Die Partei Volt Europa zog bei der vergangenen Europawahl mit einem Abgeordneten, Damian Boeselager, ins Europäische Parlament ein. Friederike Schier ist mit 21 Jahren die jüngste Vorstandsvorsitzende einer im Europäischen Parlament vertretenen Partei. Mit UnAuf sprach sie über ihre Tätigkeit als Präsidentin des deutschen Ablegers dieser paneuropäischen Bewegung, über die Zulassungshürden im EU-Wahlkampf und über das politische Engagement der Jugend heute.

UnAuf: Friederike, was hat dich bewegt, bei Volt aktiv zu werden? 

Friederike Schier: Den Anstoß gab im Sommer 2017 mein Auslandssemester in Dänemark. Dort benötigst Du, auch als Erasmus-Studierende, eine sogenannte Civil-Registration Number, um am Sozialsystem teilzunehmen. Die brauchst du konkret etwa, um zum Arzt gehen, um Verträge abzuschließen oder um eine Bibliothek zu besuchen. Ich bekam diese Nummer damals nicht. Das bedeutete Exklusion.

Im Klartext: Kein Zugang zu einigen Bibliotheken. Oder es dauerte fünf Stunden, bis ich einen Arzt fand. Warum ist das eigentlich so, dachte ich mir. Wir sind doch Bürger*innen der EU. Die Lebensverhältnisse aller europäischen Bürger*innen sollten doch in jedem europäischen Land gleich sein. Wieso in meinem Fall also nicht? Ich hatte das Gefühl, da muss sich etwas ändern, da muss etwas getan werden. Und da stieß ich dann auf Volt, eine Partei mit dem Ziel, Europa transnational besser zu vereinen.

Wie bist du politisch bei Volt eingestiegen?

Zurück in Berlin habe ich bei einem ‘Meet & Greet’ die ersten Volter*innen kennen gelernt. Dann schaute ich mich auf der Online Plattform von Volt um. Dort sah ich eine Ausschreibung zur Wahlkommission. Diese Kommission hatte die Aufgabe, den Prozess zu begleiten, Europawahl-Kandidat*innen zu finden.

Dort habe ich mich beworben. Im September 2018 wurden dann die ersten Aufgaben verteilt und ich übernahm die Koordination der Wahlkommission. Danach kamen immer mehr Aufgaben hinzu. Ich habe dann ganz verschiedene Volt-Positionen durchlaufen. Unter anderem war ich daran beteiligt das Sammeln von Unterstützerunterschriften zu koordinieren. Als deutscher Ableger benötigten wir zum Beispiel 4.000 Unterschriften, um überhaupt bei der Europawahl antreten zu können.

Inzwischen bist Du Vorstandsvorsitzende bei Volt. Wie sieht dein Tagesablauf aus? 

Einen typischen Tagesablauf gibt es eigentlich gar nicht. Es gibt Tage, wie heute, da ist nicht so viel los. Dann kann ich meine To-Do-Liste gut abarbeiten. An anderen Tagen ist alle fünf Minuten was Neues los. Ich versuche trotzdem, mir immer eine Stunde am Tag freizuhalten, um zu lesen. Oder nach wie vor meinen Hobbies nachzugehen und dreimal die Woche Sport zu treiben. Da ich auch viel am Wochenende arbeite, versuche ich beispielsweise dann den Montag ein bisschen entspannter anzugehen.

Gab es bisher für Dich ein besonders prägendes Ereignis?

Ich meine, solche Momente gibt es, sagen wir mal, mindestens viermal die Woche. Mir macht es unfassbar viel Spaß darüber nachzudenken, was unsere Gesellschaft wirklich braucht, und wo wir als Volt gefordert sind, welche Prozesse wir entwerfen und umsetzen, welche Gruppen wir anleiten und wofür wir zu sorgen haben, dass solche Aufgaben tatsächlich angepackt werden.

Erlebst du, dass dir Menschen wegen deines Alters ein so verantwortungsvolles Amt nicht zutrauen?

