Am Abend, wenn die letzten Kunden gehen, dimmt Vorarbeiter Rudi (Andreas Leupold) das Licht, legt Johann Strauss‘ „An der schönen blauen Donau“ in den CD-Player und wünscht eine schöne Nachtschicht. Guten Abend, Großmarkt. Die ersten Takte erklingen aus den Lautsprechern und die Gabelstapler beginnen ihre Pirouetten zu drehen wie Eiskunstläufer. Es ist ein Genuss zu sehen, wie Regisseur Thomas Stuber dem scheinbar Banalen berührende Bilder abverlangt. Er macht das poetische Potential des mediokren Alltags sichtbar, indem er sich es mit sensiblen Blick erschließt.
Inspiriert von der Kurzgeschichtensammlung „Die Nacht, die Lichter“, des Schriftstellers Clemens Meyer, der auch das Drehbuch schrieb, inszeniert Stuber, nun ja, was? Einen Spielfilm? Eine Dokufiktion? Auf der Oberfläche ist da der „Frischling“ Christian (Franz Rogowski), der neue Angestellte des Großmarkts, ausgestattet mit Kittel, Namensschild und Kugelschreiber. Abteilung: Getränke. Eingearbeitet wird er vom bärbeißigen, aber väterlichen Bruno (Peter Kurth). Der Getränkeabteilung gegenüber, ist das Revier der Süßigkeitenfrauen. In die forsche Marion (Sandra Hüller) verliebt sich Christian. Sie ist fasziniert von Christians Tattoos und seiner ungelenken, schüchternen Art.
Ihr Haargummi wird für Christian zur Devotionalie. Zu ihrem Geburtstag schenkt er ihr einen improvisierten Kuchen aus Yes-Törtchen. So unterschiedlich sie wirken, fühlen sich die beiden im Grunde allein und nähern sich einander wie zwei Schwankende auf hoher See. Den Sound des Meeres besorgen die Gabelstapler, die mehr sind als bloße Requisiten. Das Maschinenherz ist letztlich genauso klappernd, wie das ihrer Fahrer, quietschend und widerspenstig ruckelnd. Überhaupt ist „In den Gängen“ ein melancholischer Film. Die Melancholie entsteht jedoch nicht aus der vermeintlich eintönigen Routine der täglichen Arbeit; Blaumann an, Kisten schleppen, Getränke sortieren, Waren verstauen, Paletten hieven und schieben.
Es ist im Gegenteil die Welt außerhalb der Gänge, die das Gemüt verdüstern. Marion ist unglücklich verheiratet, Bruno hängt seinem ehemaligen Beruf als Fernfahrer nach, Christian sucht nach einem Neuanfang. Auf der Arbeit herrscht unterdessen fast uneingeschränkte Solidarität. Man spielt gegeneinander Schach, raucht heimlich auf der Toilette, klaut zusammen abgelaufene Lebensmittel.
Liebevoll ist man zueinander, auch ohne viele Worte. Es sind die Blicke, die sich das Ensemble zuwirft, die ihre stumme Verbundenheit prägen. Bevor der Film aber in Kitsch abdriftet, und das Lied der Arbeitersolidarität anstimmt, bricht plötzlich das Band an einer Stelle auf. Dennoch, es nützt nichts, der Betrieb muss weitergehen und weiter kreist die unsichtbare Hand des Marktes, am Rande einer, viel zu selten durch einen Film beleuchteten, Gemeinschaft.
Den Großmarkt in der sächsischen Walachei anzusiedeln, ist hierbei der Kniff, der das graue Band der zweispurigen Autobahn verknüpft mit den Erfahrungen der Post-DDR und spätkapitalistischer Lohnarbeit. Die Biographien der älteren ArbeiterInnen des Marktes sind brüchig, ihre Verlusterfahrungen durch die Auflösung eines begrenzten, aber schützenden Umfelds sind greifbar. Bezeichnend ist das Gespräch zwischen zwei Arbeitern. Fassungslos ist der Vater eines Sohnes über dessen Wunsch zu studieren, ohne seine Ausbildung zu beenden. Da hätte er doch wenigstens etwas Festes. Es sind die alten Kategorien, die nicht mehr zählen. Mobilität und Flexibilität sind die Fixsterne der neuen Generation. Die Provinz ist nur ein Zwischenstopp entlang der Schnellstraße Richtung Dresden, Leipzig oder Berlin. Stehen bleiben nur die sogenannten Verlierer.
Es sind die meterhohen Gänge des Großmarkts, die die symbolische Grenze der Bewegungsreichweite verdichten. Trotzdem bleibt der Film nicht unversöhnlich. In den Gängen ist es gedrängt, aber nicht beengend, dunkel, aber nicht düster. Dem Film ist zwar eine Wettbewerbsauszeichnung bei der diesjährigen Berlinale verwehrt geblieben, aber nichtsdestotrotz hat man lange keinen deutschsprachigen Film mehr gesehen, dem es gelingt das Tor vermeintlicher Enge zu weiten.
In den Gängen, von Thomas Stuber
mit u.a. Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth
ab 24. Mai 2018, 125 min