Die Anreise zu meinem Auslandssemester in Schottland vor ein paar Jahren gestaltete sich dank zahlreicher Missgeschicke zu einem nervenaufreibenden Abenteuer, auf das ich damals gerne verzichtet hätte. Rückblickend sehe ich es mit mehr Humor – und als Startschuss für ein halbes Jahr Reisen, Spaß und neue Erfahrungen.

Schottland ist, neben Haggis und Dudelsäcken, besonders für sein raues und unvorhersehbares Wetter bekannt. Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, nahm ich daher zwei riesige Rollkoffer zu je fünfundzwanzig Kilo mit ins Auslandssemester. Nicht gerade die idealen Gefährten für eine Anreise, die mehrmaliges Umsteigen inklusive Übernachtung erfordert. 

So kam es also, dass ich an einem Freitagabend in Edinburgh landete und mich mit meinen beiden Rollkoffern (und knurrendem Magen) auf den Weg ins Hostel machte, bevor ich am nächsten Morgen mit dem Zug weiter nach Aberdeen reisen wollte. Edinburgh wirkte an diesem natürlich regnerischen Abend von meinem Busfenster aus ziemlich trostlos, trotz oder vielleicht auch gerade wegen noch stehendem Weihnachtsmarkt. In kluger Voraussicht hatte ich mir ein Hostel in Laufnähe zum Bahnhof gesucht, damit ich am nächsten Morgen nicht noch früher aufstehen musste, um es auf meinen Zug zu schaffen. In weniger kluger Voraussicht hatte ich es allerdings versäumt, nachzulesen, dass sich besagtes Hostel im sechsten Stock befand. Ohne Aufzug, versteht sich (das hat man dann von den wunderschönen Altbauten).

Um ehrlich zu sein, bin ich auch wohlgenährt kaum in der Lage, zwei riesige Rollkoffer sechs Stockwerke eine Wendeltreppe hochzutragen, aber in meinem fast verhungerten Zustand wollte ich beim Anblick der schmalen, endlosen Stufen eigentlich nur losheulen. Ich sehnte mich nach einer warmen Mahlzeit und einem ebenso warmen Bett, aber es half ja nichts. Als ich circa zweihundert Stufen später verschwitzt und sehr außer Atem vor dem netten Herrn an der Rezeption stand, schaute der auf mein Gepäck und meinte nur: „Nächstes Mal kannst du einfach kurz anrufen, dann kommt einer von uns runter und hilft dir.“ Ja vielen Dank auch, gut zu wissen. Merk ich mir für den Fall, dass ich hier nochmal mit fünfzig Kilo Gepäck übernachten werde.

Ich hatte ein Bett im Sechser-Frauenschlafsaal gebucht, war aber zum Zeitpunkt meiner Ankunft allein im Zimmer. In Lichtgeschwindigkeit kramte ich die Brotdose aus den Tiefen eines meiner Koffer hervor, um mich über das Essen herzumachen, das ich dankenswerter Weise eingepackt hatte. Nur dumm, dass das Ding sich nicht öffnen ließ. Die Brotdose war so zwischen Pullis und Büchern eingedrückt, dass sich innen eine Art Vakuum gebildet hatte und sie sich einfach nicht öffnen ließ. Ich konnte das Essen durch den mattierten Deckel der Dose sehen, ich konnte es sogar fast riechen. Nur essen eben nicht, weil sich die blöde Dose gegen mich verschworen hatte. Nach circa einer Viertelstunde erbitterten Kampfes und fast blutigen Fingernägeln kam ich auf die grandiose Idee, es mit einer Nagelfeile zu probieren und hatte tatsächlich Erfolg, weshalb ich dann doch nicht im sechsten Stock eines Hostels in Edinburgh des Hungertodes sterben musste. 

