Laut Reporter ohne Grenzen steht Griechenland auf Platz 108 der Rangliste für Pressefreiheit. Mit jedem Regierungswechsel wechseln auch die Journalist*innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.   Der Journalist Pantelis Tsompanis kennt die Hürden in der griechischen Berichterstattung. Über seinen Arbeitsalltag sprach er mit der UnAufgefordert. 

UnAuf: Du hast an der Aristoteles-Universität Thessaloniki (AUTH) Journalismus studiert. Welche ersten journalistischen Erfahrungen hast du dort gesammelt?  

Pantelis Tsompanis: An der Fakultät gab es meiner Meinung nach sehr wenig praktischen Unterricht. Wir mussten es selbst herausfinden. Es gab viele Kommilitonen, von denen einige diese Ausbildung nicht abgeschlossen haben und einige, die sie abgeschlossen haben, aber keine Journalisten geworden sind. Ich habe mich entschieden, nicht in Thessaloniki zu arbeiten. Die Situation der Medien in Thessaloniki ist, sagen wir mal, ziemlich schwierig. Es gibt nicht mehr viele Redaktionen, nur noch den öffentlichen Sender EPT [ERT]*, der auch als Staatsfernsehen bekannt ist und einige Websiten. 

Du hast auch über deinen ehemaligen Campus geschrieben. Über was schreibst du noch? 

Der Artikel, den du vom Campus der Aristoteles-Universität gelesen hast, war von “Greece is”. Das ist eine englische Publikation, ein Printmagazin von Kathimerini. Es richtet sich hauptsächlich an Touristen und Expats. In der endgültigen Form war es also wie eine Kurzgeschichte, mit der ich versuchte, die nette Atmosphäre von der AUTH zu beschreiben. Obwohl, um ehrlich zu sein, habe ich manchmal das Gefühl, dass man in den griechischen Medien gute Nachrichten schreiben muss oder Nachrichten, die etwas Positives ausdrücken. 

Du musst gute Nachrichten schreiben? 

Ich habe es absichtlich gesagt. Es ist, als müssten wir über fröhliche Dinge schreiben. Wir müssen über Dinge schreiben, die die Menschen nicht zwangsweise glücklich machen, aber glücklich machen könnten. Ich würde nicht sagen, dass es sich um toxische Positivität handelt, aber ich denke, dass vieles nicht benannt, sondern umschrieben wird. 

2019 hat die konservative Partei Nea Dimokratia die Wahlen in Griechenland gewonnen. Die neue Regierung unterstellte die staatliche Nachrichtenagentur ANA und den öffentlichen Rundfunk der direkten Kontrolle des Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. Wie wirkt sich das auf den Journalismus im Land aus? 

Ich denke da an ein Beispiel, das kürzlich passiert ist. Als Premierminister Mitsotakis an die Macht kam, hat er anscheinend nicht nur EPT und die griechische Nachrichtenagentur ANA unter seine Kontrolle gebracht. Das ist etwas, was fast jeder Premierminister in Griechenland unternimmt. Im August 2022 deckte eine Recherche unabhängiger Medienhäuser wie Solomon und Reporters United auf, dass die Telefone von zwei Journalisten abgehört wurden. Die Anweisung zum Ausspionieren kam vom Büro des Premierministers.** 

Die Medien in Griechenland sind also nicht unabhängig? 

In Griechenland gibt es wenige unabhängige Medien. Sie werden nicht vom Staat finanziert. Während der Pandemie jedoch gewährte die Regierung den Medien im ganzen Land Zuschüsse. Was war das Problem dabei? Man könnte sagen, dass die Regierung den Medien helfen wollte, weil es eine Pandemie war. Während dieser Zeit gab es keine Nachrichten, abgesehen von den Berichterstattungen über Abriegelungsmaßnahmen. Die Menschen waren in ihren Häusern und es war schwierig für sie. Nicht nur für sie, auch Journalisten befanden sich in einer prekären Lage. Letztere drängten darauf, dass die Liste jener Medienhäuser offengelegt werden sollte, die von der Regierung subventioniert wurden. Es hat sich gezeigt, dass die regierungsfreundlichen Medien riesige Summen erhalten haben. Andere hingegen bekamen weniger oder gar keine finanziellen Zuschüsse durch den Staat. 

Welchen Einfluss hat das, was du beschrieben hast auf den Journalismus in Griechenland?

