Neo ist 21 Jahre alt und studiert Filmwissenschaft und Publizistik an der Freien Universität Berlin. Während seines Erasmus Auslandsaufenthalts in Paris hat er seine wahre Identität entdeckt. Von Nichtbinarität und davon, wie es ist, sich als trans Mann zu identifizieren, erzählt er im Interview mit UnAuf:

UnAuf: Ich kenne dich noch aus einem Online-Seminar von vor einem Jahr.  Damals hattest du noch einen ganz anderen Namen.

Neo: Das war mein Geburtsname, aber diesen Namen benutze ich nicht mehr. 

Unauf: Warum hast du deinen Namen geändert?

Neo: Vor ungefähr einem Jahr habe ich mich als nicht-binär geoutet, und als ich mit dem Erasmus Programm in Paris war, dann auch als trans Mann. Ich habe den Namen aber nicht offiziell geändert, weil der Prozess einfach zu kompliziert ist und zu lange dauert. Das werde ich noch tun.

UnAuf: Was hat dieses Umdenken angeregt? Gab es irgendwie einen Wendepunkt für dich?

Neo: Mehrere, glaube ich. Ich wollte ein Projekt über Nichtbinarität machen. Dabei habe ich ein paar Videos über Transmänner auf YouTube geguckt, und hatte dann direkt so eine Genderkrise. Ich dachte: ,,Ok, ich sehe mich da in diesen Leuten!“ Dazu noch, in Frankreich, jedes Mal, wenn ich ausgegangen bin und als Madame angesprochen wurde, hat mich das so gestört.

UnAuf: Wäre es dir lieber gewesen als Monsieur angesprochen zu werden?

Neo: Ich wurde tatsächlich zweimal auf der Straße als Monsieur angesprochen, und das hat sich richtig angefühlt. Obwohl ich auch nicht so eine starke Beziehung zum „Mann-Sein“ habe. Ich bleibe von diesen strikten Gender-Vorstellungen auf Distanz.

UnAuf: Bedeutet es, dass die Identifikation bei non-binary fluid ist? 

Neo: Ich finde, non-binary an sich ist so ein umbrella term. [allgemeiner Überbegriff, Anm. der Redaktion] Für mich ist Gender ein soziales Konstrukt. Ich will durch meine Selbstidentifikation nicht von einer Box in die andere gesteckt, und als ein bestimmtes Geschlecht gekennzeichnet werden. Ich bin alles auf einmal, und gleichzeitig auch nichts davon.

UnAuf: Trotzdem möchtest du deinen Körper verändern. Wie passt das mit der Idee zusammen, dass du dich nicht mit einem bestimmten Geschlecht identifizieren willst?

Neo: Ich habe halt eine Geschlechtsidentitätsstörung und fühle mich unwohl in meinem Körper. Ich weiß, dass ich eher einen männlichen Körper haben, und von der Gesellschaft eher als Mann gesehen werden will. 

UnAuf: Hat das Unwohl-Gefühl in einem weiblichen Körper zu sein auch etwas mit dem Frauenbild in der Gesellschaft und den damit verbundenen Erwartungen zu tun?

Neo: Ich weiß nicht…vielleicht…ein bisschen schon. Aber davon ausgehend würden dann alle Cis-Frauen so sein. Ich weiß nicht, was das auslöst, dass Menschen anfangen sich als nicht-binär oder als trans zu identifizieren. Es ist ein sehr schwieriges Konzept, und es kommt ja generell aus dem Konzept des Gender, welches an sich schon schwierig ist. Die Frage ist halt, wenn es kein Gender gäbe, gäbe es dann trans*Personen?

UnAuf: Nichtbinarität ist also kein drittes Geschlecht, sondern eher ein Konzept, bei dem man sich nicht strikt als Mann oder Frau identifiziert? 

