An der Staatsoper Unter den Linden kann man gegenwärtig die Oper ,,Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg‘‘ sehen. Einerseits ist es ein herrliches Werk, das zu Tränen rührt, andererseits war die Oper in der letzten Spielzeit auch an der Deutschen Oper zu sehen. Wem gelingt dieses Werk besser?

Es ist kaum ein Jahr her, da habe ich für die UnAufgefordert die Tannhäuser-Produktion der Deutschen Oper Berlin besprochen. Mich haben die Inszenierung und der Klang der Oper damals – und das ist nicht pathetisch, sondern ganz ehrlich gemeint – zu Tränen gerührt. Dem Tannhäuser an der Staatsoper Unter den Linden bin ich mit der Hoffnung begegnet einen ebenso fulminanten und inniglichen Abend wie vor einem Jahr an der Deutschen Oper erleben zu dürfen und war schon Tage vorher sehr aufgeregt und voller Vorfreude auf den Abend im Haus unter den Linden. Aber, ich wurde enttäuscht.

Dabei soll niemand behaupten, diese Oper Richard Wagners‘ serviere nicht genügend Stoff, um daraus eine geistreiche und anregende Inszenierung zu zaubern. Nein, dieses Werk ist ein ganz besonderes. Im Zentrum ein gleichsam klassisch-romantisches Thema: das Gegeneinander von Geistes- und Menschenwelt, von Christen- und Heidentum. Ein Künstlerdrama par excellence. Ein Titelheld, zerrissen zwischen den Herrlichkeiten des Venusberges (einer als Paradies maskierten Hölle) und der strengen ritterlichen Welt des Hofes. Zerrissen aber auch zwischen zwei Frauen, die ihn beide auf gleiche Art faszinieren. Elisabeth und Venus – sie stehen symbolhaft für zwei Formen der Liebe. Tannhäuser ist Utopist, wenn er davon träumt Erotik und Sexualität (Venus) und christlich geprägte Nächstenliebe (Elisabeth) verbinden zu können. Und sogar die Großfragen des gegenwärtigen politischen Diskurses, könnten anhand von ,,Tannhäuser‘‘ freigelegt werden: So sind es hier zwar die Herren, die von der Liebe reden (Tannhäuser allen voran) aber es braucht eine Frau, um der Liebe tatsächlich begreiflich zu machen, sie zu konturieren. Man muss nicht d’accord sein mit dieser Auffassung von Liebe, die nach Opfertoden verlangt – aber es bleibt dabei: bei genauerer Betrachtung könnte die Elisabeth eine Feministin avant la lettre sein.

Die Herren reden, die Frauen handeln

Auch musiktheoretisch hat der Tannhäuser einiges zu bieten. So ist die Oper eine entscheidende Wegmarke auf dem Werdegang Wagners von den Vorbildern der italienischen und französischen Opern weg, hin zu einer eigenen Form der Oper, die keine ,,Nummern‘‘ und Reihen von ,,Arien‘‘ kennt, sondern als geschlossenes Werk funktioniert, dass zwischen den einzelnen Passagen keinen Raum lässt ,,zerklatscht‘‘ zu werden. Will heißen: Es wäre genügend viel zu diskutieren, genügend viel darzustellen.

Es wäre genügend viel zu erzählen

Der Staatsoper gelingt letzteres schlichtweg nicht und besonders herrlich scheitert dabei die für die Inszenierung verantwortliche Sasha Waltz. Letztere ist kein unbekannter Name in Berlin, hat sogar für kurze Zeit das Staatsballett Berlin geleitet, bis sie noch vor dem Ende ihrer ersten Spielzeit wieder von Dannen zog. Waltz ist eine erfahrene Künstlerin, hat große Produktionen auf die Bühne gebracht und leitet ihre eigene, namhafte Crew (die sie nun auch bei ihrer Inszenierung einsetzt). Gerade deswegen schockiert es, wenn ihre Tannhäuser-Inszenierung nur sehr lauwarm daherkommt. Oder haben wir diese Inszenierung unter der Rubrik ,,schlecht gealtert’’ zu verbuchen? Immerhin liegt die Uraufführung fast zehn Jahre zurück. Heute aber wirkt vieles unkoordiniert und spannungslos.

