Es gibt Wochenenden, da ballen sich in den Terminkalendern der Kulturinteressierten der Hauptstadt die Termine auf ganz besondere Weise. Eins dieser Wochenenden war das vorvergangene, an dem sich nicht nur an Schaubühne und Berliner Ensemble die Vorhänge hoben, sondern auch die Paper Positions Messe mit dem Gallery Weekend zusammenfiel. Ein Rückblick.
Freitag: Benefiz-Konzert für die Ukraine von Metanoia Political Concerts e.V.
Unter den großen und besuchenswerten Veranstaltungen dieses Wochenendes erwecken vor allem die kleineren Gelegenheiten den Drang, Kultur zu genießen. So hatte etwa für den Freitagabend der kürzlich gegründete Verein Metanoia Political Concerts zum Benefiz-Konzert für die Ukraine in den großen Saal des Theologischen Konvikts an der Borsigstraße geladen. Schon die Ausführungen der Initiatorin Annabell Vacano, die mit ihrem Team schon ähnliche Konzerte in London und Frankfurt (Oder) realisiert hat, lassen eine*n beeindruckt zurück. Der Gedanke: Musik als Aufforderung zum Perspektivwechsel, das Konzert als Reflexionsraum. Da wird etwa das als schnöde-bürgerlich verrufene Format des Streichquartetts sogleich zum politischen Statement und die Zuhörenden partizipieren an einem wahrlich immersiven Erlebnis, wenn etwa der Kriegsfotograf Fritz Pinnow seine Aufnahmen von der Polnisch-Ukrainischen Grenze präsentiert und anschließend das dritte Streichquartett von Dimitri Schostakowitsch oder ‚Der Tod und das Mädchen’ von Franz Schubert erklingt.
Die Musizierenden sind allesamt von jungem Alter, zumeist Studierende, etwa der Hochschule für Musik und Tanz ,,Hanns Eisler‘‘, und es ist überaus eindrücklich, was für ein Klangvolumen hier etwa von der Cellistin Angela Aguareles aus den Tiefen ihres Instruments zu Tage gefördert wird. Man spürt die Verzweiflung, die Bedrängnis in der Komponist Schostakowitsch, der Gegner des Stalin-Regimes war und unter massiven Repressalien zu leiden hatte. Man lebte und fühlt mit, mit jenen, die auch heute von Krieg und Regime bedroht sind. Ja, Metanoia kommt dem selbstauferlegten Auftrag, Menschen zu bewegen, in vielerlei Hinsicht nach. Da wundert es nicht, dass die Spendenbox, die nach Ende des Konzertes zu freiwilligen Spenden einlädt, überaus reich gefüllt ist. An diesem Abend hat sich eine Initiative präsentiert, die wir dringend im Auge behalten sollten. Ihr Konzept und dessen Umsetzung machen jedenfalls Lust auf mehr.
Samstag: Paper Positions und Schaubühne
Eine Kunstmesse, auf der allein Kunstwerke aus Papier präsentiert werden – am Samstag folgte Paper Positions. Die Messe fand in diesem Jahre wieder von der großen Schwestermesse der Berlin Art Fair abgekoppelt statt. Neu waren diesmal aber die Räumlichkeiten: nicht im großen Hangar des Flughafen Tempelhof sondern in den Räumlichkeiten der Telekom-Hauptstadtrepräsentanz. Vorweg, dies war in jederlei Hinsicht ein Gewinn. Einerseits überdeckte die vielen mal filigranen, mal beeindruckenden Werke nicht mehr ein Strahlkraft der Quantität der Art Fair, wie es in Tempelhof oft der Fall gewesen ist; andererseits ergab sich in den Räumlichkeiten der Telekom eine fast intime und angenehm-freundliche Atmosphäre, in der viele Gespräche zwischen Ausstellenden und potenziellen Kaufenden möglich waren. Es konnte ohne Scheu nachgefragt werden und immer wieder wurde zum Ausdruck gebracht, wie wertvoll das direkte Gespräch nach Jahren der Distanz ist. Doch auch was die Werke betrifft, die auf der Paper Positions gezeigt wurden, ist es angezeigt, vorwiegend lobende Töne anzuschlagen.
Immer wieder fallen da kleine und große Arbeiten auf, expressive Gemälde und filigrane Papierarbeiten oder gar Werke aus Pappmaché, wie etwa jene der Künstlerin Annette Meincke-Nagy, die von der Wichtendahl Galerie aus Berlin präsentiert wird. Sie formt ausdruckstarke Pappmaché-Büsten, die teilweise lebensecht, teilweise fast absurd, aber auf eigene Weise friedlich – ja eindrucksvoll – daherkommen. Ebenso positiv fällt auch der Stand der Felix Jud Kunsthandel auf, der aus Hamburg angereist war. Geschäftsführer Robert Eberhardt präsentiert sein Unternehmen, das eigentlich als Buchhandlung bekannt ist, mit ausgewählten Spezialitäten etwa von Eiko Borcherding und Peter Wels ganz selbstverständlich, als sei man schon seit eh und je mit von der Partie. Und auch die Gastgebenden waren gut vertreten: die Galerie Jarmuschek + Partner präsentierte Werke von Faisal Habibi, Malwine Stauss und Majla Zeneli.