Hungrig im Hostel

Frisch gestärkt machte ich mich daran, mein zahlreiches Gepäck in das überraschend geräumige Schließfach zu packen. Die großen Koffer hatte netterweise der Typ von der Rezeption in einen separaten Raum gesperrt, aber ich hatte ja auch noch Handgepäck dabei – ihr merkt schon, ich bin nicht die richtige Ansprechpartnerin für minimalistisches Reisen. Die Schließfächer waren offensichtlich selbst gebaut mit einer Holztür, die mir doch recht instabil erschien. An diesem Punkt entschied sich mein übermüdetes Hirn unbewusst dazu, diese These mal auf die Probe zu stellen, und so drückte ich die Tür, um sie zu öffnen, nach innen statt nach außen. Es krachte einmal schön laut und schon hatte sich die Tür von der Angel gelöst und ich hatte das gute Ding in der Hand. Zu meinem Glück war der Typ von der Rezeption (zu dem Zeitpunkt waren wir praktisch schon die besten Freunde) sehr entspannt und gab mir einfach ein anderes Schließfach, das ich dann tatsächlich auch einwandfrei öffnete. Ich habe dem Hostel dafür eine Fünfsterne-Onlinebewertung hinterlassen – trotz Wendeltreppe!.

Um mich vor weiteren Missgeschicken zu bewahren, ging ich danach ziemlich schnell schlafen und bis zu meiner Weiterreise am nächsten Morgen verlief dann auch tatsächlich alles glatt. Nachdem mein Gepäck und ich es mit der Hilfe einer Hostelmitarbeiterin wieder auf Erdgeschosshöhe geschafft hatten, kam ich etwa eine halbe Stunde zu früh am Bahnhof an. Das Gleis, von dem mein Zug abfahren sollte, stand noch nicht fest und so platzierte ich mich strategisch klug vor den Tafeln mit den Abfahrtszeiten in der Eingangshalle. Nach einer Weile wurde ich nervös und so machte ich mich auf den Weg ins Reisezentrum, wo ich nach kurzem Anstehen erfuhr, dass mein Zug in fünf Minuten von einem Gleis am anderen Ende des Bahnhofs abfuhr. Natürlich, von wo denn auch sonst? Aufgrund der Koffer war ich auf den Aufzug angewiesen, der mich mit unerträglich langsamer Geschwindigkeit ein Stockwerk höher beförderte, von wo ich eine Brücke überquerte, um dann erneut in den Aufzug zu steigen, um wieder ein Stockwerk tiefer zu gelangen. Ich traf zeitgleich mit meinem Zug am Gleis ein, während ich zum ungefähr hundertsten Mal meine beiden Rollkoffer verfluchte. 

Reisen macht Spaß, Koffer schleppen weniger

Etwa zweieinhalb Stunden und eine wirklich sehr schöne Zugfahrt später stieg ich in Aberdeen aus und fand erstaunlich schnell den Bus, der mich angeblich in die Nähe meines Studentenwohnheims bringen sollte. Nach einer besorgniserregend vagen Aussage der Busfahrerin bezüglich meiner Haltestelle, schaffte ich es dann doch, an der Richtigen auszusteigen. Laut meinem Smartphone trennten mich nun nur noch etwa zehn Minuten Fußweg von meinem Ziel, ein Gedanke, der mir nach inzwischen über vierundzwanzig Stunden schlimmster Reisestrapazen fast zu schön vorkam, um wahr zu sein. Damit der letzte Streckenabschnitt jedoch nicht zu langweilig wurde und ich noch einmal eine Gelegenheit bekam, mich selbst für meine Gepäckauswahl zu hassen, lag das Studentenwohnheim auf einem Hügel, der unter normalen Umständen wirklich gut zu meistern ist. Mit jeweils fünfundzwanzig Kilo Gepäck in der Hand und wenig Kondition im Körper hätte der Hügel jedoch fast mich bezwungen statt anders herum. Nach ein paar Verschnaufpausen inklusive mitleidiger Blicke Vorbeieilender erreichte ich dann aber doch das heilige Land in Form heruntergekommener Studentenwohnungen, das im Laufe des Semesters zum besten Zuhause wurde, das ich mir hätte wünschen können. 

Mein Zimmer war winzig, die Heizung ließ sich nicht abschalten (was gegen Ende des Sommersemesters dann selbst in Schottland für tropische Nächte sorgte), unsere Nachbarn waren ziemliche Nervensägen und trotzdem habe ich nur gute Erinnerungen an meine Zeit dort. Es waren Monate voller neuer Erfahrungen, unglaublicher Landschaften und Begegnungen, die mich dankbar dafür machen, diese Möglichkeit gehabt zu haben. Und so wurden die Anreisestrapazen für mich durch die darauffolgenden Monate mehr als wett gemacht, und dienen mir heute rückblickend als witzige Anekdote und Erinnerung, dass manchmal weniger (Gepäck) dann doch mehr ist.