Bild: Henri Toulouse Lautrec/wikimedia
„Ist das dein Ernst?“ Fragen wie diese hört Anna* oft, wenn sie von ihrem Nebenjob erzählt. Die Berlinerin ist 24 Jahre alt, studiert europäische Ethnologie und Gender Studies und finanziert sich das Studium als Sexarbeiterin. Diese Berufsbezeichnung sei vielen unbekannt, erzählt Anna, „ich verwende dann das Wort ‘Prostituierte’.“
Was ist der Unterschied? „Sexarbeiterin“ ist eine Selbstbezeichnung vieler Frauen, die selbstbestimmt mit Sex ihr Geld verdienen. Sie unterstreichen damit, dass es sich bei ihrer Tätigkeit um eine vollwertige Arbeit handelt, und wenden sich gegen das Wort „Prostituierte“, das stereotype Bilder von Ausnutzung und Passivität hervorruft. Den Begriff „sex worker“ prägte 1974 die US-amerikanische Aktivistin Carol Leigh.
Anna weiß, was in den Köpfen anderer Leute geschieht, wenn sie vom Nebenjob erzählt. „Der Blick auf mich verändert sich stark“, erklärt sie, „das wird man nie wieder los.“ Von ihrem linksfeministischen Freundeskreis erwartet Anna Toleranz gegenüber der Sexarbeit – alles andere „wäre politisch gar nicht möglich.“ Auch ihr Freund ist eingeweiht. Nur ihre Familie erfährt nichts. Ein Bruch mit Verwandten wäre fatal: „Das will ich nicht riskieren.“
Eine Kommilitonin hatte Anna vor drei Jahren an die Sexarbeit herangeführt. Das Gehalt ist üppig: Bei knapp zwei Arbeitstagen pro Woche bleibt genug Zeit für Studium und links-feministische Bildungsarbeit. Gesellschaftskritisch sind auch Annas Studienschwerpunkte: Antirassismus und -sexismus. Später will Anna einen Master machen und die Sexarbeit gegen eine politische Tätigkeit tauschen, die sie inhaltlich fordert.
An Sexarbeit interessiert? Anna empfiehlt den Verein Hydra. Er bietet Beratungen zum Einstieg in die Sexarbeit an, aber auch zum Ausstieg.
*Name von der Redaktion geändert
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen UnAufgefordert (Nr. 115, Januar 2015). Er wurde für die Website leicht umgeändert.