Ein unauffälliger, goldener Riss zwischen grauen Granitplatten. Was es mit dem Mahnmal am Breitscheidplatz auf sich hat und warum dieses einen Diskurs um eine neue Gedenkkultur anstößt.

Aus der Weite ragt ein zerbombter Kirchturm in die Höhe. Je näher man kommt, desto kurioser wird der Ort. Der Breitscheidplatz. Ein mit grauen Granitplatten ausgelegter Platz, eingegrenzt von zwei Straßen, einem Einkaufszentrum und einem Gebäudekomplex. Doch um ihn zu betreten, muss man wissen, wo. Eingezäunt von einer langen Reihe von Betonblöcken, die mit farbenfrohen Transparenten aufgewertet werden sollen, und dicken grauen Bollern, ist der Platz nicht mehr so leicht zugänglich wie er es einst war.

Er ist trotz seiner Tristheit von grauer Brunnenanlage, grauer Kirche und grauer Gebäude ein Ort voller Leben. Buden, Sitzgelegenheiten und schattenspendende Bäume laden zum Verweilen ein. Kinder spielen kreischend am Weltkugelbrunnen, während die Eltern eisschleckend dabei zusehen. Menschen machen nach einer anstrengenden Shoppingtour unter den Bäumen halt und ruhen sich aus. Touristen besuchen die Ruine der Gedächtniskirche oder ein Konzert im Neubau. Aber auch zum simplen Queren wird der Platz genutzt, vom Ku’damm hin zum Zoo.
Wenn man also über den Breitscheidplatz flaniert, aus welchen Gründen auch immer, so kann es passieren, dass man stolpert. Über einen Riss. Unscheinbar und doch auffällig schlängelt sich nämlich ein goldener Riss von der Budapester Straße hinauf zur Gedächtniskirche.
So schmal, dass man ihn übersehen kann und doch so strahlend golden, dass er bei Sonnenschein lautstark auf seine Existenz aufmerksam macht.

 Doch was hat es damit auf sich?

Ein goldener Riss auf einem grauen Platz rund um die Ruine der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, eingezäunt von dicken grauen Bollern.
Man muss ihr folgen, dieser Unterbrechung, hin zur Kirche. Auf den wenigen Treppenstufen glänzen, ebenfalls golden, Buchstaben, die das Rätsel lüften.
Denn der Riss ist Teil einer Gedenkstätte, Teil eines Mahnmals.
„Zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags am 19. Dezember 2016“, steht dort geschrieben, neben den Namen der 12 verunglückten Opfer.
Doch auch ein Zusatz, eine Hoffnungsformulierung: „Für ein friedliches Miteinander aller Menschen“.

So unscheinbar wie diese Gedenkstätte auf den ersten Blick sein mag, so symbolträchtig ist sie doch. Der Riss ist wie eine Narbe, die bleibt, wenn sich etwas entzweit. Sie steht für eine Spaltung der Gesellschaft, die überwunden werden muss, ganz nach der japanischen Reparaturmethode Kintsugi, bei der zerbrochene Keramik mit Gold zusammengefügt wird und so etwas neues, einzigartiges entsteht. Und der erste Schritt dafür ist ein Ändern der Gedenkkultur. So findet man auf den Stufen die Herkunftsländer und Namen der Opfer – und nicht den des Täters.
„Wir können den Riss in Ihrem Leben nicht heilen“, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des fünften Jahrestages in seiner Rede zu den Angehörigen der Opfer, „aber wir teilen Ihren Schmerz.“
Die Gedenkstätte zeigt genau das: Der Riss wird nie wieder vollständig verheilen. Die goldene Narbe, die zurückbleibt, macht darauf aufmerksam, aber trägt auch Hoffnung in sich. Die Hoffnung, dass nicht vergessen wird, dass wir bei den Opfern sind.

Es ist ein Mahnmal, das einlädt, darüber zu stolpern, es zu entdecken und auf sich wirken zu lassen. Es ist eine Gedenkstätte, die die Zukunft in den Vordergrund rückt, indem sie ganz bewusst und doch unscheinbar auf die Vergangenheit hinweist, den Blick jedoch immer nach vorn gerichtet.
Aber es ist genauso ein Denkmal, das man bemerken kann – oder auch nicht. Genau das ist der Charme des goldenen Risses, zu existieren, aber nicht auffallen zu müssen. Denn das Leben geht weiter und der Platz verändert sich stetig, sodass Neues entstehen kann.


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