Da tanzen im ersten Akt einige Tänzerinnen und Tänzer oben ohne in einer Aushöhlung der Bühnenwand, die an die Spitze eines Zeppelins erinnert und machen sich so über den armen Vincent Wolfsteiner (Tannhäuser) her, das dieser fast über seinen eigenen Text stolpert. Soll das eine Satire sein? Haben wir zu lachen? Oder, wird hier der Versuch gestartet den Tannhäuser in die zuletzt immer wieder schwer strapazierte 1920er-Ästhetik zu quetschen? Gewissermaßen mit dem Venusberg als Varieté und den Nymphen des Hörselberges als Josephine Baker-Verschnitte. Wenn ja, dann müsste alles fülliger sein, dann müsste die Bühne überquellen von Tänzerinnen und alles müsste ekstatischer daherkommen. Aber das gelingt nicht. Später wird das Bühnenbild bestimmt von langen Holzpfählen, die bedeutungslos von der Decke hängen und dem Auftritt der Ritter in sehr schmucken grauen Homburg-Hüten. Im letzten Akt wird dann der Homburg-Hut gegen Frack und Stresemann eingetauscht und die aus Rom heimkehrenden Pilger wedeln bedeutungsleer aber sehr eifrig mit Reisigbündeln. Überhaupt wird am Beispiel des Pilgerchores deutlich, was der Inszenierung fehlt: Ernsthaftigkeit. Das soll nicht klingen, als vertrügen die Inszenierungen von Wagner-Opern kein gesundes Maß an Klamauk und Albernheit – aber wenn, dann müssen sie intelligent gedacht und gekonnt vorgebracht werden. Nun – will man da seufzten – Waltz ist eben kein Kosky. So winkt der Pilgerchor einfach unkoordiniert mit den Händen in der Luft herum, halb betend, halb Halt suchend und alles kommt daher wie schlecht gemachtes Schultheater. Es braucht eben schon eine gewisse theoretische Befassung mit Wagner, man muss sich hineinknien in die (zuweilen ungemütlichen) Denkwelten und Inszenierungsutopien des Komponisten, um am Ende mit einem inszenatorischen Scharfsinn daraus die Bedeutung für die Gegenwart herauszudestillieren. Es liegt die Vermutung nahe, dass Sasha Waltz eben das nicht getan hat und ihren Tannhäuser schlichtweg auf eine zu leichte Schulter genommen hat.

Auch der Maestro des Abends, Sebastian Weigle, hat seine Probleme mit dem Werk, was ihm gerade beim großen Pilgerchor zum Verhängnis wird. Immer wieder gibt es Unstimmigkeiten, Feinheiten, die nicht gelingen oder eigentlich herrliche Stellen, die zu matt daherkommen. Dabei ist die Staatskapelle eigentlich die Retterin in höchster Not, die – abgesehen von den erwähnten Kleinigkeiten – die große Herausforderung trägt zu beweisen, dass das Format ,,Oper‘‘, die Werke Richard Wagners und die Staatsoper als Haus ganz allgemein beeindrucken können. Letzteres ist ihr am Ende doch gelungen. Dafür ist sie zu loben.

Aber, es bleibt dabei: Wenn man Durst hat, nach gut gemachten Inszenierungen, die ohne großes Gewese auskommen und der großen Kunst der Musik und dem Text hinreichend Platz zur Entfaltung lassen – dann sollte man lieber an die Deutsche Oper Berlin gehen. Die Staatsoper Unter den Linden mag ein namhaftes Haus sein, an dem zuweilen sogar bedeutungsvoll inszeniert wird – dem Staatsopern-Tannhäuser sollte man lieber fern bleiben und die hohen Summen, die die Staatsoper für ihre Billett verlangt besser investieren. Vielleicht in ein großes Vanilleeis oder ein Glas mehr vom teuren Pausen-Wein?

Der Tannhäuser an der Staatsoper war am 14. Mai zum letzten Male in dieser Spielzeit zu sehen.


Foto: Bernd Uhlig