,,Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg‘‘ lautet der etwas sperrige Titel dieser Oper von Richard Wagner. Die Deutsche Oper Berlin bringt dieses Werk in der laufenden Spielzeit zur  Aufführung und liefert – wie sooft – allerfeinste Opernqualität. Doch was steckt hinter der vermeintlich märchenhaften Erzählung vom Ritter Tannhäuser, der sich von der Ritterschaft abwendet, um in den Venusberg einzuziehen? Und warum berühren uns die Fragestellungen des Abends auf ganz besondere Weise?

Die Geschichte dieser Oper ist für Wagner’sche Verhältnisse im Gegensatz zur Schöpfung eines völlig eigenen Kosmos im Ring fast eindimensional. Der Ritter Tannhäuser hat sich vor Jahren aus dem Kreise der singenden Thüringischen Ritterschaft verabschiedet, um Glück und Erfüllung in einer ,,Venusberg‘‘ genannten Lustwelt unter der Führung der Göttin Venus zu finden. (Was griechische Göttinnen im Thüringischen verloren haben sei dahingestellt). Doch dort gefällt es Tannhäuser auch nicht und er kehrt in den Kreis der Ritter zurück, wird freudig empfangen – insbesondere von seiner Jugendliebe Elisabeth. Anlässlich der Wiederkehr Tannhäusers findet nun ein Fest mit Sängerwettbewerb statt. Im Rahmen dieses Wettstreites offenbart Tannhäuser seine Vergangenheit, wird fast erschlagen, nur ein Eingreifen Elisabeths kann ihn vor dem Schwert der Ritterkollegen bewahren. Um um Vergebung nachzusuchen, pilgert er zum Papst nach Rom, letzterer möchte Tannhäuser aber nicht vergeben – die Hinwendung zur Venus ist für den Papst unverzeihlich. Als geschlagener Mann kehrt Tannhäuser heim, will gerade zurück in den Venusberg hinein, da wird ihm durch ein Wunder doch noch Vergebung zuteil. Das Stück endet mit dem tief-berührenden Chorus: ,, Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, er geht nun ein in der Seligen Frieden!‘‘. Dann fällt der Vorhang und die Zuschauenden bleiben gerührt und ergriffen zurück – minutenlang herrscht Stille, bevor der große Applaus aufbrandet.

Zu wenig Freiheit schadet, zu viel Freiheit ist auch nicht immer die Lösung

Doch was ist es, dass die Zuschauenden so an dieser Oper bewegt? Nun, es sind die ganz existentiellen Fragen, die uns hier immer wieder begegnen. Allen voran die Frage nach ,,Erlösung‘‘. Etwa, wenn Tannhäuser seine Schuld, die er durch seinen Aufenthalt im Venusberg auf sich geladen hat, eingesteht und entgegen der allgemeinen Erwartung vom Papst im Rom keine Vergebung erfährt. Die Verzweiflung hierüber treibt ihn fast wieder in die Sünde zurück, allein Elisabeth, seine große Liebe, kann durch das Bitten für ihn ein Wunder bezwecken: der Stab des Papstes beginnt zu grünen – was die Bedingung für die Vergebung Tannhäusers Sünden gewesen war. Tannhäuser erfährt am Ende doch noch Vergebung. Das Stück endet mit einem Happy End. Doch ,,Tannhäuser‘‘ ist mehr als ein zur Oper gewordenes Märchen. Denn hinter der Geschichte von Erlösung durch Liebe – ein Motiv, das wir unter anderem vom Fliegenden Holländer kennen – steht wie immer bei Wagner auch intelligent-eingewebte Gesellschaftskritik. Tannhäuser zieht nur in den Venusberg ein, weil er innerhalb des strengen, von einer christlich-puritanischen und leibesfeindlichen Moral der Ritter- und Sängerschaft Thüringens keine wirkliche Erfüllung finden kann. Doch auch im Venusberg, wo ihm sämtliche denkbare Annehmlichkeiten des menschlichen Daseins gewährt sind, ist er nicht zufrieden. Also ist es, wie bei fast allen schönen Dingen des Lebens, eine Frage der Dosis. Auch, dass der Papst dem Büßer Tannhäuser nicht vergeben mag, passt nicht unbedingt in die christliche Vergebungsphilosophie, die für gewöhnlich, jedem oder jeder, der oder die  reuig Buße tut, wenn er oder sie nur zur Umkehr bereit ist, Vergebung verspricht. Dass Wagner diese theologische Gegebenheit übersieht, hat nicht damit zu tun, dass er als Protestant zu wenig vom Papst und Rom versteht. Nein, er zeigt hier die strukturellen Probleme und die Abweichung der Institution Papst von den durch die Bibel übertragenen christlichen Glaubensinhalten und steht mit dieser Kritik – ganz en passent – in der Tradition Luthers.

