„Wir haben uns in Bewegung gesetzt, die ausländischen und einheimischen Frauen in Deutschland.”
Feminismus. Das ist ein Sammelbegriff für soziale Bewegungen, die gegen die Diskriminierung von Frauen* in der Gesellschaft kämpfen. Ein Kampf gegen Sexualisierung und das Patriarchat, ein Kampf für Gleichstellung und die Menschenrechte aller. Anlässlich des am 8. März stattfindenden Internationalen Frauen*tages, ein feministischer Kampftag, haben wir mit drei Frauen gesprochen, die sich unterschiedlich für ein Ende anhaltender Diskriminierungen gegen Frauen* einsetzen. ‚Unladylike‘ erheben sie ihre Stimme und definieren geschlechterstereotypische Vorstellungen vom ‚Ladylike-Sein‘ um.
Als Berrin Önler-Sayan 1976 für ihr Wirtschaftsstudium aus der Türkei über Heidelberg dann nach Westberlin kam, war es eigentlich nie ihr Plan, in Deutschland zu bleiben. Wie aber so oft, werden gemachte Pläne unvorhersehbar durchkreuzt. Zugunsten Önler-Sayans, denn 50 Jahre später gebürt ihr nun zu Recht der Titel einer “Zeitzeugin” von der Kreuzberger Migrantinnenbewegung der 1970er/80er. Hautnah hat sie die damalige feministische Sozialarbeiterinnen-Szene in West-Berlin miterlebt. Sie war mittendrin, hat über 5000 geflüchtete Frauen über ihre reproduktiven Rechte und Gesundheit aufgeklärt, Sprachkurse in Deutsch und Türkisch gegeben und eine türkischstämmige Frauen-Community zusammengeschweißt. „In den ersten Jahren als Studentin, war ich in einer Frauengruppe türkischer Studentinnen, die wir in den 70ern gegründet haben. Da haben wir schon angefangen Infoblätter zu Patient*innenrechten für türkische Frauen zu schreiben, zu drucken und zu verteilen.” Heute blickt die Sozialarbeiterin mit rund 30-jähriger Berufserfahrung auf ihre prägende Rolle in der türkisch-migrantischen Frauenbewegung Berlins zurück: “Das ist wirklich Knochenarbeit gewesen. In Kreuzberg habe ich die Bewohner einfach auf der Straße angesprochen, oder wenn die zur Beratung gekommen sind, hatten wir Flyer parat. Natürlich ohne Internet und ohne PC. Wir haben die Flyer auf zwei Sprachen entwickelt, sie in Briefkästen eingeworfen, oder per Post geschickt. Wir haben Pressemitteilungen verschickt, Zeitungen und Redaktionen angerufen. Also das war nicht mit einem Klick getan, dass ich hunderte Leute informieren konnte.” Politische Arbeit mit Händen und Füßen eben. Fürs Informieren und Austauschen. Das war es, was migrantische und geflüchtete Frauen in den 1970ern und 1980ern brauchten.
Berrin Önler-Sayan erinnert sich an die Ausgrenzung durch die deutsche Bevölkerung. „Als Migrantinnen fühlten wir uns am Rande der Gesellschaft. Schon seit Beginn meines Lebens oder Aufenthaltes in Deutschland habe ich immer gespürt: Ich bin keine Deutsche, ich bin eine sogenannte ‘Ausländerin’. Frauen mit Migrationsgeschichte sind keine Einheimischen. Irgendwie muss man sich immer rechtfertigen oder verteidigen, weil immer Stiche kommen. Ich habe die Sprache gesprochen, bereits nach einer Woche saß ich in der Sprachklasse. Trotzdem haben die Menschen doch immer wieder irgendeinen Grund gehabt, mich als Ausländerin zu behandeln.“ Bis heute fühle sich die Frage, „Sind Sie integriert?“, für sie wie ein Schimpfwort an.
