Reisen wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer schwieriger werden. Doch wer unterwegs die Augen aufgemacht hat, wusste ohnehin schon, dass es nicht mehr lange so weitergehen konnte. Über die Irrungen und Wirrungen unseres modernen Reiseverhaltens und meine Erlebnisse damit.

2019 gaben die Deutschen insgesamt noch rund 73,1 Milliarden Euro für Urlaubsreisen aus. 2020 lagen die Gesamtausgaben nur bei circa 45 Milliarden. Was sich durch Corona gezwungenermaßen durchgesetzt hat, könnte auch in den nächsten Jahrzehnten zur neuen Norm werden. Um die globale Erwärmung unter 1.5 Grad zu halten, müsste sich unser jährlicher CO2-Ausstoß nämlich bei zwei Tonnen pro Person einpendeln. Durchschnittlich verbrauchen die Menschen hierzulande mit zehn Tonnen pro Jahr aber momentan noch das Fünffache. Fliegen kann den ökologischen Fußabdruck dabei mal ganz eben in die Höhe schnellen lassen.

Durch den Klimawandel werden außerdem in manchen Teilen der Welt ganze Landstriche unbewohnbar werden. Angesichts dessen, dass Menschen deshalb ihre Heimat verlieren, spricht die Philosophin Eva von Redecker sogar über eine neuen Form von Freiheit: die Bleibefreiheit. Klingt allerdings erst mal gar nicht so toll, nun auch noch den Sommer über wahlweise im 10qm WG-Zimmer oder dem Zweitausend-Einwohner-Heimatkaff rumzuhängen.

Wenn ich mich aber zurücklehne und einmal über vergangene Reisen nachdenke, fällt mir dabei besonders eins auf: Wie überzogen unser Anspruch ans Reisen geworden ist. Mal eben ein Wochenendtrip in die nächste europäische Metropole? Na klar! Schnell von Berlin nach Frankfurt? Kein Problem! Indien, Australien und Brasilien? Auch nur einige Flugstunden entfernt und ein Muss für alle kundigen Weltbürger*innen. Wenn es nach Elon Musk ginge, und das tut es leider ziemlich oft, dann sollen sogar Reisen zum Mars in ein paar Jahrzehnten eine erschwingliche Angelegenheit werden. Diese Form von Abenteuer und Auszeit beanspruchen Menschen wie selbstverständlich für sich. Als Ausgleich zum stressigen Job, als Sebsterfahrungstrip nach dem Abi, um ein wichtiges emotionales Ereignis zu verarbeiten oder – sind wir ehrlich – um einfach mal was anderes zu sehen, als immer den gleichen langweiligen Strauch vor der eigenen Haustüre. 

Authentizität als Ideal

Aber tun das wirklich alle Menschen? Natürlich nicht. Nur einem vergleichsweise kleinen Anteil der globalen Weltbevölkerung ist ein solches Privileg überhaupt zugänglich: Der Mittel- und Oberschicht westlicher Konsumgesellschaften. „Natürlich“, sagt ihr jetzt, „das wissen wir doch alle und das haben wir natürlich auch schon total reflektiert. Deshalb machen wir auch nur Backpackertourismus. Und sowieso, dieser sesshafte Lifestyle ist ja auch nur ein modernes Irrtum. Die Wurzeln des Menschen liegen nämlich im Nomadischen.“ Mag ja alles stimmen. Fakt ist aber auch, dass diese spontane Authentizität in unserer vernetzten und vermarkteten Welt häufig nur noch ein Idealbild ist. Wo Airbnb-Wohnungen das Leben in den Innenstädten auf den Kopf stellen und idealisierte balinesische Inselparadiese unter völlig zugemüllten Stränden leiden. Wo, wenn dann doch noch mal was Echtes aufblitzt, es schnell abfotografiert und auf Social Media hochgeladen wird – guckt mal hier: ein bisschen Authentizität! 

Dabei tut sich ein Dilemma auf, denn zwischen Armutstourismus und der Jagd nach dem nächsten Instapic bildet Reisen ja auch wirklich. Der kulturelle Austausch und das Verständnis für andere Lebensweisen sind wichtig und unbezahlbar. (Obwohl, eigentlich kann ich es sogar ziemlich genau beziffern: 2018 für mich beispielsweise dreißig Euro für einen Flug von Israel nach Deutschland.)

Zunächst dachte ich, ich halte dem Druck stand. Nicht, dass ich nicht überlegt hätte, aber: Nach dem Abi nach Australien kam mir irgendwie ausgelutscht vor. In Costa Rica Babyschildkröten retten stand kurz auf meiner Agenda, aber scheiterte dann auch irgendwie an einer Kombination aus meinem schlechten Spanisch und fehlender Motivation. Was für ein paradiesischer Job das gewesen wäre. Fast schon zu gut, um wahr zu sein, und dabei noch was tun für das eigene Gewissen!

