Griechenland gilt noch immer als ein stark patriarchal organisiertes Land. Damit sind dort Safe Spaces besonders wichtig  – Alex ist non-binär und engagiert sich in einem davon. 

Die Terrassentüren des Café „Bellvill sin Patron“ sind weit geöffnet. Draußen und drinnen sitzen junge Griechinnen und Griechen, unterhalten sich, lachen hin und wieder. Alex sitzt auf einem der vielen Holzstühle an einem kleinen Tisch im Innenraum des Cafés, die gelben Haare leuchten vor der türkisen Wand. Alex Visalo Roiuers ist 22 und studiert an der Aristoteles Universität in Thessaloniki Englische Sprache und Literatur. Neben dem Studium engagiert sich Alex für die queerfeministische Gruppe Sylvia Rivera”. Die Gruppe gründete sich 2014 und benannte sich nach der US-amerikanischen Aktivistin und Dragqueen Sylvia Rivera, die sich für die LGBTQ-Bewegung einsetzte und für Gleichberechtigung von Transmenschen kämpfte. 

Auffallend anders

Die Gruppe in Thessaloniki hat ein ähnliches Ziel. In Griechenland sind Geschlechterstereotypen immer noch tief im gesellschaftlichen Denken verankert. Alex ist nichtbinär, seine Pronomen sind They/er/es, körperlich ist er aber weiblich. Würde Alex in Berlin spazieren gehen, würde er wahrscheinlich nicht auffallen mit dem kurzen gelben Iro und den weiten Klamotten. In Thessaloniki ist so ein alternatives Äußeres allerdings eher die Ausnahme. Kaum eine weiblich gelesene Person trägt kurze Haare. Enge figurbetonte Kleidung und hohe Schuhe sind eher die Regel. Auch das Verhalten wird dementsprechend angepasst, meint Alex: „Männer sollen dominant sein, Frauen eher unterwürfig und nicht so laut, dafür aber gut aussehen.” Aussehen und innere Überzeugung stünden hier in direkter Verbindung, was besonders unter Studierenden spürbar sei. Wer sein Äußeres hier nicht dem Umfeld anpasst und etwas alternativer unterwegs ist, falle direkt auf und sei höchstwahrscheinlich auch in irgendeiner Form politisch aktiv.

Sylvia Rivera

Sylvia Rivera organisiert zusammen mit anderen Gruppen Proteste und Demonstrationen, um auf dieses noch so starre Gerüst des stereotypen Denkens aufmerksam zu machen und es bestenfalls einzureißen. Im vergangenen Sommer hätten sie im Rahmen des „anti-faschistischen/anti-patriarchalen Septembers“ einen Protest organisiert, um auf die Morde an Pavlos Fyssas und Zacharias Kostopoulos aufmerksam zu machen, berichtet Alex. Fyssas war ein griechischer Musiker und antifaschistischer Aktivist, der 2013 von einem Mitglied der rechtsextremen Gruppe „Goldene Morgenröte“ in Piräus ermordet wurde. Der zweite Mord wurde 2018 an dem LGBTQ-Aktivist Kostopoulus in Athen verübt. 

Sylvia Rivera ist der Meinung, dass beide Morde aus derselben homophoben und transfeindlichen Motivation passiert sind, die in dem vorherrschenden System noch zu viel Akzeptanz und Rechtfertigung erfährt. Zwar gab es in den letzten Jahren ein paar gesetzliche Anpassungen, wie zum Beispiel, dass sich trans- oder non-binäre Personen einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen dürfen, jedoch werden die betreffenden Personen noch immer Opfer von Anfeindungen und Angriffen auf offener Straße. Deshalb organisiert die Gruppe für den Transday of Remembrance” im November eine Pride in Thessaloniki. Es soll ein einwöchiges Festival werden, mit mehreren Protesten und Kundgebungen.

