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Die Legende eines stolzen Taugenichts

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Illustration: Milena Bassen

Illustration: Milena Bassen

 

 

Als Muzio Mattei eines Nachts gerade nach Hause gehen wollte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen und besann sich anders. „Scheiß drauf!“, lallte er zu sich selbst. Zu diesem Zeitpunkt war Muzio nämlich schon „gut dabei“, wie er und seine Freunde zu sagen pflegten, und so zogen sie alle zusammen in eine Spielhalle. Der Abend war verkorkst, keine Frage, aber es sollte noch schlimmer kommen, denn Mattei verspielte sein ganzes Hab und Gut, was sein künftiger Schwiegervater mitbekam und daraufhin seiner Tochter verbot, einen solchen „Taugenichts“ zu heiraten.

Das konnte und wollte Muzio nicht auf sich sitzen lassen. Er hatte vielleicht sein Geld verloren, aber seinen Stolz, den hatte er noch. So leicht lässt sich ein Muzio Mattei nicht unterkriegen, dachte Muzio Mattei. Wer in einer Nacht unglaublich viel verlieren kann, der kann in einer Nacht auch Unmögliches schaffen, dachte er weiter und heckte einen Plan aus. Denn Muzio Mattei, das muss man wissen, war nicht nur stolz, er war auch schlau.

Unter dem Vorwand, dass er sich so sehr für sein Verhalten schäme, lud er seine Braut und ihren Vater zu sich nach Hause ein und schmiss dort eine legendäre Party. Alle waren in seinen Palazzo gekommen und feierten die Nacht durch. Dabei wurden der Vater und die Braut von Matteis Freunden derartig gut bespaßt, dass sie nicht bemerkt haben, dass der ausgebuffte Gastgeber an diesem Abend gar nicht präsent war.

Am nächsten Morgen weckte Muzio Mattei den Vater und die Braut. Sie schliefen beide auf dem Sofa im Wohnzimmer und waren nun ihrerseits über die Vorfälle und die Eskalation der Feier vom Vorabend beschämt. Doch anstatt die beiden für ihr ordinäres Verhalten zu tadeln, bat Muzio den Vater an ein Fenster seines Palazzos und sagte langsam: „Sehen Sie, wozu der Taugenichts Mattei auch fähig ist!“, zwinkerte der Braut zu und zeigte auf die Piazza. Das saß. Denn inmitten des gestern noch leeren Platzes stand auf einmal, wie aus der Erde gestampft, einer der schönsten Brunnen, den der Vater jemals gesehen hatte. Die Braut schmolz dahin und veranlasste den verblüfften Vater dazu, sich auf Knien bei Muzio zu entschuldigen.

Nach der Hochzeit mit der wunderschönen Braut schaute Muzio noch einmal mit ihr durch das Fenster und ließ es dann zumauern, damit der Anblick unwiederholbar nur für die beiden bestimmt sei. Ja, unser Muzio konnte sehr romantisch sein.

Was die Braut und der Vater nicht wussten ist, dass Mattei in dieser Nacht nicht wirklich ein „Wunder“ vollbracht hat. Den Brunnen gab es zu diesem Zeitpunkt bereits seit 40 Jahren und Muzio, der so romantisch dann doch nicht war, hatte ihn von der naheliegenden Piazza Giudea abmontiert und einfach vor seinen Palast wiederaufgebaut.

Hier, im ehemaligen jüdischen Ghetto, auf der Piazza Mattei, zwischen der verkehrsreichen Piazza Venezia und dem belebten Campo de’ Fiori, steht der Brunnen, der 1658 mit Schildkröten verziert wurde, noch heute. Er flüstert dir die Legende eines stolzen Taugenichts ins Ohr, wenn du nur dem steten Plätschern zuhörst.

Am Tag sind es die Römer selbst, sie reden, ununterbrochen, wie sprudelnde Brunnen, und nachts erzählt dann die Stadt ihre Geschichten. Auch die Brunnen. Sie erzählen von Göttern, von Heiligen, von Dolce Vita. Es sind Legenden, vielleicht ist manches wahr, vielleicht ist alles erschwindelt, vielleicht wird es so oft erzählt, bis es zur Wahrheit wird. Und vielleicht ist das auch egal.

Ob unser Herzog Mattei in jener Nacht vor ungefähr 400 Jahre tatsächlich eine solche Performance ablieferte, weiß ich nicht, aber wenn ich hier so sitze, glaube ich es. Und doch habe ich erst mal genug vom Rauschen flüssiger Rede und bin inzwischen recht müde, gehe um das gusseiserne Gelände, das den Schildkröten-Brunnen umfasst, beobachte noch einmal die Eleganz des Licht- und Wasserspiels und überlege ob in dieser Stadt jemals noch ein Nachtbus fahren wird. „Scheiß drauf“, sage ich zu mir selbst, blicke ein letztes mal auf das zugemauerte Fenster am Palazzo und gehe zu Fuß durch die römische Nacht.