Ich blieb also in Deutschland und fing an zu studieren. Meine Kommiliton*innen schwärmten von ihren Erlebnissen: Indien, Australien, Neuseeland, Myanmar. Thailand oder Kambodscha. Ich dagegen fuhr brav wie jedes Jahr mit meiner Familie nach Italien und besuchte ein paar Festivals – auch schön. 2018 tat sich dann aber doch eine Möglichkeit auf: Für Studienreise in Peking wollten sich ein paar Student*innen zusammentuen und es wurden noch Teilnehmer*innen gesucht. „Na gut, immerhin lerne ich etwas dabei und ein paar Leistungspunkte gibt es auch noch.“ – das war so ungefähr mein Gedankengang, mit dem ich mich anschloss. Anders als meine Kommiliton*innen buchte ich die Reise dann aber noch zwei Wochen länger, denn wenn ich schon mal um den halben Globus fliege, dann soll sich das Ganze doch immerhin lohnen, oder? Frohen Mutes stürzte ich mich in das Abenteuer, endlich auch mal die Welt zu entdecken. 

Work-and-Travel fast schon Pflicht

Der spontane Travel-Lifestyle war in China dann aber doch irgendwie schwieriger, als mein naives und unerfahrenes Ich sich das so vorgestellt hatte. Ich erinnere mich beispielsweise noch lebhaft an den Moment, in dem ich mit meinem schwerem Rucksack beladen auf einer tropischen Insel namens Hailing in Südchina ankam. Zu meiner Ernüchterung war beinahe der komplette Strand nur mit Eintritt zugänglich. Dank engagierter Zensur von Google & Co seitens der Regierung, war es schwierig gewesen, sich im Vorhinein vernünftig zu informieren. „Was ein kommerzieller Mist. Da mach ich nicht mit!“ sagte ich mir und strauchelte auf den einzige frei zugänglichen Bereich des Strandes zu. Plötzlich fiel mir allerdings der adrett gekleidete Polizist auf, den ich in etwa 800 Meter Entfernung schnurstracks auf mich zukommen sah. Wie sich herausstelle, war es verboten, diesen Teil des Strandes zu betreten. Ich denke ich muss nicht erwähnen, dass das mit dem Campen dann auch nicht wirklich geklappt hat.

Was ich aber daraus gelernt habe ist, dass das spontane Work & Travel so vielleicht auch in anderen Ländern gar nicht existiert. In Australien beispielsweise verlässt sich ein ganzer Wirtschaftszweig auf deutsche Abiturient*innen und ähnliche Kandidat*innen, um saisonale Ernten mit Mindestlohn am Laufen zu halten. Thailand ist ohne Tourismus mittlerweile völlig aufgeschmissen, was während der Coronapandemie mehr als deutlich wurde: 39,8 Millionen ausländische Touristen besuchten 2019 das Land. Während der Pandemie waren es lediglich acht Millionen. Ein Verlust, von dem sich die Wirtschaft, so wird gemutmaßt, noch jahrelang nicht erholen wird. Das authentische Reisegefühl wird oft auch bewusst aufrechterhalten, um Tourist*innen einen guten Urlaub zu ermöglichen. 

Doch sogar der Generationen von Deutschen unentbehrliche Sommerurlaub am Mittelmeer ist nicht mehr so unbeschwert, wie er es vielleicht mal war. Wöchentlich neue Nachrichten über Geflüchtete, die auf der Überfahrt den Tod finden, machen das Mittelmeer zu einem dunklen Ort. Strandverkäufer*innen mit illegalem Aufenthaltsstatus, die tagsüber die glühenden Sandstrände abklappern und (häufig vergeblich) versuchen, Markenimitate, Billigschmuck oder Flechtfrisuren unter die Leute zu bringen, müssen nachts provisorisch an ungestörten Orten campieren und führen den Tourist*innen die grausame Realität der globalen Wirtschaftsordnung quasi direkt vor den Liegestuhl.

In einem abgeschotteten Land wie China dagegen, dessen Regierung eine ausgesprochen nationalistische Politik verfolgt, sind europäische Lifestyle-Hippies wie ich (um Sahra Wagenknechts umstrittenen Begriff mal ein bisschen auszuweiten), vermutlich nicht grade die beliebteste Gruppe an Menschen. Tourismus ist dort ein verschwindend kleiner Sektor. Wenn kein Profit mit Reisenden gemacht werden kann, sieht die Lage also schnell auch mal ganz anders aus.

Vielleicht bleibe ich diesen Sommer also einfach mal Zuhause. Wer nicht grade in Kreuzberg, Prenzlauer Berg, Neukölln, Friedrichshain oder Mitte unterwegs ist, kann ja auch hier in Berlin eine richtig #authentische Zeit haben …