Eigentlich sollte die Neuinszenierung des ,,Lohengrin‘‘ am 13.12.2020 Premiere feiern, doch die Pandemie zog diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Nun, ein gutes Jahr später, wird uns ein ,,Lohengrin‘‘ zuteil, der – wie so viele kontemporäre Wagner-Inszenierungen – sein Für und Wider hat. Lohnt es sich hierfür wirklich, in die teuren Staatsoper-Karten zu investieren?

Die Oper ,,Lohengrin‘‘ gehört zu den Werken, die als Beispiel für die Gattung ,,Oper‘‘ genannt werden können. Zurecht wird ,,Lohengrin‘‘ als eine der Meisterwerke Richard Wagners genannt und doch ist das Werk selbst in seiner Form und Fassung widersprüchlich. Wagner hält hier etwa an der Operntradition, gegen die er selbst polemisierte, fest. Ja, er ist gar von ihr abhängig, wenn es darum geht, seine Ideen in die passende Form zu gießen. So findet sich der ,,Lohengrin” schlechterdings in einer prekären Mitte zwischen Historiendrama und Märchenoper wieder.

Doch was ist die eigentliche Geschichte, die hinter dem Frageverbot Lohengrins und dem Verstoß Elsas gegen dieses steckt? Weniger eine Elsa, die sich nicht zusammenreißen kann, ist hier Kern der Oper, sondern vielmehr die grausame Ambivalenz des Frageverbots. Es ist Elsas tiefe Liebe, die sie dazu treibt, das Gebot zu verletzen, an das die Verwirklichung ihrer Liebe geknüpft ist. Und doch ist es eigentlich ,,gut gemeint‘‘, ja es ist der Versuch eine schlichte Anbetung zu verhindern und eine wirkliche Liebe im eigentlichen Sinne entstehen zu lassen. Lohengrin will die Fremdheit, unter der er leidet, ablegen und verfestigt diese doch ungewollt durch sein Verbot.

Zurückhaltung statt Skandal-Inszenierung

Wer aber bei all dem an lange Gewänder und opulente Bühnenbilder denkt, hat weit gefehlt. Der Regisseur Calixto Bieito, der sich durch vergangene Arbeiten den Ehrentitel ,,Skandalregisseur‘‘ erworben hat und von dem man eher Blut und Sexbilder erwartet, zeigt sich an der Staatsoper fast zurückhaltend. Ja, er geriert sich tiefenpsychologisch, empathisch, einfühlsam und inszeniert den rettenden Schwan als Fiebertraum, in dem eine Frau ersteren wie ein Kind zur Welt bringt. Eine Hommage an Joseph Beuys Bild ,,Schwangere und Schwan‘‘? Dabei stellt die schwarz-weiße Ästhetik die Frage nach dem Fremden, nach dem In-die-Welt-geworfen-sein von Elsa und Lohengrin.

Im Gerichtssaal spitzt sich die Liebesgeschichte zu. Foto: Monika Rittershaus

Auch im weiteren Verlauf gelingen Bieito interessante Bilder, etwa wenn Elsa in der Szenerie eines echten Gerichtssaals  der Prozess gemacht wird und Lohengrin sie aus einem Stahlkäfig errettet. Auch die Hochzeitsnacht, die auf einem weißen Designersofa sowie auf einem modern-kitschigen Flauscheteppich stattfindet, stellt ihre ganz eigenen Fragen. Diese Inszenierung verlagert das Geschehen in die Gegenwart. Da wird mit Bürostühlen geworfen und Schwertkämpfe werden gedanklich ausgetragen. Da reckt das prozessbeobachtende Volk im Gerichtssaal Schilder mit ,,Hoffnung für alle‘‘ hoch und Elsa kritzelt das Wort ,,Liebe‘‘ auf Lohengrins Jackett.