Nein, zum Glück noch überhaupt nicht. Wir sind eine junge Bewegung, eine junge Partei. Das heißt, wir sind diejenigen, die am längsten mit jetzt getroffenen politischen Entscheidungen leben müssen. Deshalb ist es natürlich auch sinnvoll, solche Entscheidungen so früh wie möglich mit zu beeinflussen.

Was macht Volt für junge Menschen, zum Beispiel für Studierende, so attraktiv?

Ich habe vor ein paar Tagen einen Artikel in DIE ZEIT gelesen. Darin stand, dass gerade die Jugend heute politisch besonders wach ist. Volt ist meiner Meinung nach so attraktiv für junge Menschen, weil wir einen Mix aus Partei und Bewegung bilden. Das fehlte bisher. Es reicht ja nicht, wenn wir sagen: Die Politik taugt nix, sondern vielmehr: Hey, dann nehmen wir das doch am besten gleich selbst in die Hand.

Denkst du, dass soziale und politische Bewegungen eine Zukunft haben?

Ich denke ja. In den letzten Jahren ist die Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik enorm gewachsen, nach dem Motto: Die verstehen uns sowieso nicht. Als Bewegung verschafft man sich natürlich eher Gehör, bewegt aber vielleicht nicht immer so viel, wie das Parteien in Parlamenten tun könnten. Deshalb hat sich Volt als paneuropäische Bewegung mit Parteienstatus etabliert.

Zurück zum Europawahlkampf: Weshalb habt ihr in Deutschland ein Mandat geholt und in anderen Ländern nicht?

Es liegt an den unterschiedlichen nationalen Zulassungsmodalitäten in den einzelnen EU-Ländern. Interessant ist beispielsweise, dass die niederländische Kampagne deutlich erfolgreicher war als die deutsche. Jedoch sind dort die prozentualen Zulassungshürden deutlich höher als in Deutschland. Allein die administrativen Prozesse, um an der  Europawahl teilzunehmen, sind zwischen den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedlich. Und das beeinflusst deutlich die Chancen, ins EU-Parlament zu kommen.

Hier in Deutschland war der Zulassungsprozess zum Beispiel nicht besonders kompliziert. Hinzu kam auch, dass unsere Verfügung zur Optimierung des Wahl-O-Maten und das damit verbundene mediale Interesse viel dazu beigetragen haben, dass wir ins Europaparlament eingezogen sind. Ferner war einer der drei Gründer von Volt Europa unser deutscher Spitzenkandidat.

In Italien ist Volt vor der Europawahl an der Hürde gescheitert, dass dort 150.000 Unterschriften gebraucht wurden und der Unterzeichnungs-Prozess von einem Notar überwacht werden musste. In Frankreich müssen die Wahlzettel von den Parteien finanziert werden. Das heißt, dass Volt Frankreich fast eine Million Euro gebraucht hätte, um überhaupt kandidieren zu können.

Wenn Volt in Parlamente auf unterschiedlichen politischen Ebenen einzöge: Wie wollt ihr damit die deutsche Europapolitik beeinflussen?*

Ich bin darauf sehr gespannt, weil wir im Februar bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg und im März bei den Kommunalwahlen in Bayern antreten. Neu ist es zum Beispiel, dass sich Volt Dänemark bei der Kampagne in Hamburg und Volt Österreich für die Kampagne in Bayern einbinden lassen.

Politisch eint uns da strategisch unser gesamteuropäisches „Mapping of Policies”  auf dessen Basis erste lokale Wahlprogramme entwickelt werden, wie eben etwa gerade in Hamburg und Bayern. Wir sind überzeugt, dass sich auch die meisten nationalen Probleme nur europäisch lösen lassen. Das heißt: wir sollten uns stärker europäisch vernetzen, auch national-, landes- und kommunalpolitisch.

* Volt ist bereits im Europäischen Parlament und in verschiedenen kommunalpolitischen Gremien in Deutschland und Bulgarien vertreten.

 

Foto: Volt