Griechenland gehört zu den Ländern Europas, die von der Währungskrise 2010 am stärksten betroffen waren. Hat die Politik Deutschlands seither das Verhältnis zu Griechenland beeinträchtigt oder für Verstimmungen gesorgt? Ein Einblick in die Studien- und Lebensbedingungen junger Griechinnen und Griechen zeigt die bis heute nachwirkenden Folgen. 

„Meine Großeltern sind in den sechziger Jahren von hier nach Deutschland gezogen“, erzählt Alexandra Taoukidou. Sie ist 23 Jahre alt, in Thessaloniki aufgewachsen und hat im Juni ihr Kunststudium abgeschlossen. Ihre Mutter kam damals für das Studium wieder zurück nach Griechenland. „In einer Gruppe von Freunden gibt es immer eine Person mit Verwandtschaft in Deutschland“, sagt sie.

Für die deutsch-grichische Geschichte gibt es wenig Bewusstsein

Nicht erst seit den Anwerbeabkommen für Arbeiter*innen in den 1960er Jahren oder der Eurokrise ab 2010 gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen den beiden Ländern. Katarina Zachou, Professorin für Germanistik, erinnert an den bayerischen Prinzen Otto, der später Griechenlands erster König wurde. Wichtig zu erwähnen sei aber auch die brutale Besatzung der Wehrmacht ab 1941. Für die wechselvolle Deutsch-Griechische Geschichte scheint es aber, so Zachou, in Deutschland wenig Bewusstsein zu geben. 

So sieht es auch Martin Vöhler, Professor für Altgriechische Philologie aus Thessaloniki, der dieses Semester an der FU lehrt: „Ich glaube, dass die Deutschen in der Regel nicht gut über Griechenland informiert sind. Thessaloniki war beispielsweise eine bedeutende jüdische Stadt.” Im Hinblick auf die Politik Deutschlands während der Eurokrise ab 2015, und das damalige Drängen Wolfgang Schäubles gegenüber Griechenland zum Verlassen der Eurozone, scheint sich diese Ignoranz fortzusetzen. „Er verfolgte einen kruden Egoismus der Ökonomie. Man kann Angela Merkel dankbar sein, dass sie gegengesteuert hat, allerdings ohne viel zu erreichen: Die Griechen wurden schlecht behandelt”, dessen ist sich Professor Vöhler sicher. Die Presse in Deutschland habe derweil mit eingestimmt: „Angesichts der Verheerungen, die deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg in Griechenland angerichtet haben, war das Verhalten der Deutschen meines Erachtens uneinsichtig und unangemessen.” 

Auch an den Unis dauert die Krise an

Doch die Krise von 2010, so sind sich viele Griechinnen und Griechen einig, ist mitnichten vorbei und betrifft nach wie vor auch Studierende in Thessaloniki. „Wirtschaftlich wird alles von Jahr zu Jahr schlechter”, berichtet Nefeli Ivanovits. Sie ist 22 Jahre alt und studiert Informations- und Elektrotechnik. Es gebe zu wenig staatliche Unterstützung für Studierende und besonders die hohen Mieten in den Städten seien ein großes Problem. Viele junge Menschen könnten es sich nicht leisten, in eine andere Stadt umzuziehen. Sie müssten lange bei ihren Eltern wohnen bleiben. An der Universität, wie auch in der Gesamtgesellschaft, gäbe es nun viel weniger Ressourcen, beispielsweise für Bücher, bestätigt auch Martin Vöhler. 

Die Krise habe dazu geführt, dass ein griechischer Haushalt heute im Durchschnitt etwa 1/3 weniger Mittel zur Verfügung hat als vor der Eurokrise. Eine Entwicklung, die wir in Deutschland nicht kennen. „Mit weniger zu leben, haben die Griechen seit 2008 ziemlich tapfer durchgehalten”, meint Professor Vöhler. An der Universität habe es auch starke Einschnitte gegeben. Einzelne Fachbereiche hätten nur noch 30-40 Prozent von dem, was sie vor 2008 zur Verfügung hatten, weshalb beispielsweise weniger Gastwissenschaftler*innen eingeladen werden könnten. Zu Beginn der Krise, berichtet die Studentin Maria, habe es aufgrund der Kürzungen nicht einmal Geld für die Gebäudereinigung gegeben. Daraufhin hätten sich Gruppen von Studierenden gebildet, die mit ihren Professor*innen nach den Vorlesungen die Räume putzten.