Doch was wären all‘ diese Inhalte, was wär der eindrückliche Text, der im übrigen auch aus der Feder Wagners stammt, ohne die Musik, die an diesem Abend das Orchester der Deutschen Oper unter Sir Donald Runnicles so fabelhaft zu Gehör bringt? Es ist immer wieder beeindruckend zu hören, wie von der Sekunde in der Runnciles den Dirigierstab hebt bis zum Verklingen des letzten Tones alles stimmt. Keine Ungenauigkeit lässt der Maestro zu, keine Unausgewogenheit kommt ihm unter. Und die Sängerinnen und Sänger hat Runnicles auch fein unter Kontrolle. Lässt ihnen hinreichend Raum, um sich zu entfalten, fängt sie aber auch ein, wenn er das Gefühl hat, sie könnten ihm abhanden kommen. Da ist etwa Stephen Gould, der den Tannhäuser singt und diese Rolle schon aus Bayreuth kennt. Er formt seine Rolle genauso klangscharf und mit großer Empathie wie Elisabeth Teige, die gleich zwei Partien, nämlich die der Venus und der Elisabeth, singt.

Inszenierung ist schlüssig

Die Inszenierung des Abends hat Kirsten Harms besorgt – es handelt sich um ein etwas älteres Werk, die Aufführung am 8. Mai 2022 ist die 50. Aufführung seit der Premiere dieser Inszenierung im Jahre 2008. Doch muss die Inszenierung keineswegs dem Vorwurfe begegnen, dass sie an Aktualität eingebüßt habe. Nein, es handelt sich bei der Arbeit von Kirsten Harms um eine angenehm moderne, minimalistische Inszenierung, die ohne großes Gewese auskommt und der großen Kunst der Musik und dem Text hinreichend Platz zur Entfaltung lässt. Während die Ausstattung der Bühne mit Krankenbetten im dritten Akt hier und da Fragen offen lässt – es handelt sich wohl um eine Reminiszenz an die heilige Elisabeth, die sich einst im Sinne der Caritas um die Kranken und Irren bemühte – sind die Bühnenausstattungen im ersten und zweiten Akt schlüssig. Über der versammelten Ritterschar hängen etwa 50 Ritterrüstungen in der Traverse und auch die Ritter selbst kommen immer wieder in ihrer Rüstung daher – zuweilen sogar auf einem überdimensional großen Pferd. Es ist die moralische Enge der Ritterschaft, die Harms hier durch die unflexiblen und Engen Ritterrüstungen dargestellt. Sie rekurriert auf das Wertekorsett, das zugleich schützt und beengt. Auch der intelligente Einsatz von Licht, der immer wieder zu stimmungsvollen Momenten führt, ist lobenswert.

Kurzum: Der ,,Tannhäuser‘‘ der Deutschen Oper – mag die Inszenierung auch schon einige Jahre alt sein – überzeugt. Wieder mal ein Abend, der die Vormachtstellung der Deutschen Oper innerhalb Berlins, aber auch innerhalb der deutschen, ja innerhalb der europäischen Opernlandschaft weiter zementiert. Ein ganz wesentlichen Anteil daran hat Sir Donald Runnicles mit seinem grandiosen Opernorchester. Bravo!


Fotos: Bettina Stöss