Nehmen wir als Beispiel die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt EPT. Es ist also so: Ein Premierminister geht. Der nächste Premierminister übernimmt nicht nur die Leitung des nationalen Rundfunks, sondern stellt auch seine eigenen Anhänger ein, wie Journalisten, die der Partei nahestehen. Dasselbe galt für die Parteien Syriza und PASOK***. Das hat sich nicht geändert. Man konnte also sehen, dass etwa einige Syriza-nahe Journalisten nach den Wahlen 2019 EPT verlassen hatten. Man hat sie nach den Wahlen nicht mehr bei EPT gesehen. Ihr Arbeitsvertrag bei dem öffentlichen Rundfunk endete mit dem Ende der Legislaturperiode. 

Du arbeitest unter anderem für das Wochenmagazin „K“, das zur Athener Tageszeitung „Kathimerini“ gehört. Wird dein Arbeitsalltag dort auch vom Staat beeinflusst? 

Ich muss sagen, die Zeitung hat eher einen regierungsfreundlichen Ruf. Tatsache ist, dass sie der Regierung näher steht als andere. Während ich dort gearbeitet habe, ist mir aufgefallen, dass die Zeitung als eine der wenigen trotzdem eine gewisse Distanz zu wahren versucht. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht. Das hat mich in dieser Sache nicht beeinflusst. Ich bin kein investigativer Journalist. Ich mache Reportagen für die Zeitschrift „K“, nicht für die Zeitung „Kathimerini“. Ich habe keine Zensur erfahren. Aber um ehrlich zu sein, zensiere ich mich manchmal selbst. Ich denke, dass einige Themen vielleicht zu provokant für das Magazin sind. Aber ich denke auch, dass sie [die Selbstzensur] vor allem an mir liegt. Es hat nichts damit zu tun, wo ich arbeite. Als ich zum Beispiel viel über LGBTQ-Themen schrieb, hat man mich auch nicht zensiert.

Ich habe mich nie politisch unterdrückt gefühlt. Ich würde nicht sagen, dass die Zeitschrift „K“ eine politische Einstellung hat. Obwohl die Leute sagen, dass man eine politische Einstellung besitzt, sobald man für eine Zeitung schreibt. Generell habe ich das Gefühl, dass es in Griechenland bei der Berichterstattung eine Generation Gap gibt. Wir sind die neue Generation. Die Ältere hat einige Dinge etabliert. Wir versuchen, frische Luft und unsere freiheitliche Mentalität in diese Medien einzubringen und der jungen Generation zu helfen, einen Übergang zu schaffen. 

 

Die Deutsche Welle erklärte mal in einem Beitrag, dass die Wirtschaftskrise 2011 nicht nur Griechenland, sondern auch den Journalismus im Land verändert habe. Stimmt das?

Als ich meinen ersten Job antrat, waren wir mit der Unsicherheit der Wirtschaftskrise und anschließend mit der Pandemie beschäftigt. Die Löhne im Journalismus sind sehr niedrig. Auf jeder Website heißt es: „Bitte unterstützen Sie uns. Nur so können wir unsere Arbeit machen, ohne dass sich jemand anderes einmischt.“ Ich denke, dass sowohl die Wirtschaftskrise als auch die Pandemie den Journalismus, den Qualitätsjournalismus und den investigativen Journalismus beeinflusst haben. Und manchmal höre ich, wie Menschen in meinem Alter darüber nachdenken, mit dem Journalismus aufzuhören.

Das Gespräch führte Nils Katzur 


* EPT (gesprochen „Ert“) ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk Griechenlands.

** Am 29. Juli 2022 tagte der Ausschuss für Institutionen und Transparenz des griechischen Parlaments, nachdem herausgekommen war, dass unter anderem die Telefone der griechischen Journalisten Stavros Malichudis (Solomon) und Thanasis Koukakis (Reporters United) mittels der Überwachungssoftware Predator ausgespäht wurden. Am 5. August traten daraufhin der Generalsekretär des Büros des Ministerpräsidenten, Grigoris Dimitriadis, und der Direktor des Geheimdienstes, Panagiotis Kontoleon, zurück. Dimitriadis ist auch der Neffe des regierenden Premierministers Kyriakos Mitsotakis. 

*** Syriza: Synaspismos Rizospastikis Aristeras – ist die „Koalition der radikalen Linken“ und bildete unter Premierminister Alexis Tsipras die Regierung Griechenlands von 2015 bis 2019.
PASOK: Panellinio Sosialistiko Kinima – ist die „Panhellenische Sozialistische Bewegung“


Illustration: Gerda Graus