Fliegende Baumstämme und schottischer Whiskey: Zu Besuch bei den Berliner Highland Games, einem Event, irgendwo zwischen folkloristischem Spektakel und Trendsportart.
Es ist ein sommerlicher Sonntagnachmittag in den Gärten der Welt in Berlin-Marzahn. Leicht bräsige Rentner*innen und Familien mit aufgeregten Kindern tummeln sich auf den Wiesen zwischen italienischem Renaissance-Garten und dem Chinesischen Garten mit seinen von feinen Verzierungen geschmückten Tempeln. Auf einmal durchbricht ein martialischer Urschei die Idylle. Im selben Moment saust eine über sieben Kilogramm schwere Eisenkugel mit Holzstiel rund 30 Meter durch die Luft und prallt mit einem dumpfen Geräusch auf der Erde auf. Dudelsackspiel setzt ein.
Die Berliner Highland Games finden nun schon zum zehnten Mal statt. Jedes Jahr messen sich im Osten der Stadt zahlreiche deutsche Highlander in Disziplinen mit klangvollen Namen wie „Weight for Height“, „Scottish Hammer“ oder „Tossing the Caber“. Dahinter verbergen sich eigentümliche Kraftsportarten, die eine lange Historie mit sich ziehen. Kein Wunder, sind die Highland Games doch einst im Mittelalter entstanden, um die stärksten Männer für die schottische Königsgarde zu rekrutieren.
Marzahner Highlands
Wie ein König fühle ich mich auch, wenn ich an diesem Sonntag mit der Seilbahn in die Gärten einschwebe – grandiose Aussicht auf Fernsehturm und die Berliner Hochbauten inklusive. Schon in der Schlange vor dem Kassenhäuschen stoße ich auf den einen oder anderen Kilt. Das ist nicht weiter verwunderlich, schließlich bekommt man heute im Schottenrock vergünstigten Eintritt in den Park.
Unterwegs in der Gondel werde ich per Tonband mit Dudelsack-Klängen begrüßt. Im Anflug auf den Ort des Geschehens erblicke ich bereits die große Wiese und dutzende Festzelte. Mit einem Mittelaltermarkt, Buden, Bühnen und verschiedenen Mitmachaktionen ist heute für ein passendes Rahmenprogramm gesorgt. Während ich mich den Spielen nähere, offenbart sich mir eine absurde Szenerie: Exotische Pflanzen links und rechts, ein graues Plattenbau-Panorama im Hintergrund. Auf den ersten Blick hat das alles recht wenig mit den schottischen Highlands zu tun, die man am ehesten mit neblig-grünen Hügeln und Loch Ness verknüpfen würde – wären da inmitten der Gärten nicht unzählige Menschen in Schottenröcken.
Im Gegensatz zu den Zuschauer*innen herrscht für die Athleten laut Regelwerk übrigens Kilt-Pflicht. Doch damit längst nicht genug: Zwei schottische Flaggen zieren den Sportplatz, der mit einem Band aus Wimpeln in den Landesfarben blau und weiß abgesperrt ist. Davor haben sich die hartgesottenen Fans in Stellung gebracht: Auf Campingstühlen und Picknickdecken haben sie sich die besten Plätze im Schatten gesichert und verfolgen nun in ihren karierten Beinkleidern, Schottland-Trikots oder Keltenshirts das Geschehen.
Lusicic packt den Hammer aus
Dann endlich betreten die Sportler das runde Grün: Rund 20 Männer mit massiven Körpern, einige eher Typ Bodybuilder, wenige mit klassisch athletischer Figur – darunter unter anderem Größen wie der amtierende deutsche Meister Sandro Lusicic. Auch Frauen wären teilnahmeberechtigt gewesen, anscheinend jedoch hatten sich nicht genügend Teilnehmerinnen angemeldet, um eine eigene Wettkampfklasse auf die Beine zu stellen. Geleitet und kommentiert wird die Veranstaltung von einem kahlrasierten Hünen mit Sonnenbrille, der den rund 500 Zuschauern fachkundig Details zu Regeln und Techniken der einzelnen Disziplinen näherbringt.
Das Event startet mit der recht unspektakulären Disziplin „Weight for Distance“, bei der es schlicht darum geht, ein Metallgewicht möglichst weit von sich zu schleudern. Das Publikum reagiert zurückhaltend, man muss selbst erst einmal warm werden, wo die Zapfhähne doch erst wenige Minuten offen sind. Beeindruckend ist das Ganze allemal: Vom Selbstversuch, 13 Kilogramm – also ziemlich genau das Gegengewicht eines vollen Bierkastens – durch den heimischen Garten zu schmeißen, wird aus gesundheitlichen Gründen vom Autor dieses Textes abgeraten. Unmittelbar danach sausen die ersten Hämmer durch die Luft.
