Wie viel Kulturerbe des antiken Griechenlands ist in der modernen griechischen Gesellschaft wiederzufinden? Was denken junge Studierende und Professor*innen politisch, wirtschaftlich und kulturell über ihr Land? Es braucht mehr Naturverbundenheit und vielleicht auch eine Revolution.

„Griechenland hat sich seit der Antike stark verändert“, meint Aris Katsilakis, Professor für Bildhauerei an der Aristoteles-Universität Thessaloniki. Das Land wäre in der Vergangenheit des Öfteren erobert worden – mal von den Römern und dann von den Osmanen. Doch was durch die Zeit hinweg gleich geblieben wäre, so Katsilakis, wäre der Raum, in dem wir uns befinden. „Es sind die gleichen Bäume, die gleichen Gesteine, das gleiche Meer, die die antiken Griechen umgeben haben und die uns heute dort noch umgeben.“ Die Natur bliebe von der hellenistischen Zeitperiode, in der Griechenland ihre Blüte erfahren hat, bis heute unverändert. 

Ästhetik der Einfachheit 

Aber fühlen sich die modernen Griechinnen und Griechen in Zeiten der Klimakrise dieser Natur noch verbunden? Wie kann eine solche Beziehung aussehen – oder ist sie bereits obsolet? Der Kunststudent Konstantinos Kioutsioukis macht auf diese Problematik aufmerksam. Seine Kunst nimmt Aspekte der antiken Kykladenkultur auf. So wird die bronzezeitliche Gesellschaft genannt, die zwischen 3300 und 1100 v. Chr. auf einer Inselgruppe im Ägäischen Meer anzutreffen war. „Die kykladische Kunstperiode war für ihre damalige Zeit revolutionär“, erzählt Konstantinos. „So wie die Ästhetik der Einfachheit in der kykladischen Architektur und Kunst vor tausenden von Jahren bestand, lassen sich ihre Auswirkungen im modernen Minimalismus wiederfinden.“ Im Sommer wohnte er auf der kykladischen Insel Paros, auf der er geboren wurde.  „Dem Meer sei man dort sehr nahe”, beschreibt der Student.

Um Meer und Mensch näher zueinander zu bringen, wäre die kykladische Architektur erschaffen worden. Weil damals mit einfachen Materialien, wie Gestein oder Marmor gearbeitet worden wäre, entstünde auf den kykladischen Inseln das Gefühl, Teil der Umwelt zu sein, berichtet Konstantinos. „Man fühlt Dinge, die man sonst nicht fühlen würde“, schwärmt er. Mit seiner Kunst, die kykladisch inspiriert sei, möchte er ein Stück Frieden in die Welt bringen. Im Alltag, so Konstantinos, sei jeder gestresst, arbeite ständig und denke nur rational: „Dabei gehen wir durch das Leben, abgekapselt von unseren Emotionen.“ Dem möchte er entgegenwirken, indem er mit seiner Kunst den Leuten einen simplen Lebensansatz aufzeigen wolle. Er möchte zum Selbst und zur Natur führen, die uns umgebe  – ein Wertesystem wie es in der Antike geschaffen worden sei. 

Natur, Evolution, Revolution?

Grigoris Zarotiadis, Dekan der Wirtschafts- und Politikwissenschaftlichen Fakultät der Aristoteles-Universität Thessaloniki, ist der Meinung, dass sich Griechenland momentan in einer pre-revolutionären Phase befände. „Die starke Unzufriedenheit der aktuellen wirtschaftlichen Lage erhöht die politische Unsicherheit im Land und spaltet es zutiefst.“ Mit dem Eintritt in die Eurozone, so Zarotiadis, wäre es Griechenland möglich gewesen, auf internationalen Finanzmärkten Geld zu leihen. Das Geld wäre jedoch nicht langfristig investiert worden, was schließlich zur Schuldenkrise Griechenlands geführt hätte. 

Seit dem Verfall des antiken Griechenlands und der ersten Demokratie hätte Griechenland nach einer einheitlichen Identität gesucht,  erklärt Zarotiadis. So habe der Drang nach Demokratie in dem Land historisch immer wieder zu Revolten geführt. Damals seien Revolutionen aus hierarchischer Unterdrückung entstanden, so Zarotiadis, heute aufgrund von ökonomischer Ungleichheit. Wenn ein Land in einer instabilen Phase sei, erläutert er weiter, habe dies viel Potential: „Das Erreichen des nächsten Entwicklungsstadiums muss von Instabilität und Chaos begleitet werden, sodass Möglichkeiten ausgeschöpft werden und Veränderung entstehen kann.“ Ob diese Veränderung zu Progressivität oder Regressivität führe, sei eine Frage für die Zukunft


Text & Foto: Yu Sun