Das streng katholische Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Die Fronten zwischen feministischer Seite und Pro-Life sind verhärtet. Urszula vom Kollektiv Dziewuchy Berlin erzählt von Abtreibungen, Aufklärung und weiblicher Solidarität. 

Polen bekommt aktuell viel mediale Aufmerksamkeit und Kritik aufgrund seines diskriminierenden Umgangs mit LGBTIQ*. Aber nicht nur daran zeigen sich die Konsequenzen des Zusammenspiels von einflussreicher katholischer Kirche und rechtspopulistischer Regierung. Auch die strengen Abtreibungsgesetze verdeutlichen das Problem. Seit 1993 sind Schwangerschaftsabbrüche in Polen in nur drei Fällen erlaubt: Wurde die Frau vergewaltigt, ist das Leben der Schwangeren in Gefahr oder weist der Fötus schwere Missbildungen auf.

Protest (auf Abstand) 

Im April 2020, mitten in der Corona-Krise, wurde in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, das diese ohnehin schon sehr restriktiven Gesetze noch weiter verschärfen würde. Vorgeschlagen von der Pro-Life-Organisation „Stiftung Leben und Familie“ würde dieser Gesetzesentwurf die Abtreibung beschädigter Fötusse verbieten. Da diese Abtreibungen aber den Großteil der vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche ausmachen, würden diese damit im Grunde ganz verboten werden.

Durch die Ausgangsbeschränkungen konnten Pol*innen im April nicht auf der Straße gegen diesen Gesetzesentwurf protestieren. Mit Protesten vom Balkon, Autokorsos und unter den Hashtags #czarnyprotest und #strajkkobjet konnte eine finale Verabschiedung trotzdem verhindert oder eher verschoben werden. Die Debatte stand 2020 nämlich schon zum dritten Mal im Raum: Bereits 2016 und 2018 wurde darüber gestritten, die Rechte von Schwangeren noch weiter einzuschränken. 

Nachdem der Vorschlag einer weiteren Verschärfung der Gesetze 2016 das erste Mal aufkam, hat sich ein globales Netzwerk gebildet, das weltweit Polinnen in Polen unterstützt. Teil dieses Netzwerks und Organisator*innen der Proteste, des „Schwarzen Protests“, ist das Berliner Kollektiv Dziewuchy Berlin. 

Sie demonstrieren, informieren und unterstützen polnisch sprechende Frauen in Berlin und im Rest Deutschlands. Mit Arbeits- und Wohnungslosigkeit, aber vor allem mit der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen. Da Frauen in Polen oft keine Möglichkeit haben, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen, sind viele, insofern sie die finanziellen Möglichkeiten haben, gezwungen, ins Ausland zu fahren und den Eingriff dort vornehmen zu lassen. So unterstützt Dziewuchy Berlin jede Woche 5 oder 6 Frauen, wie Urszula vom Kollektiv erzählt. 

Sie vereinbaren Arzttermine, übersetzen und leisten emotionalen Beistand. Denn oft sind die Frauen ganz auf sich allein gestellt. Aus Scham und Angst vor der Reaktion verheimlichen viele den Schwangerschaftsabbruch vor ihrem Umfeld. 

Katholische Kirche und Rechtspopulismus: Sexualität „wie im Mittelalter“ 

Diese Stigmatisierung der Schwangerschaftsabbrüche wird bedingt durch ein Zusammenspiel aus mächtiger katholischer Kirche und der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die sich gegenseitig in ihrer konservativen Haltung legitimieren. Hinzukommt die ultrakatholische Organisation Ordo Iuris: Einflussreich in Politik und am obersten Gerichtshof setzt sie sich für die „traditionelle Familie“, LGBTIQ*-freie Zonen und das immer wieder aufkommende vollständige Abtreibungsverbot ein.

