Einen Klassiker der Weltliteratur in nur 85 Minuten mit nur einem Schauspieler auf die Bühne zu bringen – das geht? Das geht. Regisseur Andrăs Dömötör und der Schauspieler Božidar Kocevski wagen sich an eine Adaption von Die Pest des 1960 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Albert Camus.
Auf einer abgedunkelten Bühne in der Box des Deutschen Theaters Berlin sitzt Kocevski mit dem Rücken zum Publikum und erzählt die Geschichte der Stadt Oran. Von einem Tag auf den anderen tauchen tote Ratten in den Häusern und Gassen auf. Blut rinnt aus ihren Lefzen und waren es zunächst nur wenige, erwachsen die Ratten zur Plage. Bald klagen die ersten Bewohner Orans über Schmerzen, geschwollene Lymphknoten, Bluterbrechen. Die Stadtverwaltung versucht die Situation noch zu verschleiern – „Die öffentliche Meinung ist heilig: nur keine Aufregung, ums Himmels Willen keine Aufregung.“ – doch es ist klar: in Oran breitet sich die Pest aus.
Doktor Rieux erkennt rasch die Gefahr. So sehr er sich aber auch bemüht das Leiden der Kranken zu mildern, sie vor dem Tod zu bewahren, ist er machtlos gegen die wütende Seuche. Der Ausnahmezustand wird verhängt, Oran abgeriegelt, Menschen sterben in Massen. Die Stadtbahnen transportieren die Leichen zum Krematorium, die Luft ist erfüllt vom Rauch der Öfen. Rieux scharrt Freiwillige um sich, den Journalisten Rambert, den Pater Paneloux, seinen Nachbar Tarrou. Eine Revolte gegen die Katastrophe und das Leiden, bar jeder Hoffnung.
Die Pest ist die Abstraktion
1947 veröffentlicht, liegt es nahe die Geschichte der Pest als Parabel auf den Faschismus und Totalitarismus Europas zu lesen. Auch heute mag angesichts der rechtsextremistischen AfD und der sogenannten Klimakrise die Verführung groß sein den Stoff in einen historischen, politischen Kontext zu rücken. Regisseur Dömötör tut das zum Glück nicht.
Die Pest ist die Abstraktion, erkennt Doktor Rieux. Diese Abstraktion versucht Dömötör sichtbar zu machen und setzt hierfür konsequent auf Minimalismus.
Im Hintergrund grollen monotone, düstere elektronische Klänge. Bis auf einige Stühle ist die Bühne leer. Nach und nach wirft Kocevski sie zu Boden, macht das Sterben sichtbar. Angesichts abertausender Toter ein hilfloses Unterfangen. Sie sind nicht mehr zu greifen, eben abstrakt. Die Pesterreger hängen in der Luft, kleben an Möbeln und Körpern. So pustet ein Ventilator unzählige Ascheflocken über die Bühne, bis der Boden bedeckt ist. Inmitten der Finsternis hebt sich nur Kocevski im hellen Trainingsanzug ab.
Kocevski trägt souverän die Aufführung
Er allein trägt die Aufführung, treibt die Handlung voran und spricht alle Mono-und Dialoge. Trotz einer Vielzahl von Nebencharakteren gibt es zu keinem Zeitpunkt Unklarheit darüber, wer spricht. Durch das Wechseln der Stühle, veränderte Körperhaltungen und die Variation von Stimmlagen oszilliert Kocevski begreiflich zwischen den Rollen. Eine elegante Lösung, die hervorragend aufgeht.
Zwangsläufig musste der Originaltext (Dramaturgie Claus Caesar und Meike Schmitz) auf das Nötigste eingedampft werden. Die Philosophie des Absurden Camus‘ kommt zwar in ihrem Kern zu tragen, die Kenntnis des Romans ist dennoch hilfreich um die Zusammenhänge und abrupten Szenenwechsel nachzuvollziehen. Bestenfalls regt das Stück zu einer (Re)Lektüre von Die Pest an.
Es bleibt das übliche Problem der meisten Romanadaptionen fürs Theater. Die Verdichtung des Textes erzeugt eine Distanz, die der Roman in seiner Tiefenschärfe nicht zulässt. Das auf der Bühne beschriebene Leid lässt die Zuschauer*innen kalt. Die Episode, in der das qualvolle Sterben eines Kindes beschrieben wird, ist im Roman von schmerzhafter Intensität, die auf der Bühne leider nicht zum Ausdruck kommt.
Und so toll Kocevski auch spielt, könnten weitere Schauspieler*innen eine höhere Empathie für das Ringen der Protagonisten wecken. Auch wenn sie sterben, Kocevski ist immer noch da.
Doch vielleicht liegt darin der Sinn: die Pest ist immer da und wird nie verschwinden. Es kommt auf den Einzelnen an sich ihr zu stellen. „Die wahre Großzügigkeit der Zukunft besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben“, schreibt Camus in Der Mensch in der Revolte. Trotz allem.
Aufführungen am 13.12, 19.12 und 26.12.2019, Deutsches Theater Berlin
Die Pest nach dem Roman von Albert Camus
Mit: Božidar Kocevski, Nina Philipp, Ray Reimann
Regie: András Dömötör, Bühne und Kostüme: Sigi Colpe
Musik: László Bakk-Dávid, Licht: Peter Grahn, Dramaturgie: Claus Caesar und Meike Schmitz
Dauer: 1 Stunde und 25 Minuten
Fotos: Arno Declair