Auch für die Anpassung der Gesetze bezüglich einer geschlechtsangleichenden Operation setzen sich die Mitglieder von Sylvia Rivera ein. Alex sagt, es sei zwar nicht mehr unmöglich, sich einer solchen Operation oder einer Hormontherapie zu unterziehen, es wäre dennoch unheimlich schwer, überhaupt eine Behandlung zu bekommen. Für eine geschlechtsangleichende Operation muss ein psychiatrisches Gutachten vorliegen, welches die Notwendigkeit der Operation bestätigt. Und hier tut sich eine Absurdität auf: „Viele verhalten sich dann extrem stereotyp weiblich oder männlich, um ein Gutachten zu bekommen“, meint Alex. 

Dabei solle doch genau das aufgebrochen werden. Außerdem hätten non-binäre Menschen so gut wie gar keine Chance, denn das Verständnis von Non-Binarität, also keiner Zugehörigkeit zu einem der beiden physischen Geschlechter, sei in der Gesellschaft wenig vorhanden. Schon die Änderung des Geschlechts auf dem Pass sei für betroffene Personen ein langer und anstrengender Weg. Dazu gibt es kein „x“ oder wie in Deutschland ein „d“ für divers, es kann ausschließlich zwischen männlich und weiblich gewählt werden. Zwar werde hierfür kein Gutachten für eine Änderung gebraucht, aber es dauere lange und sei ziemlich teuer. Auch die geschlechtsangleichenden Operationen und Hormontherapien würde nicht von der Krankenkasse übernommen und müssten selbst gezahlt werden. 

Kein sicherer Ort

Sylvia Rivera organisiere nicht nur Proteste und Veranstaltungen, sondern bilde auch eine Gemeinschaft und damit einen Safe Space, einen sicheren Ort, für LGBTQIA+ Angehörige, also allen Menschen, die in ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität nicht der heteronormativen Gesellschaftsform entsprechen würden, wie Alex erzählt. Gerade jetzt sei das besonders wichtig, da Polizei auf dem Campus stationiert sein dürfe und queere Menschen oft Opfer von Polizeigewalt seien, erzählt Alex. 

Der Campus wäre vor dem gekippten Polizeigesetz ein geschützter Ort gewesen, der besonders für Gruppen wie Sylvia Rivera essentiell für ihre Arbeit gewesen wäre. „Wir haben leider im Moment keinen Raum, in dem wir uns treffen können, aber wir versuchen trotzdem, ein sicherer Ort für alle zu sein. Wir machen viel über die sozialen Netzwerke, damit möglichst viele Menschen von unserer Arbeit erfahren und auch mitmachen können“, beschreibt Alex die Organisation der Gruppe.

Das Café „Bellvill sin Patron“ scheint auch ein Safe Space für Menschen zu sein, die nicht in die Norm der griechischen Gesellschaft passen. Und tatsächlich sehen hier die Menschen eher bunt aus. Das liegt möglicherweise daran, dass das Café von Anarchist*innen betrieben wird. Gerade deshalb ist es kein Wunder, dass Alex hier sitzt und nicht im Café nebenan. Denn der öffentliche Raum ist kein hundertprozentig sicherer Ort. Verglichen mit Deutschland sind die Aktivist*innen in Thessaloniki durch ihr Äußeres sichtbar – das macht sie verletzlich, da sie der breiten Öffentlichkeit immer ausgesetzt sind. Sichtbarkeit in einer subtilen Art, einer selbstverständlichen, normalen, das ist es, was Sylvia Rivera anstrebt. Die polarisierende Stimmung ist in allen Fragen und Themen der jungen Generation spürbar. Alex betont: „Wir werden dazu gedrängt, eine starke Meinung zu haben. Wir müssen dafür kämpfen.“
Die gesamte Zeit des Gesprächs lächelte Alex underklärte ruhig und wortgewandt selbst die sehr deprimierenden Fakten. Das, wofür Sylvia Rivera kämpft, ist nichts anderes als das, wofür weltweit viele queere Menschen kämpfen: Anerkennung, Gleichberechtigung und Wertschätzung.


Foto: Charlotte Eisenberger