Unter den Zuschauer*innen sind die ersten „Oohs“ und „Aahs“ zu vernehmen, wenn die Athleten Weiten von über 25 Metern erreichen. Als Sandro Lusicic in den Kreis tritt, sagt der Kommentator ein beachtenswertes Ergebnis voraus. Er soll Recht behalten: Sandro Lusicic holt zum großen Wurf aus, legt seine ganze Muskelkraft und Stimmgewalt in die Aktion und sichert sich mit einer Weite von 34,65 Metern den Tagessieg in dieser Disziplin. Unter den begeisterten Zuschauern brandet Applaus auf.
Die Gatherings erobern die Welt
Dass Jahrhunderte später auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation hunderte Menschen ein solches Spektakel bejubeln, hätten die schottischen Clanführer im Mittelalter wohl kaum für möglich gehalten. Traditionellerweise bewiesen damals Männer im Rahmen von Treffen der Clans ihr Können, bei sogenannten „Gatherings“. Begleitet wurden die Feste von Tanz- und Musikeinlagen.
2019 sind die Highland Games längst keine schottische Eigenheit mehr: Die Wettkämpfe finden in inzwischen in nahezu allen Ländern der Erde statt. In Deutschland erfreut sich der Sport größter Beliebtheit: Seit 2008 koordiniert der Deutsche Highland Games Verband Veranstaltungen und Regeln – mit Erfolg: Dieses Jahr finden zwischen April und September fast 50 Spiele von Bayern bis nach Ostfriesland statt.
Die berühmtesten Highland Games starten jedoch weiterhin im schottischen Braemar. Die Wettkämpfe hier sollen die ältesten der Welt sein. Vor bis zu 15.000 Besuchern, darunter in aller Regel auch Queen Elizabeth II, werden beim Braemar Gathering Gewichte geworfen, Dudelsack gespielt und Tauziehen veranstaltet.
Grillgeruch und Folkmusik
In Berlin-Marzahn ist Pause zwischen den Wettkämpfen. Ich nutze die Gelegenheit für eine Runde über das Festgelände: Grillgeruch und Klänge keltischer Folkmusik überlagern das Getümmel. Gaukler auf hohen Stelzen bahnen sich staksend einen Weg zwischen den Menschenschlangen. An einem Stand werden ritterliche Holzwaffen verkauft, am nächsten bieten zwei Künstlerinnen selbst gebastelten Schmuck an. Es würde mich gar nicht weiter verwundern, käme gleich König Artus höchstpersönlich vorbeigeritten.
In einer wie ein Fass geformten Holzbude am Ende des Geländes werden am laufenden Band frisch gezapfter Cider, Schwarzbier und schottischer Whiskey ausgeschenkt. Dass man bei Temperaturen von 28 Grad und praller Sonne viel trinken sollte, nehmen die Leute hier eben sehr ernst. Auf dem Spielfeld messen sich die Highlander unterdessen bei „Weight for Height“, einer recht selbsterklärenden Disziplin: Mit einer Hand muss ein Gewicht über eine Latte geworfen werden. Wer es in drei Versuchen nicht schafft, scheidet aus.
Brot und Spiele
Anschließend folgt die Königsdisziplin „Toss a Caber“. Beim Baumstammwerfen, werde ich vom Kommentator aufgeklärt, geht es ausnahmsweise mal nicht um die erzielte Weite, sondern viel eher um Technik und Präzision. Die Kunst liegt zunächst einmal darin, den Baumstamm aufzunehmen und dabei die Balance zu halten und ihn anschließend schräg nach vorne zu schleudern, sodass er sich einmal überschlägt. Für die Bestnote bleibt dieser dann in einer geraden Linie zum Werfer liegen.
Zwar legt sich das Duo aus Dudelsackspieler und Trommler musikalisch noch mal richtig ins Zeug, um die Sportler bis ans Limit zu pushen. Tatsächlich gelingt an diesem Nachmittag aber nur wenigen Teilnehmern überhaupt ein Überschlag des Stammes. Wenn doch, reißt das Ergebnis die Fans aus den Campinghockern. Unter ihnen sind auch zwei junge Herren, die nicht so recht ins Bild der restlichen Zuschauer passen. Weiße Reebok-Sneaker, gezwirbelter Vollbart – die beiden würde man eher Matcha-Latte schlürfend in einem Kreuzberger Café erwarten, wären da nicht die adretten Kilts, die beide passend zum Outfit tragen.
Was sie hierher verschlägt? „Ganz einfach“, sagt einer der beiden und deutet auf das Glas Bier in seiner Hand: „Das hier. Und das da vorne.“ Sein Zeigefinger wandert dabei in Richtung der Sportler auf dem Rasen. Seine Antwort ist so simpel wie ehrlich: Anders würde ein Fußballfan im Stadion auf meine Frage auch nicht reagieren. So bleiben die Berliner Highland Games letztlich nicht mehr und nicht weniger als ein ganz normaler Sonntagsausflug.