Elena (Blanca Suárez) telefoniert mit Kopfhörern an ihrem Handy und spricht mit einer Freundin über ein anstehendes Date. Die Kamera folgt der jungen Spanierin durch die Straßen Madrids. Plötzlich bricht das Telefongespräch ab, denn Elenas Akku ist leer. Genervt betritt sie eine kleine Bar und erregt sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Sie will, aufgestylt wie sie ist, nicht so recht in das Etablissement passen, in dem sich sonst nur Gestalten wie die spielsüchtige Trini (Carmen Machi), ein dicker, hustender Mann, der sich ohne ein grüßendes Wort auf die Toilette verzieht, oder der Obdachlose Israel (Jaime Ordóñez) herumtreiben. Elena bestellt einen Milchkaffee und fragt Barbesitzerin Amparo (Terele Pávez), ob sie ein Ladekabel für ihr Handy ausleihen könne. Sofort schaltet sich der Koch Satur (Sacun de la Rosa) ein und breitet sein Sammelsurium an liegengelassenen Kabeln aus, um der jungen Frau zu helfen.

El Bar feierte auf der diesjährigen Berlinale seine Premiere. Der Film des mehrfach Goya-Preisgekrönten, spanischen Regisseurs Álex de la Iglesia reiht sich in seine Serie mutiger Streifen der etwas anderen Art ein. Erstmals zu Gast im Berlinale Special war er bereits 2012 mit seiner Produktion La Chispa de la Vida mit Selma Hayek in der Hauptrolle.

Ein Gast macht derweil Anstalten zu bezahlen. Amparo kassiert ihn ab und er verlässt die Bar durch die gläserne Vordertür. Als er den ersten Schritt auf den gepflasterten Gehweg setzt, fällt ein Schuss. Der Mann fällt blutend zu Boden. Aufregung entsteht in der Bar. Alle drängen sich an die Glastür, um zu sehen, was passiert ist. Der Platz vor der Bar ist urplötzlich menschenleer. Elena und die anderen beobachten den Angeschossenen beim Verbluten. Ein Streit entbrennt; Soll einer der Anwesenden versuchen, dem Mann zu helfen oder verstecken sich alle lieber in der Sicherheit der kleinen Bar? Einer der Umstehenden drückt sich gegen den Willen der anderen nach draußen, doch als er bei dem Verletzten ankommt, wird auch er durch einen Schuss niedergestreckt. Ein Schütze ist nicht auszumachen.

Die übriggebliebenen acht Personen, darunter Elena und die vorher genannten sowie der ehemalige Polizist Andrés (Joaquín Climent), der Geschäftsmann Sergio (Alejandro Awada) und der in der Werbebranche arbeitende Hipster Nacho (Mario Casas), der so in sein Macbook vertieft ist, dass er die Schüsse nicht einmal gehört hat, ziehen sich verängstigt in der Bar zurück. Es werden Theorien durcheinandergerufen. Die Polizei würde bald kommen und alle retten, man müsse nur warten. Nein, es handle sich um einen Anschlag und die Bar werde wohl bald von Terroristen gestürmt. Die Regierung opfere die hier Anwesenden, um hunderte Leben zu retten. Es gebe mit Sicherheit eine Bombe. Die Anschuldigungen werden heftiger.

Der bärtige Nacho wird schnell zum Dschihadisten erklärt, im Koffer des Geschäftsmannes Sergio eine Bombe vermutet. Andrés zieht eine Waffe zu seiner Verteidigung. Die Situation droht zu eskalieren, denn keiner traut sich mehr über den Weg. Die Vermutung, dass der Mörder unter den Anwesenden ist, steht unsichtbar im Raum. Plötzlich fällt die Aufmerksamkeit darauf, dass die Leichen vor der Tür verschwunden sind. Etwas stimmt hier ganz und gar nicht. Auch weil die Medien im Fernsehen von einem großen Brand im Zentrum Madrids berichten. Doch es gibt kein Feuer. Zumindest noch nicht.

„El Bar“ ist ein Film, der auf abstruse Art zeigt, wie sich Menschen in Extremsituationen verhalten. Aber er sollte nicht als klassisches Kammerspiel abgestempelt werden, denn es ist viel mehr als nur das. Klaustrophobie, Verlassensängste und Wahnvorstellungen beigleiten die sich ständig wendenden Ereignisse, denn mit den Bildern des Films wird auch die Stimmung zunehmend dunkler. Auf einmal ist sich jeder selbst der Nächste.

Eine spannende Handlung, die sich ebenso wie die Darstellungsart, die klugen Dialoge und die klischeehaften Charaktere nicht zu ernst nimmt und es schafft, mit Spaß ein tiefgründiges Thema abzubilden. Vor ekelerregenden Szenen schreckt Regisseur Álex de la Iglesia genauso wenig zurück wie vor philosophischen Themen. Angst vor dem Tod, Vertrauen, Hierarchien und das Aufbrechen des zivilisatorischen Selbstbilds spielen hier eine durchaus prominente Rolle. So zum Beispiel, wenn die Charaktere in weißer Unterwäsche in die dreckigen Gewässer der Kanalisation herabsteigen müssen. Wie der Obdachlose Israel prophezeite: Die Menschen sind in Wirklichkeit kaum anders als “ratas”.

 

BZQ-Punkte: Wenn man aufmerksam zuhört, kann man einiges aus der Bibel mitnehmen, die von Charakter Israel immer wieder gerne zitiert wird.

Prokrastinationspotenzial: Durchgängig hoch. Die Story und ihre überraschenden Wendungen ziehen einen in den Bann. Es fehlt auch nicht an Witz.

Kuschelfaktor: Der Fremdscham-Faktor von Nachos Annäherungsversuchen an Elena ist weitaus höher als die Kuschelquote. Trotzdem entwickelt sich ein zartes Band zwischen den beiden, allerdings nur auf emotionaler Ebene.

UnAuf-Punkte: 4 von 5.
Gäbe es hier so etwas wie einen „Damit-hätte-ich-nicht-gerechnet-“ oder „Absurditäts-Faktor”, hätte El Bar dort definitiv die volle Punktzahl erreicht.

 

Regie: Álex de la Iglesia. Mit: Blanca Suárez, Mario Casas, Jaime Ordóñez, Carmen Machi, Sacun de la Rosa, Terele Pávez, Joaquín Climent, Alejandro Awada

Fotos:

© Álex de la Iglesia