 

Doch wenngleich hier und da spitzfindige Momente eingestreut sind, etwa wenn die Willkür eines Rechtssystems, das auf Gottesurteile hofft durch die Darstellung des Herrrufers als Hanswurst, der sich später gar als Clown schminkt, demaskiert wird, bleibt alles – was die Inszenierung betrifft – herrlich uninspiriert. Dazu kommen immer wieder inszenatorische Undeutlichkeiten, die sich erst beim vertieften Studium des Programmheftes lösen lassen. Warum prägen den Dialog zwischen Ortrud und Telramund zahllose, partiell zertrümmerte Kinderpuppen? Warum kommt in den Videoprojektionen in schnellen Schritten neben Schwänen, Vampiren auch Paulchen Panther vor? Und warum schlägt sich Elsa bei der Offenbarung Lohengrins als Gralsritter wahllos gegen die Brust? Vermutlich sind all‘ das gutgemeinte und wohlbedachte Winke mit Zaunpfählen eines gelangweilten Regisseurs – beim Publikum kommt diese verfehlte Metaphorik allerdings nur sehr selten an.

Wie die Musik ,,Geist der Erzählung‘‘ repräsentiert

Auch die Singenden des Abends können die offen gebliebenen Fragen nur lückenhaft beantworten, wenngleich sie gute sowie sehr gute sängerische Leistungen vollbringen. Gigory Shkarupa als Heinrich der Vogler singt prägnant, Vida Mikneviciute, die die Elsa von Brabant gibt, liefert nach anfänglichen Textschwierigkeiten dergleichen glanzvoll ab und auch Martin Gantner als Friedrich von Telramund leistet ganze Arbeit. Gerade Mikneviciute gelingt eine gute Akzentuierung und breite Schattierung ihrer Rolle – sie zeichnet die tief unsichere und angsterfüllte Elsa trefflich ab. Einzigartig ist auch Roberto Alagna, der den Lohengrin singt. Teils auf Knien, teils liegend meistert er die langen und herausfordernden Partien bravourös und auch die Intonationsprobleme der vergangenen Auftritte sind nun nahezu verschwunden.

Dirigent Pintscher, der sonst eher als Komponist neuer Musik bekannt ist, rangiert mal überzeugt, dann wieder viel zu zaghaft und oft zu oberflächlich bei seinem Dirigat der Staatskapelle. Es gibt wohl Teile der Oper, in denen er sich wohler fühlt, als in anderen. Seine Interpretation ist nicht glatt, sondern immer wieder eher unstimmig, fraglich und an einigen Stellen sogar unsicher. Die Musiker der Staatsoper nehmen ihm dies aber keineswegs übel, sondern spielen fabelhaft.

Nicht zu vergessen ist auch der von Martin Wright einstudierte Chor der Staatsoper. Er präsentiert das Herzstück der Oper, nämlich den Brautchor. Wie oft ist dieses Stück zusammenhangslos und damit verfehlt interpretiert worden? Nur in dem Kontext der Zwielichtigkeit, der Zerrissenheit Elsas entfaltet er seinen wahren Klang, der dann die Vergeblichkeit, die ihren Schatten über die Szene wirft, fein ziseliert ausmalt. Genau das gelingt dem Chor auf eindrückliche Weise. Da sind Szenen, in denen die Musik mehr überträgt, als es Worte jemals könnten, Momente, in denen die Musik – wie Thomas Mann einst formulierte – den ,,Geist der Erzählung‘‘ repräsentiert.

Die Lohengrin-Inszenierung hat ihren ganz eigenen Reiz und auch die Singenden sowie das Orchester leisten über die weitesten Strecken gute Arbeit – es kann sich nun durchaus lohnen, in teure Staatsoper-Karten zu investieren. Interessant wird in den nächsten Monaten der Vergleich mit der Produktion des ,,Lohengrin‘‘ an der Deutschen Oper Berlin. Erst dann lässt sich feststellen, ob der Staatsoper-Lohengrin auch im direkten Vergleich bestehen kann.


Der Lohengrin an der Staatsoper ist am 24. und 30.04.2022 sowie am 07.05.2022 zu sehen. Karten hierfür könnt ihr zum gegebenen Zeitpunkt an den Kassen der Staatsoper sowie im Webshop ergattern. Wer nicht bis zum Frühjahr warten möchte, dem sei die Deutsche Oper Berlin ans Herz gelegt, die ,,Lohengrin‘‘ in dieser Spielzeit auch im Programm. Hier wird die Oper schon am 06., 13. und 19.02.2022 gespielt.

Foto: Monika Rittershaus