Zwei der besten deutschen Schauspieler, Nina Hoss und Lars Eidinger, als dynamisches Zwillingspaar in der Krise. Ruhiges, realistisches Familiendrama besticht zwar nicht durch Sensation, aber Ehrlichkeit.

Aus dem Arm einer Frau fließt Blut durch ein Plastikröhrchen, bald sehen wir den Empfänger dieser Transfusion. Es ist Sven, der im Krankenhaus liegt, die Glatze ein Hinweis auf seine Krebserkrankung. Das Opernlied „Schwesterlein, Brüderlein” erklingt nach der Expositionszene. Das besagte Geschwisterpaar sind die Zwillinge Lisa und Sven. Diese werden fantastisch von Nina Hoss und Lars Eidinger gespielt, letzterer in einer Art Meta-Version seiner Selbst. 

Sein Charakter Sven ist Schauspieler an der Berliner Schaubühne, wie Lars Eidinger es selbst schon seit 20 Jahren ist. Damit beginnt auch die Geschichte, mit der Rückkehr zur Bühne, die sich Sven mehr als alles andere wünscht um wieder ein Stück Normalität zu fühlen. In einer strubbeligen blonden Perücke und Krone unterbricht er eine Bühnenprobe mit einem Hamlet-Monolog, den Eidinger ohne zu zögern auswendig aufsagen konnte. Die Rückkehr wird jedoch von seinem Regisseur vorerst unterbunden, da dieser nicht sehen möchte, wie jemand auf der Bühne stirbt. Lisa, die eigentlich Autorin ist, sieht in ihr und ihrem Bruder eine allegorischen Hänsel und Gretel, zwei verlorene Kinder, die sich ohne Unterstützung von außerhalb der lebensgefährlichen Krankheit Svens stellen müssen. Seit seiner Diagnose hat Lisa nicht mehr geschrieben, es ist als ob ein Teil von ihr auch von Krankheit gelähmt ist.

Also heißt es für Brüderlein und Schwesterlein zunächst zurück zur chaotischen Mutter, die schon längst nicht mehr in der Lage ist, sich um sich selbst geschweige denn um ihren kranken Sohn zu kümmern. Später verlagert sich das Geschehen in die Schweiz, wo Lisa mit ihrem Mann und ihren Kindern lebt und sie Sven zur Erholung nach langem Krankenhausaufenthalt in die Bergluft führt. Hier verschiebt sich der Fokus etwas mehr auf Lisas Leben und dem emotionalen Druck unter dem sie steht. Sie möchte unbedingt wieder nach Berlin zurückziehen, ihr Mann hingegen will seiner Anstellung zuliebe in der Schweiz bleiben. Zusätzlich zu ihren familiären Verpflichtungen jongliert sie noch die Pflege, der für sie wichtigsten Person, ihrem Bruder.

Lars Eidinger © Vega Film
Lars Eidinger in der Rolle des Sven in Schwesterlin” © Vega Film

Eine Geschwisterbeziehung im Zentrum einer Geschichte zu sehen ist erfrischend und beinahe eine Seltenheit im Kino, erst recht in Verbindung mit der Krebserkrankung. Filme um Sterbende gibt es viele, aber mit dem Fokus auf dieser Beziehung fühlt er sich neu an. Es gibt viele intime Szenen, in denen Lisa Sven pflegt oder seine Haare beim Übergeben hält, die zeigen wie nahe sie sich stehen. Diese symbiotische Beziehung könnte ohne die aufeinander abgestimmten Leistungen von Hoss und Eidinger nicht funktionieren, sie sind ein echter Glücksfall für diesen Film.

Als sie einmal einen verbrannten Kuchen essen, sagt Lisa: „Das darfst du nicht haben, davon kriegst du Krebs.” unter schmunzelndem Weiteressen von Sven. Das Drehbuch überzeugt mit spritzigen Dialogen und Herz, auch wenn alles sehr reinlich in einem wohlhabenden künstlerischen Milieu angesiedelt ist und diese Blase auch nicht verlässt. Dass Sven schwul ist, wird nur am Rande gezeigt und ist nicht sein charakterisierender Zug, wie es häufig in Filmen mit LGBT+ Themen der Fall ist. Auch wenn er sich nach einem Ex-Partner sehnt, hat dieser nie den Stellenwert erreicht, den seine Schwester für ihn hat.

Es ist ein Film, der leicht hätte pathetisch sein können, aber mithilfe der herausragenden Schauspieler ein authentisches Portrait von Geschwisterliebe in schweren Zeiten ist. Schwesterlein ist kein bahnbrechendes Werk, sondern läuft eher in der Kategorie „im ZDF mit Mama gesehen”. 

Schwesterlein

Regiesseure: Stéphanie Chuat, Véronique Reymond

Produktionsland: Schweiz, Deutschland

Filmlänge: 99min

 

(Fotos: © Vega Film)