Eine neue Staffel von Germany’s next Topmodel by Heidi Klum ist angebrochen und die Kandidatinnen sind wie jedes Jahr noch schöner, noch diverser und noch selbstbewusster. Unsere Autorin hat die ersten drei Folgen zu Recherchezwecken mitverfolgt und fragt sich, wann endlich nur noch die Begleitgetränke hochprozentig sind – und nicht mehr die Quoten.

Zwischenschnitte mit Bode-Museum, Fernsehturm und anderen Berliner Wahrzeichen sowie hölzern vorgetragene Streitigkeiten kennt man bisher eher aus dem Vorabendprogramm von RTL. Aber nachdem sämtliche Flüge im vergangenen Jahr ~ due to Coronavirus ~ leider gecancelt wurden, müssen Heidi und ihre „Mädels“ statt dem üblichen Jet-Set-Lifestyle nun GZSZ mimen. Doch anders als bei der Daily Soap, wo alle Rollen sich bereits wortwörtlich in- und auswendig kennen, können Streitigkeiten, in denen die Persönlichkeit einer Kandidatin vor laufender Kamera brutal seziert wird, bei GNTM immerhin noch mit den magischen Worten „wir kennen uns doch erst seit zwei Tagen“ zumindest vorläufig beigelegt werden. Und auch wenn das Tor zur großen weiten Welt verschlossen bleibt, ist das nicht weiter schlimm – denn idiotische Challenges lassen sich schließlich überall machen. Deren gesellschaftliche Relevanz hebt Heidi besonders in diesem Jahr hervor, denn nach dem ganzen Pandemieernst dürstet der*die Fernsehzuschauer*in nach etwas seichter Unterhaltung.

Mich dürstet es nach den ersten paar Minuten der neuen Staffel eigentlich nur nach starken alkoholischen Mixgetränken – aber auch da vergisst Pro7 seine Rolle als Dienstleistungsunternehmen nicht. Dank des relativ begrenzten Wortschatzes der Jury-Mitglieder, kann man sich nach belieben ein paar Wörter rauspicken (Vorschläge der Autorin: „super“, „mega“, „ganz toll“, „Traum“, „selbstbewusst“) – und diese in ein Trinkspiel verwandeln, mit dem man spätestens zur ersten Werbepause komplett Hacke ist. Danach gilt es – als kleinen Lifehack – nur noch diesen Pegel zu halten, weil die restliche Sendung dann tatsächlich ganz lustig ist, man sich am nächsten Tag aber glücklicherweise an keine einzige Minute davon erinnern kann. Aus Gründen der journalistischen Sorgfaltspflicht konnte ich diese Lebensweisheiten leider nicht beherzigen und schlüpfrige Witze á la „steif im Bett ist nie gut“ oder „die hat aber ‘n heißen Traum“, mit denen Heidi die Performance der Kandidatinnen bekreischt, haben sich erstmal eingebrannt. Aber apropos Lebensweisheiten: Auch diese fallen bei GNTM in einer lyrischen Aufbereitung, die jedem Yogi-Teebeutel Konkurrenz macht.

Ob die Show sich selbst noch ernst nimmt, fragt man sich bereits bei der Titelmelodie, die – aus naheliegenden Gründen – von keiner geringeren Band als Tokio Hotel stammt. In ihr fällt der Satz „I don’t wanna make you cry“ und jede*r hartgesottene GNTM-Veteran*in kommt nicht umhin hier die Ohren zu spitzen. Immerhin wird sonst ein nicht unwesentlicher Anteil der Sendeminuten mit den Krokodilstränen der Kandidatinnen gefüllt. Dieser im Einspieler suggerierte Vorsatz hält auch nicht lange an, aber Gastjurorin Nikita Thompson haucht einer heulenden Kandidatin immerhin ergriffen zu: „Sogar wenn du weinst, bist du wunderschön.“ (Okay, ich will euch nichts vorspielen – spätestens hier musste ich das erste Glas exen.)

Abgesehen davon also, dass sich dieses Jahr auch kleinere, dickere, körperlich beeinträchtigte und Transgender-Frauen mit dem Wörtchen „Mädels“ betitelt vor den aufpolierten Kulissen Berlins herumscheuchen lassen dürfen und anhand sexistischer Maxime beurteilen lassen können hat sich nicht viel geändert. Aber Heidi offeriert immerhin einen kleinen Lichtblick – denn obwohl in den letzten Jahren zwar schon häufiger Curvy-Models dabei waren (und von Staffel zu Staffel auch immer mehr dieser Bezeichnung entsprechen), spekuliert sie bereits in der dritten Folge auf einen Sieg der diesjährigen Curvy-Kandidatin. Es bleibt also spannend – ich kühl’ schon mal den Wodka ein.


Foto: prosieben.de