Alle wissen davon, aber nur wenige sprechen offen darüber: Sexarbeit und Prostitution werden im gesellschaftlichen Alltag noch immer stigmatisiert und tabuisiert.

Niki ist bereits seit zwei Jahren in dieser Branche tätig. Sie ist eine junge, selbstbewusste, zierliche Frau mit braunen Korkenzieherlocken, dünnen Armen, einer breiten Hüfte und grünen Augen. Ihre Hände sind klein, ihre Haut matt, hell und gepflegt. Ihre Haltung ist gerade und anmutig, ihre Stimme angenehm und deutlich. Durch die Leichtigkeit ihres Auftretens wird klar, dass Niki die Fähigkeit besitzt den Menschen Ihrer Umgebung ein positives Gefühl zu vermitteln.

Viele übersehen den Unterschied zwischen auf freiwilliger, oftmals auf Selbstständigkeit basierender Sexarbeit und der Zwangsprostitution, von der ein großer Teil der Prostituierten betroffen sind. Doch es gibt auch Sexarbeiter*innen, die sich bewusst und aus freiem Willen dazu entscheiden diesen Job auszuüben, ihre Rechte kennen und wenn nötig auch in Anspruch nehmen und nicht durch äußere aktive (wie Zuhälter) oder passive (wie durch finanzielle Not, Schulden, Suchtprobleme) Umstände dazu gezwungen sind, sich zu prostituieren.

Niki erzählt, dass die meisten Menschen in ihrem Umfeld an ihrer Tätigkeit interessiert sind, viele Fragen stellen und ihr bislang noch niemand negativ gegenübergetreten ist. Sie freut sich darüber, denn sie ist sich darüber im Klaren, dass es vielen in ihrem Berufsfeld sicher anders ergeht.

Sexarbeiter*innen verkaufen nicht, wie es so oft heißt, „ihren Körper“, sondern stellen ihre körperlichen Dienste zur Verfügung, vermieten ihren Körper sozusagen. Auch alle anderen dienstleistenden Arbeiter*innen machen im Prinzip dasselbe, sie vermieten ihre körperliche Arbeitsleistung und bekommen Geld dafür. Natürlich ist dieser Job hart, verlangt den Menschen, die ihn ausüben emotional sowie körperlich viel ab und erschwert außerdem die Gestaltung oder Aufrechterhaltung privater (sexueller) Beziehungen.

Sexarbeit: Ein harter Job

Eine Sache die Niki beispielsweise am schwersten fällt, ist das Eingehen privater sexueller Beziehungen. Wenn sie gerade viel arbeitet, hat sie manchmal keine Lust sich um Dates in ihrer Freizeit zu kümmern. Die Auseinandersetzung mit vielen verschiedenen Menschen empfindet sie als kräftezehrend und anstrengend, weswegen sie des Öfteren privat keine Lust mehr auf Sex verspürt. In ruhigeren Arbeitsphasen legt sich das meistens jedoch wieder.

Nur wer emotional gefestigt ist und selbstbewusst auftreten kann, lange genug die Vor- und Nachteile dieses Berufes abgewogen hat und Sex klar von Emotionen trennen kann, sollte sich an diesen kräftezehrenden Job heranwagen. Es ist gefährlich, sich von der Vorstellung nach schnellem Geld und wenig zeitlichem Aufwand leiten zu lassen und dabei die eigenen sexuellen Bedürfnisse und Vorlieben hinten anzustellen oder gar zu übergehen, da dies fatale Folgen für die Psyche haben kann. 

Bei einer reflektierten und nüchternen Haltung zu Sexarbeit, die nicht mit Scham, Unsicherheit und äußeren Zwängen verbunden ist, kann die Arbeit durchaus lukrativ sein und vielleicht auch Spaß machen, wie in Nikis Fall. Sie brauchte schnell viel Geld und entschloss sich dazu sexuelle Dienstleistungen anzubieten. Mittlerweile ist ihre finanzielle Lage stabil, jedoch möchte sie diese Arbeit weiter ausführen, da sie Freude daran empfindet und viel Positives daraus mitnimmt.

Sie erzählt von einem Date mit einem behinderten Mann. Er erwähnte im vorherigen Chat nur, dass er einen Rollator zum Gehen braucht. Als sie bei ihm im Pflegeheim ankam, stellte Niki fest, dass er mehrere Einschränkungen hatte: Sowohl seine Hände als auch seine Beine waren steif. Sie musste ihm in und aus dem Schlafanzug helfen. Das war eine Herausforderung, an der sie wachsen konnte. „Ich lerne Menschen auf eine ganz besondere Art und Weise kennen und bin für jeden meiner Kunden wie ihre Therapeutin mit gewissen Vorzügen.“, sagt sie.

