Die Klausurenphase läuft, die Hausarbeit liegt in den letzten Zügen. Der Stresspegel ist hoch, aber die lang ersehnte Reise naht. Doch statt Sonnenbaden an der Amalfiküste steht dann Fieber im Hostel-Bett an. Warum wir im Urlaub oft krank werden.

Die Sonne steht im Zenit über Neapel, kleine Gassen laden zum Flanieren ein. Ich sitze am Palazzo Zevallos Stigliano und vegetiere zwischen Immersion in Pistazieneis und einem Schluck Negroni. Neben mir werden Zigarettenetuis geöffnet, Schokocroissants verspeist, alte Romane gelesen. Meine nächste Destination ist der nahegelegene Stadtstrand. Dort angekommen auf einer rustikalen Sonnenliege, freue ich mich, meinen weißen Bauch nach über einem Jahr mal wieder der Sonne entgegenzustrecken. Doch die Entspannung hält nicht lange an, mein Hals beginnt zu kratzen, mir wird heiß und kalt. Ich spüre etwas bricht über mich herein und ich verlasse fluchtartig die Strandkulisse. 

Zurück im Hostel huste, niese und zittere ich fünf Tage lang bevor sich Besserung einstellt. Ein Jahr zuvor auf Kreta erging es mir ähnlich. Warum werde ich ausgerechnet im Urlaub krank? Langeweile und Wut im kleinen Stockbett lassen mich das Phänomen ergoogeln. Bekannt unter dem Stichwort “Leisure Sickness” scheint regelmäßiges Krankwerden in Entspannungsphasen, unter anderem im Urlaub, weit verbreitet. Jeder fünfte Deutsche war einer Studie zufolge (IUBH 2017) bereits betroffen. Da spart man vorher, hat höchstgradig Stress im Alltag mit Uni und Job, arbeitet nur auf den Urlaub hin und endet dann fiebrig im ,,Tric Trac Hostel”. Genau darin scheint die Ursache begründet: Die kräftezehrende Arbeit zuvor, für die man sich entlohnen will, wird zum Verhängnis. 

Wenn wir starken Belastungen ausgesetzt sind, zum Beispiel während Prüfungsphasen, läuft das Immunsystem auf Hochtouren. Der Stress sorgt dafür, dass wir nicht krank werden, alle Kräfte werden gesammelt. Das war evolutionär ziemlich vorteilhaft. In Gefahrensituationen musste der Körper funktionieren, es ging um Leben und Tod. Auch heute ist dieser Mechanismus natürlich hilfreich für die körperliche Stabilität, wenn es drauf ankommt. Doch laut dem Immunologen Carsten Watzl, muss sich das Immunsystem nach hoher Stressbelastung in Entspannungsphasen regenerieren. Es fährt herunter, ist zunächst noch geschwächt und wir sind anfälliger für diverse Krankheiten. Um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass man auf einer lang ersehnten Reise außer Gefecht gesetzt ist, wird angeraten, Stressphasen vor dem Urlaub zu vermeiden. Expert*innen empfehlen darüber hinaus autogenes Training, Sport und gesunde Ernährung, um das Immunsystem konstant stabil zu halten.

Eine Woche vor meinem plötzlichen körperlichen Einbruch an der italienischen Küste habe ich noch Klausuren und Hausarbeiten geschrieben, nebenbei gearbeitet. Tagesmenü dabei: Yum Yum Suppe mit frischen Chilies und Kaffee, dazu drei Zigaretten. Ich nehme mir vor, disziplinierter zu entspannen und besser zu planen, um konzentrierten Stress inklusive Mangelernährung zu vermeiden, aber ich weiß es wird schwer. Vielleicht handelt es sich bei Leisure Sickness um ein Symptom unseres kapitalistischen Systems, dem langfristig eher durch andere Strukturen in der Gesellschaft vorgebeugt werden sollte denn allein durch individuelle Optimierungsversuche. Längere Regelstudienzeit, 30-Stunden-Woche, mehr Urlaubstage, alles langsamer.