Die Sparpolitik der letzten Jahre schlägt sich auch in den Zukunftsaussichten junger Menschen nieder. So können sich die Absolvent*innen der Universität nur auf niedrige Löhne einstellen. In der Germanistik seien viele noch vergleichsweise gut dran, sagt Professorin Zachou, da ihre ehemaligen Studierenden mit Deutschkenntnissen um die 1.200 Euro in Callcentern verdienen könnten. Ein sehr guter Lohn, denn ohne diesen sprachlichen Vorteil bekäme man nur die Hälfte.

Die Universität ist ein Ort der Politik

Stratos Ampatzis, der Komparatistik im Master studiert und die Krise von Anfang an mitbekommen hat, meint, es gab damals eine Politisierung gegen die Sparmaßnahmen. Viele trauten 2015 der linken Regierung um die Partei Syriza zu, die Probleme zu lösen, wurden aber mit der Zeit enttäuscht. Das Ergebnis des Referendums im Sommer 2015 über den Verbleib in der Eurozone wurde schließlich nicht respektiert und auch die linke Regierung setzte Sparmaßnahmen durch. Darauf folgte eine große Desillusionierung und Depolitisierung.

Doch zumindest an den Universitäten sei von Ruhe nicht zu sprechen. „Wir erleben jetzt die Attacke gegenüber der Uni“, sagt Katarina Zachou. Die regierende konservativ-rechte Partei erlaubt seit zwei Jahren die Polizeipräsenz auf dem Campus. Nun möchte sie ihr Vorhaben verstetigen, was auf massiven Protest von Seiten der Studierenden und auch auf das Missfallen vieler Universitätsangehöriger stößt. Konflikte seien nun keine Seltenheit, heißt es vielerorts. 

Eine ökonomische Frage?

Doch wie steht es nun um das Verhältnis zu Deutschland, ist es auch von politischen Spannungen bestimmt? Stratos vermutet, es gehe eigentlich weniger um die Beziehung der beiden Länder zueinander als vielmehr um die Differenzen der regierenden Parteien. Zu Beginn der Eurokrise gab es auf beiden Seiten sehr unterschiedliche Regierungen. Eine Konservative und eine Linke. „Paradoxerweise überschnitten sich diese Differenzen sehr gut mit den vorherrschenden Stereotypen.“

Auch die Germanistin Katarina Zachou bekräftigt, es sei kein Resultat der Krise. Es gehe vielmehr darum, wie man das kapitalistische System sähe und inwiefern man sich damit identifiziere. „Stimmt man für Ruhe und Ordnung und glaubt man, dass man schlecht ist, wenn man nicht an Geld kommt?“ Dann würden die Leute die CDU beziehungsweise Nea Dimokratia wählen und die Leute verehren, die vorwärtskommen, erklärt sie. „Und man versteht nicht, dass es einfach nicht geht, wenn man nicht zu einer bestimmten Klasse gehört und man nicht bestimmte Bedingungen im Leben hat.“ 

Nun scheint auch die gegenwärtige Regierung weitere Privatisierungen vornehmen zu wollen, was auch den öffentlichen Protest immer weiter erschwert. „Zurzeit ist alles dermaßen demoliert, dass die Leute privat, jeder für sich, kämpfen müssen“, sagt Professorin Zachou. „Das ist der Sieg des Kapitalismus. Aber es ist eine Frage des ökonomischen Systems. Ich glaube nicht, dass es eine Frage zwischen Griechenland und Deutschland ist.“


Foto: Nils Katzur