Viele Klischees über Sexarbeiter*innen

Sexarbeiter*innen, die ihren Lebensunterhalt freiwillig, teilweise oder komplett mit ihrer Tätigkeit bestreiten, sind entgegen der allgemeinen Vorstellung junge Frauen oder Männer, die sich ihrer sexuellen Reize bewusst sind und gelernt haben sich ihre gesellschaftliche Sexualisierung zu Nutze zu machen und diese zu ihrem eigenen finanziellen Vorteil einzusetzen. „Ich bin nicht dieses typische Klischee, das viele von Prostituierten haben, die gemachte Nägel, viel Schminke und vulgäre Outfits tragen und nicht für sich selbst einstehen können.“, sagt Niki.

Aufgrund des letzten Punkts habe sie auch keine Stammkunden, was sie darauf zurückführt, dass sie auch im Job selbstbewusst auftritt, ihre Meinung und Werte verteidigt und wenn nötig auch auf Konfrontation geht. „Wenn ich denke, dass die Aussage meiner Kunden frauenverachtend, engstirnig oder einfach ignorant war, setze ich mich damit auseinander und biete Parole. Ich spreche ihnen nicht nach ihrem Mund und vielen passt das nicht. Ich werde zwar dafür bezahlt ihnen Freude zu bringen, jedoch nicht um Ja und Amen zu sagen.“

Die Liste an Möglichkeiten zur Sexarbeit ist lang. So kann auch Kontakt zu Freiern oder Sugar Daddys online hergestellt oder der Job gar virtuell ausgeübt werden. Neben Gesuchen auf eigentlich nicht für Sexarbeit bestimmten Online Dating-Plattformen wie Tinder und OkCupid, gibt es Paid Dating-Portale, wie zum Beispiel OhLaLa, wo anonym nach einem bezahlten (Sex) Date gesucht werden kann.

Wird ein Gesuch als interessant und passend empfunden, kann darauf eingegangen werden. Sogar über Seiten wie Ebay-Kleinanzeigen oder Instagram, die eigentlich nicht der Suche nach Sugar Girls dienen, erreichen nicht wenige Frauen Anfragen von Männern, die ein Sugar Girl suchen oder ihren noch so ungewöhnlichen Fetisch ausleben wollen.

Kontaktaufnahme Online

Auch Niki sucht den Kontakt zu ihren Freiern online. Nach dem Aufstehen checkt sie ihre Nachrichten und schreibt mit verschiedenen potenziellen Kunden hin und her. Das zieht sich dann meistens über den gesamten Tag, bis ein Treffen vereinbart wird. Niki plant bis zu drei Treffen die Woche, wovon zumeist nur eines wirklich zu Stande kommt. Über den Monat trifft sie zwischen zwei und fünf Kunden, was sie als angenehm empfindet.

Nikki meldet sich aktiv auf Angebote, die in ihrem Interesse sind. Die sexuellen Praktiken und das Gehalt werden häufig im Voraus abgesprochen und beide gehen eine Abmachung ein, die sich, wenn sie von beiden Seiten eingehalten wird, zu einer Win-Win-Situation entwickelt. Hier reicht es von normalem Blümchensex bis zu den abstrusesten Fetischen, wo jeder für sich selbst entscheiden muss, ob er/sie d’accord ist, die gewünschte Praktik auszuführen.

Um den Job möglichst gefahrlos auszuüben, trifft Niki einige Sicherheitsvorkehrungen. Sie setzt ihre engen Freunde immer darüber in Kenntnis, wo, mit wem und wie lange sie sich gerade aufhält. Sie versendet ihren Live-Standort, um sich sicherer zu fühlen. Außerdem achtet sie darauf, dass sie alle notwendigen Utensilien, wie Kondome und Gleitgel dabeihat und sich in ihrer Haut wohl fühlt.

„Nur so kann ich für meine Kunden funktionieren, wie ich mir das vorstelle. Ich will stark und selbstbewusst auftreten, was mir schwerer fällt, wenn ich seelisch gerade etwas labiler bin.  Es ist wichtig für mich Stärke auszustrahlen, um auch die ganze Zeit die Kontrolle über die Situation behalten zu können”, meint sie.