Unsere Kolumnistin Malin wirft einen Blick auf und hinter die Kulissen der Gegenwartsdramatik. Folge 2: Der Gang vor die Hunde

Frank Castorf ist ein Regisseur mit großem Namen. Seine Inszenierungen jagen Theaterbesucher*innen einen kleinen Schauer über den Rücken, wenn man die mehrstündigen Vorstellungen denkt, in deren zweiter Pause man das fehlende Essensangebot vor Ort im Theater bitter registrieren muss. Castorf, der Zeit seines Lebens aufgrund seiner politischen Einstellungen Aufsehen erregte, und sowohl in BRD als auch DDR inszenierte, ist heute mehr zum Mythos als zur Legende geworden. Wenn nachtkritik.de schreibt, dass es sich bei Castorf um einen der wichtigsten Regisseure der Gegenwart handelt, dann ist man geneigt der Aussage glauben zu schenken und den qualitativen Wert der Inszenierungen in beeindruckender Textarbeit und gewaltigen Bühnenbildern zu suchen, wie bei „Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!“ am Akademietheater Wien oder „Deněk Adamec“ am Burgtheater Wien. Die Fakten sprechen wohl für Castorf, den anarchistischen Querulanten, aber wie sieht ein solcher Abend mit seiner jüngsten Inszenierung am Berliner Ensemble „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ konkret aus? Ist es Hype oder doch künstlerisches Genie, das die hunderten Besucher*innen in das gnadenlos ausverkaufte Berliner Ensemble lockt oder doch beides?

Das Bühnenbild verspricht einen Abend, der das Theater in die Boheme der 20er Jahre Berlins zurückversetzt und Tom Schilling in der gleichnamigen Kino-Version des Romans traurig mit Zigarette im Mund zurücklässt. Im Subtitel des Stückes wird der Autor Erich Kästner vermerkt, was die Erwartungen im Publikum derart schürt, Textpassagen aus dem geliebten Roman oder wenigstens von Kästners Werk im Allgemeinen wiederzuerkennen und zu erleben. Doch als Marc Hosemann, alias Jakob Fabian, die Bühne betritt, wird schnell klar: sie werden kein Kästner-Stück sehen!

Castorf gelingt es, auf knapp fünf Stunden verteilt, ein Stück zu inszenieren, das beeindruckend wenig mit dem Roman „Fabian“ zu tun hat, sondern stattdessen einen orgasmischen Wettkampf popkultureller Referenzen präsentiert. Vollkommene Sinnaufgabe scheint zum Markenzeichen der Inszenierungen Castorfs geworden zu sein, hinter der man zwar ein dramaturgisches Konzept vermutet, aber sich der Umsetzung nicht geheuer zu sein scheint. Ist eine solche Inszenierung nur noch Textschlächterei, wie sie auf der Bühne durch eine Metzgerei und den Umgang mit rohem Fleisch verbildlicht wird, pure Provokation oder schlichtweg Zynismus? Das erwartete Hochkochen der Gefühle bleibt aus, stattdessen tritt eine gewisse Tristesse zu Tage, die auch der Auftritt Wolfgang Michaels und sein exzessiver Kartoffelsalatkonsum nicht mehr verhindern kann. Von der Bühne geht eine eigenartige Aggressivität und gleichzeitige Einöde aus, die eine Romangrundlage noch schemenhaft erkennen lassen, aber durch hinzugefügte Handlungsstränge die antizipierten Schwerpunkte verschieben.


Foto: Jeremy Bezanger