What’s in a name? Der autofiktionale Spielfilm Shahid von Narges Kalhor verbindet auf skurril-mystische Weise iranische Geschichte mit deutscher Bürokratie.

In Deutschland eine amtliche Namensänderung zu erwirken ist mitunter ein langwieriges Unterfangen. Diese Erfahrung macht Narges Shahid Kalhor, als sie beim Einwohnermeldeamt die Streichung ihres ersten Nachnamens beantragt. Narges, gespielt von Baharak Abdolifard, ist die Protagonistin des autofiktionalen Films Shahid, von Narges Kalhor, der jüngst auf der Berlinale seine Premiere feierte. Narges‘ Urgroßvater, ein Imam, wurde während der Konstitutionellen Revolution 1906 oder 1907 beim Gebet in der Moschee ermordet und erhielt nach seinem Tod den Status eines Märtyrers. Seitdem trägt die Familie diesen Titel, Shahid auf Farsi, im Namen. Diesen Teil des Namens möchte Narges nun ablegen. Neben einer aktuellen Meldebescheinigung, einem amtlichen Lichtbildausweis und einem polizeilichen Führungszeugnis braucht sie dafür ein psychologisches Gutachten, das bestätigt, dass der Name psychischen Leidensdruck bei ihr auslöst. Während sie mit der Bürokratie kämpft, begleitet sie der Geist ihres Urgroßvaters (Nima Nazarinia), tanzend, in ein schwarzes Gewand gehüllt, auf Schritt und Tritt.

Mit der Namensänderung versucht Narges ihrer Lebens- und Familiengeschichte, die eng mit der iranischen Geschichte verbunden ist, zu entkommen. Denn ihr Name hindert sie daran, ein neues Leben in Deutschland aufzubauen. Trotz der Schwere des Themas glänzt der Film mit feinsinnigem Humor. Während einer Sitzung erzählt Narges ihrem Therapeuten, Herrn Ribbentrop, von ihren Visionen und ihrem Trauma und fragt ihn, ob er sich in sie hineinversetzen könne. Auf seine Diagnose, dass ihre Probleme in der Vergangenheit lägen, antwortet sie trocken, wo ihre Probleme denn sonst liegen sollten.

Neben dem Haupthandlungsstrang verfügt der Film über mehrere Metaebenen. So führt ein in Orange gekleideter Herr mit Föhnfrisur die Zuschauer*in anhand eines wimmelbildartigen Wandteppichs durch mehr als 100 Jahre iranische und deutsche Geschichte, während das Filmteam das weitere Vorgehen diskutiert und sich die Schauspieler*innen über die hohen Anforderungen der Regisseurin beklagen. Man erfährt, dass Narges‘ Vater ein hochrangiger Beamter des Mullahregimes und Berater des ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war. Im Rahmen einer Einladung des Internationalen Filmfestivals der Menschenrechte in Nürnberg, auf dem sie einen Film über die regierungskritischen Proteste 2009 und deren blutige Niederschlagung durch die Staatsgewalt präsentierte, beantragte Narges in Deutschland Asyl.

Zum Ende des Films nimmt Narges eine feministische Neuinterpretation ihrer Familiengeschichte vor. Sie findet heraus, dass es ihre Urgroßmutter war, die nach dem Tod ihres Mannes den Namen Shahid als Familiennamen annahm, um ihrem Sohn und sich selbst eine bessere Lebensperspektive zu eröffnen. In der patriarchalen Gesellschaft ermöglichte ihr der Märtyrertitel sozialen Aufstieg, der ihr ohne diesen Nachnamen als alleinerziehender Witwe verwehrt geblieben wäre. Da die offizielle Namensänderung trotz des psychologischen Gutachtens an Narges‘ doppelter Staatsbürgerschaft scheitert, entscheidet sie sich, die Ursache ihres Leidens zu bekämpfen. Sie reist zurück in die Vergangenheit, um ihren Urgroßvater zu erschießen.

Kalhor verknüpft in Shahid kunstvoll ihre persönliche Familiengeschichte mit der iranischen Geschichte. Die verschiedenen Erzählebenen verbinden mystische Elemente mit dem Alltag einer Exilantin, die versucht, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen und doch ihrer Identität nicht entfliehen kann. In der Vielschichtigkeit des Films liegt jedoch auch seine größte Schwäche. Aufgrund der vielen Handlungsebenen wirkt der Film zum Ende hin ein wenig überladen. Insbesondere die Sequenzen, in denen die Schauspieler*innen ihre Rollen hinterfragen, dekonstruieren die Mystik und die Ungewissheit, die den Film über weite Strecken auszeichnet, und verhandeln performativ zahlreiche politische Diskurse der Gegenwart, ohne dass es der Dramaturgie des Films dient.


Foto: Leonie Huber @Berlinale Stills