Des Abends erwieß sich die Schaubühne als guter Ort, den Kulturgenuss fortzuführen, dort spielten sie Maja Zades ,,Reden über Sex‘‘. Hier hat Regisseur Marius von Mayenburg in einem einfachen Bühnenbild, das im Grunde wie eine Probenbühne aussieht und keine konkreten Veränderungen aufweist, ein heiteres, aber mitunter auch nachdenkliches Stück zum spannendsten Thema der Menschheit aufgerichtet. Es geht – man ahnt es – um Sex. Das Setting ist so einfach wie das Bühnenbild: Berlin, drei Frauen und drei Männer, man trifft sich einmal im Monat, um über Sex zu reden. Dabei werden in manchmal erschreckendem Detailreichtum die sexuellen Biografien der Dreien abgezeichnet. Die Experimentierfreudige, die Abenteuerlustige, der streng katholische Homosexuelle. Reflektion über Erweckungsmomente, inniglichste Wünsche, erschütternde Beichten und bizarre Offenbarungen – von der pflegebedürftigen Mutter, die ihren Sohn im Todeswahn an das Gehänge greift, über die sexuellen Eskapaden der feinsten Sorte, bis hin zu voyeuristischen Erlebnissen und Fantasien.
Natürlich geht es Zade nicht nur um das Brechen von Tabus ( denn was ist heute schon noch tabuisiert?), sondern ihr gelingt mit Hilfe der talentierten Schauspielenden des Abends eine Reise in die Metaebene jenes Cocktails der Heimlichkeiten. Eigentlich dreht sich das Leben doch um die Suche nach Intimität. Es geht um die Einsamkeit, von der man hofft, sie zu überwinden, und es geht um die Frage, was von Sexualität (ob mit oder ohne Liebe) am Ende wirklich bleibt. Wo schon das Textbuch von Zade eine gelungene Vorlage ist, leisten die Schauspielenden des Abends überaus gute Arbeit. Sie zeichnen die grundverschiedenen Charaktere feinfühlig ab und es gelingt, die Tiefe der Sehnsüchte und Hoffnungen zu illustrieren – nichts ist überflüssig, alles sitzt. Im Publikum lacht eine Großmutter fast pausenlos und laut schallend, während die errötete Enkelin vor Scham im Stuhle versinkt. Ein gutes Stück also!
Sonntag: Gallery Weekend
Für all jene, die nach diesen beiden aufregenden Tagen noch nicht genug von Kunst und Kultur hatten, war auch am sonnigen Sonntag einiges geboten. Parallel zur Paper Positions Messe öffneten an diesem Wochenende die unzähligen Galerien der Hauptstadt ihre Türen, um das ,,Gallery Weekend‘‘ würdig zu begehen. Epizentrum der Berliner Galerienlandschaft ist seit einigen Jahren die Auguststraße im Scheunenviertel, die gerade in den Tagen des Gallery Weekends voll mit Kunstliebhabenden ist. Und das kommt nicht von ungefähr. Da ist etwa die Galerie Eigen+Art die die Werke von Allan McCollum zeigt und auch in der Salongalerie ,,Die Möwe‘‘ (Auguststraße 50B) wird Spitzenkunst geboten. Wolfram Becks Bilder bestechen mit scharfen Konturen und lauten Farben, sie erinnern ein wenig an die Bauhaus-Künstler und sind dabei keineswegs unaktuell.
Am Besten präsentiert sich aber die Galerie Deschler (Auguststr. 61). Hier kommen unter dem Titel ,,Indianer, Toreros und Nachteulen — Die Neuen Wilden im Berlin der 80er Jahre” Werke von Elvira Bach, Luciano Castelli, Helmut Middendorf, Rainer Fetting, Bernd Zimmer und der Künstlerin Salomé, die mit ihrer expressiven Farbenpracht und ihrer Strahlkraft immer wieder aufs Neue die Besuchenden in ihren Bann ziehen und – folgt man der Menge an offenkundig vor-bestellten und reservierten Werken – auch beim kaufenden Publikum sehr beliebt sind. Ein Glück, dass die Ausstellung der Werke aus den ,,wilden 80ern‘‘ in der Galerie Deschler noch bis zum 16. Juli 2022 läuft!
Als wäre der bunte Blumenstrauß an Kunst, den die Galerien an diesem Wochenende präsentierten, nicht genug, öffnen im Rahmen des Wochenendes unzählige Künstler*innen ihre ganz privaten Ateliers. Und so ist nicht nur ein Einblick in bezaubernde Altbauten möglich, die vor künstlerischem Oeuvre nur so strotzen und in denen schon kleine Einrichtungsdetails und scheinbare Unordnung wie gewollte Kunstinstallationen daherkommen. Nein, der Blick fällt auch auf die vielen kleinen und großen kreativen Ideen, die das künstlerische Berlin zu bieten hat. Als Beispiel sei etwa die Künstlerin Gudrun Leitner genannt, die in ihrem Atelier in einem Hinterhof an der Auguststraße raumhohe Texilarbeiten präsentiert, bei denen durch unzählige übereinander genähte Schichten Stoff am Ende ein Anblick entsteht, das nahezu wie ein Gemälde anmutet. Kaum vorstellbar, wie viele hundert Stunden Arbeit in diesen Werken steckt. Bei diesem ideenreichen Geist, dem diese völlig neue Collage-Kunst entsprungen ist, kommt Begeisterung.
Kurzum – Chapeu!
Kurzum, das vorvergangene Wochenende war einer der kulturellen Höhepunkte des laufenden Jahres, bei dem wieder einmal deutlich wurde, wie unendlich reich an hinreißender Kultur Berlin ist. So hinreißend, dass es dem geneigten Kritiker immer wieder schwer fällt, Ansatzpunkte für ehrliche Monita zu finden. Eine Kulturszene, die in vielerlei Hinsicht immer wieder aufs Neue begeistert. Chapeu!
Foto: G.M. Bresdola