wirklichkeit werden lassen!
Foto: Anouk Schlung