Phia Quantius lebt seit ihrem 11. Lebensjahr mit Migräne. Wie diese unsichtbare und immer noch stark stigmatisierte Krankheit ihren Alltag bestimmt und warum sie sich trotzdem nicht über die Migräne definiert, erzählt sie in ihrem ersten Buch, einem wirklich herausragenden, schockierenden, informativen Stück Literatur – für Menschen mit und ohne Migräne.

Noch nie habe ich mich von einem Buch so verstanden gefühlt wie von Phia Quantius Debütwerk „Bombenkopf“. Noch nie hat es ein Stück Literatur geschafft, dass ich auf meinem Bett sitze, laut ausrufe „Oh mein Gott, ja! Das fühl‘ ich so sehr!“ und dabei wie wild mit dem Bleistift umherfuchtele, den ich in der Hand halte, um mir Notizen zu machen. Und noch nie war ich einer Autorin so dankbar für ihre Aufklärungsarbeit.
Okay. Ich als Migräne-Patientin und somit Betroffene bin vielleicht auch etwas voreingenommen. Doch Fakt ist: Die Repräsentation dieser unsichtbaren Krankheit ist sehr gering, was unter anderem auf den aktuellen Forschungsstand zurückzuführen ist, der ebenfalls eher dürftig ausfällt, wie sich Phias Buch entnehmen lässt.

Mehr als „nur“ Kopfschmerzen

In ihrem autobiographischen Erstlingswerk beschreibt die 25-Jährige chronologisch, wie die Krankheit in ihr Leben trat, wie sie teilweise tagelang ausgeknockt ist und wie sie trotz allem so viel mehr als die Migräne ist.
Sie erzählt detailliert von den Symptomen, die die Krankheit bei ihr seit ihrem 11. Lebensjahr hervorruft, die mit der Zeit aber auch variieren können. Dabei handelt es sich um weit mehr als „nur“ Kopfschmerzen. Phia hat Migräne mit Aura, was so viel bedeutet wie: Zusätzlich zu den enormen Schmerzen hat sie Sehfeldstörungen, ist teilweise fast blind auf einem Auge. Hinzu kommen Lähmungserscheinungen, Halluzinationen, Übelkeit. Einmal ist die Autorin wegen Verdacht auf Schlaganfall in die Notaufnahme eingeliefert worden. Es handelte sich um Migräne.

Was ich sagen will: Migräne hat viele Facetten und Phia schafft es in ihrem Buch, diese ein Stück greifbarer und vielleicht auch ein Stück weniger beängstigend zu machen. Ganz nach dem Motto: „Ihr seid nicht allein. Mir geht es auch oft scheiße. Doch so krass die Symptome auch sind, sie werden vorübergehen“.
Gleichzeitig spricht sie aber auch Themen wie mentale Gesundheit an, setzt Migräne in Relation zu Depressionen und Angst, thematisiert suizidale Gedanken. Auch das kann Betroffenen das Gefühl geben, nicht allein zu sein, und dass es okay und durchaus verständlich ist, sich mehr als alles andere zu wünschen, dass das Leid, das sie so oft erleben, für immer aufhört.

Gerade die Beschreibungen von Phias Innenleben, von ihren intimsten Gedanken, von ihren Ängsten und Sorgen rund um die Migräne machen das Buch aus. Es geht eben nicht nur um die physischen Symptome, die schon schlimm genug sind und viel zu oft von der Gesellschaft als „nur Kopfschmerzen“ abgetan werden. Hinzu kommen Gedanken wie „Was, wenn ich Migräne habe? Was, wenn ich vor Ort meinen Kolleg:innen zur Last falle? Was, wenn jemand mitbekommt, dass ich mich übergeben muss? Was, wenn ich absagen muss? Was, wenn ich dann nicht mehr gebucht werde?“
Mit diesen Worten spricht Phia mir – und vermutlich vielen anderen Migräniker*innen – aus der Seele.

Unstimmigkeiten 

Phias persönliche Erfahrungen werden unterfüttert von Expertenstimmen, was dem Ganzen mehr Gehalt gibt. Dadurch wird „Bombenkopf“ zu einer super Kombi aus emotional-Erzähltem seitens der Autorin und handfesten Fakten seitens der Experten.
So gibt es relativ zu Anfang eine Auflistung von Migräne-Fakten, die erschreckend und informativ zugleich sind.
Ich kann verstehen, dass sich Phias Ausführungen primär auf ihr Krankheitsbild konzentrieren (Kopfschmerzmigräne mit Aura). Allerdings hätte ich mir bei den Expertenbeiträgen doch etwas mehr Differenzierung gewünscht. Die Leser*innen erfahren erst recht spät im Buch, von der Autorin selbst und nicht etwa einer Neurolog*in, dass es unterschiedliche Formen der Migräne gibt.

Beispielsweise schreibt Dr. Gereon Nelles des Berufsverbandes deutscher Neurologen und Neurologinnen in seinem ersten Expertenbeitrag: „Die Migräne ist ein anfallsartiger Kopfschmerz, der unregelmäßig auftritt. Der Schmerz ist pulsierend, pochend oder stechend. Er tritt häufig einseitig an einer Kopfhälfte auf, kann aber auch beidseitig bestehen“. Diese Schilderung ist so nicht korrekt. Die vestibuläre Migräne etwa, die kurz in dem Abschnitt „Vestibu-was?“ Erwähnung findet, kann laut Johns Hopkins Medicine sowohl mit als auch ohne Kopfschmerzen erfolgen. Das Hauptsymptom dieser Migräneform ist Schwindel. Durch so vereinfachte Darstellungen wie diese seitens Dr. Nelles wird leider nicht zur Destigmatisierung der Krankheit beigetragen, was aber augenscheinlich Phias Ziel ist.

Der Fokus der Expertenbeiträge auf den Kopfschmerz setzt sich im weiteren Verlauf des Buches fort, und das, obwohl Phia selbst an einer Stelle schreibt: „Kopfschmerzen haben absolut nichts mit Migräne zu tun“. Auch andere Ungenauigkeiten fallen auf, wie etwa dass der Psychologe Prof. Dr. Erich Kasten nicht trennscharf zwischen tatsächlichen Triggern und der Angst vor einer nächsten Migräneattacke unterscheidet. Denn schlussendlich ist es immer ein Abwägen: Wenn ich weiß, dass ich bei einer Party aufgrund der Lichtverhältnisse und des Geräuschpegels nach spätestens 10 Minuten Migräne bekomme – lohnt sich das dann? An diesen Stellen hätte ich mir mehr Exaktheit erhofft.

Nichtsdestotrotz ist „Bombenkopf“ ein Buch, dass wirklich jede*r gelesen haben sollte. Allein in Deutschland leben 18 Millionen Menschen mit Migräne, es ist sehr wahrscheinlich, mit der Krankheit in Berührung zu kommen, betroffen sind wir alle.


Foto: Shooot by Maria