Neo: Es gibt keine bestimmte Definition von nicht-binär. Für jede Person ist nicht-binär sein halt anders. Also, ich würde auf jeden Fall sagen, dass es kein drittes Geschlecht ist. Es gibt ja auch Menschen, die sich als nicht-binär identifizieren, ohne sich unwohl in ihrem Körper zu fühlen. Das ist dann eher mit Geschlechterrollen verbunden. Hängt natürlich damit zusammen, dass die Konzepte von Femininität und Maskulinität sehr toxisch sind.

UnAuf: Hattest du in deiner Kindheit bereits Momente, wo du dich unwohl in deinem Körper gefühlt hast?

Neo: Ich weiß nicht. Ich war schon nicht so wirklich ein „Mädchen“. Ich hatte Momente wo ich mich als Junge verkleidet hab, und da habe ich mich irgendwie wohlgefühlt. Aber da konnte ich es auf jeden Fall nicht verstehen. Ich weiß nur, dass ich meinen Körper nicht mochte, vor allem mit der Brust und so. 

UnAuf: Mit wem hast du darüber gesprochen?

Neo: Am Anfang waren es nur enge Freunde. Generell bin ich auch komplett offen damit. Zum Beispiel in Paris, da habe ich meinen Professoren und Professorinnen Bescheid gesagt und gefragt, ob die mich richtig ansprechen können. Deswegen poste ich auch meine Pronomen [he/they] in Webex oder Zoom.

UnAuf: Hattest du bis jetzt irgendwelche negativen Erfahrungen mit dem Coming-out?

Neo: Ich hatte nur eine unangenehme Erfahrung auf meiner Arbeit, als ich eine Mitarbeiterin gefragt hab, ob ich auf der Fotowand meinen Namen ändern kann. Sie war dann so: „Du kannst das doch nicht machen! Du bist hier in ’ner Firma!“ Ich musste ihr dann erklären, was trans heißt. Am Ende war es schon ok, aber es war doch unangenehm, weil die Leute nichts davon wissen. 

UnAuf: Du sagtest, dass ,,die Leute nichts davon wissen”. Dabei spielt Sprache sicherlich eine große Rolle. Im Englischen, zum Beispiel, benutzt man für non-binary  die Pronomen “they/them”. Gibt es im Deutschen ein Äquivalent?

Neo: Manche benutzen so ein Neopronomen, das ist dann wie „they“, klingt aber deutscher, und heißt ,,dey.“ Ich mag das aber nicht. Es ist halt schwieriger. Im Englischen ist es schon in der Sprache drin, im Deutschen ist es ein neues Wort.

UnAuf: Was es im Sprachgebrauch nicht gibt, das existiert für uns oft auch nicht. Kommt vielleicht daher dieses Unwissen?

Neo: Das ist richtig, diese Verbindung zwischen Gender und Sprache ist sehr eng. Wenn man die Sprache ändert, dann ändert sich auch die Vorstellung von bestimmten Sachen in der Gesellschaft. Es ist auch nicht nur bei Gender so. Es ist zum Beispiel mit dem Feminismus auch so verbunden. 

UnAuf: Glaubst du, wir brauchen deshalb mehr Aufklärungsarbeit, auch in den Medien? 

 Neo: Ich glaube, es würde schon viel bringen, wenn es mehr öffentlich gemacht wird. Generell mit dem Verständnis von Geschlecht oder Gender als soziales Konstrukt. Geschlecht ist ein biologischer Begriff, und Gender ist ein soziales Konzept das mit Rollen und Erwartungen verbunden ist.

UnAuf: Warum halten Menschen so stark an den Kategorien Mann und Frau fest? 

Neo: Das sind Machtkategorien. Gender als soziales Konstrukt ist das älteste Konstrukt der Machtverhältnisse. Du hast bestimmte Stufen: Der Mann ist höher, die Frau ist irgendwie weiter unten. Wenn eine Frau anfängt, sich mit Merkmalen auseinander zu setzen, die eigentlich einem Mann zugeschrieben werden, dann fühlt sich der Mann in seiner Maskulinität bedroht. Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft. Natürlich wird diese Gesellschaft nicht wollen, dass Männer ihre Macht verlieren. Gender ist mit Feminismus direkt verbunden. Alles ist verbunden.