Umso wichtiger war es, alltäglichem Rassismus und einschränkenden Migrationspolitiken zur Zeit der Arbeitsmigration mit Zusammenhalt zu begegnen. Um das zu verfolgen, half Berrin Önler-Sayan 1984 dabei, einen gemeinsamen Kongress ausländischer und deutscher Frauen in der Bundesrepublik und Europa auf die Beine zu stellen. Den allerersten dieser Art. Vom 23. bis zum 25. März kamen knapp 1500 Teilnehmerinnen unter der Frage „Sind wir uns so fremd?“ zusammen, um Erfahrungen über und Maßnahmen gegen die besondere Unterdrückung von Frauen in der Gesellschaft auszutauschen. Die seien sich trotz verschiedener Herkünfte gar nicht mal so wirklich fremd gewesen. Denn auch in Deutschland kamen Themen der Verhütung, Abtreibung und Menstruation nicht mehr zur Sprache, als in den Heimatländern der Migrantinnen. „Gerade mal vor 50 Jahren wurden Frauen auch hier in Deutschland mit Tabuthemen erzogen. Aufklärung war nicht auf der Tagesordnung. Es sind immer die gleichen Fragen und die gleichen Schwierigkeiten gewesen.” Der Kongress war so auch von einer klaren Haltung getrieben. Nämlich eine, die herkunftsdeutsche Frauen und Frauen mit Migrationsgeschichte nicht voneinander trennte. „Wir haben uns in Bewegung gesetzt, die ausländischen und einheimischen Frauen in Deutschland.”
Unter Mitarbeit bei einem Projekt des Berliner Familienplanungzentrums BALANCE von Pro Familia, „Gesundheitsversorgung von geflüchteten Frauen verbessern“, hat die Berliner Sozialarbeiterin mobile und mehrsprachige Gruppenberatungen für Frauen mit Fluchterfahrung abgehalten. Sie hat über ihre Rechte im Gesundheitssystem, wie die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch, informiert, und über die Rolle der Frau als biologisches Individuum und gebärendes Geschlecht aufgeklärt. Dafür widmete sie sich der Gesundheit des weiblichen Körpers in all seinen Facetten. „Ich habe aber auch aufgeklärt über Fragen wie: Was für welche Organe habe ich in meinem Körper, wie funktionieren die? Wie wirken die? Gegeneinander. Miteinander? Warum werde ich schwanger? Das sind ganz elementare biologische Prozesse.”
Unwissenheit über Verhütung, weibliche Geschlechtsorgane und Menstruation zu bereinigen, kürt sie als sehr wichtig. Nicht nur, um darüber Frauen zu Bestimmenden über ihre eigenen Körper zu machen. Vor allem, weil niemand da war, der es der von ihr geleisteten, gesundheitlichen Aufklärung gleich machen konnte. „Ich wollte Ihnen helfen eigene, für sie richtige Entscheidungen zu treffen. Wenn Sie als Frau zum Gynäkologen gehen, bekommen Sie nicht alle nötigen Informationen. Beim Gynäkologen sind die Frauen nach 15 Minuten wieder raus. Aber in der Gruppenberatung saßen wir zwei, drei Stunden und das einzige Thema war Frauengesundheit, mit allen Aspekten.” Und davon, dass ihre Aufklärung etwas bei den Frauen bewirkt hat, ist Berrin Önler-Sayan überzeugt.
Auch wenn Önler-Sayan mittlerweile in wohlverdienter Rente ist, verläuft sich ihre Spur in der migrantischen Frauenbewegung Berlins weiter. “Auf den Spuren der migrantischen Frauenbewegung in Kreuzberg”, so heißt ein von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) gefördertes Projekt des feministischen Archivs FFBIZ. Dort leitet Önler-Sayan Stadtspaziergänge durch ihr Berlin-Kreuzberg. So hält sie ihre Geschichte durch Erinnerung am Leben. Sie zeigt, welche Orte in der migrantischen Frauenbewegung eine Rolle gespielt haben und bis heute weiter bestehen. Für die Zeitzeugin Berrin Önler-Sayan bezeugen die vor allem eins: „Dass wir was gemacht haben, dass man nicht immer sagt ‘Oh die armen migrantischen Frauen’.”
Foto: Felicitas Hock