Aber nicht nur eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze steht immer wieder zur Debatte. Im April wurde im gleichen Zug der Vorschlag laut, jegliche Art von schulischem Aufklärungsunterricht zu verbieten. Wer also öffentlich Jugendlichen etwas über Sexualität erzählt, könnte mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Die beiden Gesetzesentwürfe sind ein Widerspruch in sich, die Konsequenzen eines solchen Gesetzes will man sich nicht vorstellen. Gerade dann würde es unzählige ungeplante und ungewollte Schwangerschaften geben. „Das ist das Paradoxe, das verstehe ich nicht.“, sagt Urszula. „Da staunen wir alle. Wie kann man sowas verbieten?“ 

Noch ist das Gesetz nicht in Kraft, aber auch jetzt schon werde kaum über Sexualität gesprochen, so Urszula. Viele Frauen, besonders jüngere, wissen kaum etwas über ihren eigenen Körper. Der Sexualunterricht, der aktuell noch angeboten wird, beschränkt sich hauptsächlich auf die Kirche und wird von Priestern und Schwestern geleitet. Da falle nicht mal das Wort Menstruation, von  Homosexualität oder Abtreibungen ganz zu schweigen. „Es ist jetzt schon wie im Mittelalter.“, sagt Urszula. „Das darf nicht sein. Das muss immer wieder thematisiert werden, die Leute müssen aufgeklärt werden! Die müssen die Konsequenzen kennen. Es kann nicht sein, dass eine 16-jährige zu mir kommt und sagt ‚Ich bin schwanger, aber ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.’.“

Tabu Thema Abtreibung, Tabu Thema Verhütung

Urszula erzählt davon, welche tiefgreifenden Folgen diese Tabuisierung und Stigmatisierung von Sex hat und wie gespalten das Land ist: Selbst Ärzt*innen weigern sich oft, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, sogar wenn diese unter eine der eben genannten Kategorien der legalen Abtreibungen fallen. Selbst, wenn Untersuchungen ergeben haben, dass der Fötus schwerste Missbildungen aufweist, möglicherweise gar nicht lebensfähig ist, argumentieren viele Ärzt*innen damit, sie könnten eine Abtreibung moralisch nicht vertreten und verweigern sie. 

Aber auch Verhütung wird geächtet: Die Pille und die Pille-Danach sind verschreibungspflichtig. Sogar hier machen viele Ärzt*innen Gebrauch von ihrem Recht, aus moralischen Gründen abzulehnen. Viele Frauen, besonders auf dem Dorf, schämen sich, zur Apotheke zu gehen und ihr Rezept, insofern sie eins bekommen haben, einzulösen. Die Frauen sind aber nicht nur konfrontiert mit Lästereien und Ärzten, die sich weigern, ihnen Verhütungsmittel zu verschreiben: Urszula erzählt von Fällen, in denen die Frau das Rezept bekommen und den Mut aufgebracht hat, damit zur Apotheke zu gehen, der Apotheker sich aber geweigert hat, ihr die Pille auszuhändigen, weil er sie für zu jung hielt. „Die Gesellschaft ist irgendwie unter Kontrolle, was die Sexualität angeht.“, sagt Urszula.

Auch habe sie schon Frauen erlebt, die sich so sehr davor fürchten, was ihr Arzt in Polen von ihnen halten könnte, dass sie es ablehnen, sich die Spirale in Deutschland einsetzen zu lassen, wenn es ihnen angeboten wird. „Es scheint fast so, als hätte diese ganze Debatte über Frauenrechte und Abtreibungsrechte in Polen dazu geführt, dass die Polinnen Angst haben, über sich selbst zu bestimmen.“

Die Indoktrination von konservativem Umgang mit Sexualität und die „Entmündigung“, wie Urszula sie nennt, spalten die Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen Pro-Life und verunsicherte Frauen, die sich davor fürchten, was ihr Umfeld von ihnen halten könnte wenn sie über ihren eigenen Körper entscheiden. Auf der anderen stehen Frauen, die ständig bereit sind, sich ihr eigenes Recht zu erkämpfen, wenn es wieder drauf ankommt. Trotz der kritischen Kombination aus mächtiger katholischer Kirche und rechtspopulistischer Regierung haben sich Frauen in Polen und außerhalb des Landes schon drei Mal zusammengeschlossen und gegen eine weitere Einschränkung ihrer Rechte gewährt.

Urszula spricht von einer globalen Frauensolidarität, die man vielleicht nicht immer spürt, die aber immer da ist. Deswegen schreibt das Kollektiv auf seiner Website: „Wir glauben, dass gerade Frauen die Kraft repräsentieren, die fähig ist, den Marsch der Populisten und Neonazis in der Welt zu stoppen- es gibt uns doch überall.“