Mit Einsam Zweisam ist Cédric Klapisch ein Film gelungen, der entgegen aller Konzeptionen von Liebesdramen, genau deren Machart ausstellt, indem sich die Protagonisten im Dschungel der Großstadt immer wieder verfehlen. 

Die U-Bahn fährt immer und immer wieder mitten ins Bild. Der Film des Regisseurs von Der Wein und der Wind Cédric Klapisch verhandelt in Einsam Zweisam verschiedene räumliche Konstellationen, in denen sich die Protagonisten Mélanie (Ana Girardot) und Rémy (Francois Civil) trotz der Nähe in wechselnden Affären wie aber auch zueinander oder gerade wegen ihrer einnehmenden Wesen einsam fühlen. Mélanie, eine renommierte Biologin steht kurz davor, ihre Forschungsergebnisse vor einer Kommission vorzustellen. Sie, die sich das selbst offensichtlich nicht so recht zutraut, wandelt auf den gleichen Wegen wie Rémy, ein Angestellter in einem Warenhaus, dem ein Job angeboten wurde und der so knapp der drohenden Arbeitslosigkeit entkommt.

Beide leiden unter der Vereinzelung in der leuchtenden Großstadt Paris. Im Fluss der Stadt ist es lediglich die Architektonik ihrer benachbarten Balkone, die eine klare Grenze zwischen ihnen zieht. Sie wandeln auf gleichen Wegen, ihre Alltage verschmelzen, ohne dass sie sich überhaupt gegenseitig wahrnehmen, miteinander. Die Kamera zoomt raus. Ein Eindruck, dass es vielen Pariser*innen nicht anders ergeht, schleicht sich ein. 

Bedienung von Rollenklischees

Auf dem Rückweg vom Bewerbungsgespräch umklammert Rémys Hand wie so viele andere die Stange in der U-Bahn, ein kleines Mädchen lächelt ihm über die Sitze hinweg zu. Im nächsten Moment wird er eine Panikattacke durchleben, die den Zuschauer*innen eröffnet, dass erst in der Abweichung vom normalen Verhalten sich die Anonymität der Menschen in Besorgnis wie auch in unangenehme Nähe verkehrt. Als Rémy die Augen wieder aufschlägt beugen sich unzählige noch verschwommene Gesichter über ihn, die Sekunden zuvor in keinem Bezug zu ihm oder zu anderen Fahrgästen standen. In der Szene eines Hausbrands in der Nachbarschaft, der die Menschen auf die Straße lockte, um das Unglück anderer zu begaffen, stehen Rémy und Mélanie dicht gedrängt aneinander, doch nehmen sich trotz der körperlichen Nähe nicht wahr. 

Während seiner Arbeitszeit als Kundenberater vor einem Rechner in einem Raum mit hunderten von Menschen vor weiteren Rechnern lernt Rémy eine seiner Kolleginnen näher kennen, bewusst schreibt sich in die Mechanisierung Individualität ein – zwei Menschen werden in der Masse an Rechnern sichtbar.  Prompt wird das aufkommende Gespräch bei ihrem Besuch seiner Wohnung in eine Richtung hingelenkt, an dessen Endpunkt Rémy seiner Kollegin in simplen Worten, sodass auch sie es seinem Weltbild nach verstehen kann, die komplexe Welt der Technik erklärt. 

Mélanie wiederum kann es in der Wissenschaft zwar weit bringen, muss sie dann aber ihre Forschungsergebnisse präsentieren, rekurriert sie auf ihre Sorge um die krebskranken Kinder. So erschließt sich der Wille zum Fortschritt nicht in Durst nach Wissen, sondern in einer als weiblich überschriebenen Fürsorglichkeit. 

Flucht in die Psychotherapie

Sie flüchtet sich in psychologische Beratung. Ihre Psychologin – eine esoterische Frau – sitzt in einem komplett zugestellten Zimmer, dass aus Kompensation ihrer reservierten und teilnahmslosen Art und Weise viel zu sehr darauf abzielt, Wohlbefinden und Geborgenheit zu erzeugen. Jeder Zentimeter des Raumes scheint ihre eigene innere Kälte verdecken zu wollen. Sie hört ihr nicht recht zu, redet ununterbrochen am dem Thema vorbei und will Mélanie ein Vater-Tochter Komplex unterstellen, der seit Jahren keine Rolle mehr in ihrem Leben spielt.

Zum Thema wird die Beziehung zu ihrem Vater, da die Psychologin ihr eigenes Problem überprojiziert. Ein Mann, dessen Wesenszüge sich in der minimalistisch möblierten Praxiszimmers erschließen, der gleichzeitig wie aus Zufall Rémys Psychologe ist, ist ihr Vater. Dass sie mit der Einrichtung ihrer Praxis und mit ihrem gesamten Wesen, dass was ihr Vater ihr nicht geben konnte, kompensiert, wird nicht auf die Beziehung der Protagonistin zu ihrem Vater übertragen und bleibt so im luftleeren Raum hängen. 

Bewusste Kontrastierung 

Bis zu der Sequenz, in der Rémy von einem, Inkompetenz versprühenden Psychologen eine Depression angedichtet wird, sitzt man noch gefesselt vor der Leinwand, doch nach etwa einer halben Stunde eröffnet sich mir die Konstruiertheit des französischen Dramas.

Ein Beispiel: Um ihre Schlafprobleme medikamentös zu therapieren, suchen beide ein und dieselbe Apotheke auf, deren Mitarbeiter*innen sich bei dem Versuch ein und dasselbe Symptom mit zwei komplett verschiedenen Mitteln einzudämmen, fast gegenseitig überrennen. Privatsphäre kollidiert mit Platzmangel mitten in der kleinen Apotheke. Die Kontraste wirken erzwungen, viel zu aufgesetzt, als dass sie einen wahrhaftigen Eindruck hinterlassen könnten. So wird den Kinobesucher*innnen das Groteske förmlich unter die Nase gerieben. Vor einer Alpenkulisse wirft der Bruder Rémys ihm vor, in Paris an der Einsamkeit zugrunde zu gehen. Häufig tritt der Lärm der Großstadt der Stille den eigenen vier Wänden gegenüber. 

Jedes Mal, wenn Mélanie den Computer aufklappt, um sich über eine Onlinedating Plattform neu zu verabreden, kommt Hoffnung auf, dass sie sich nun endlich kennen lernen, vor allem da in der nächsten Szene auch Rémy vor dem Bildschirm gezeigt wird. Doch es passiert nicht, Rémy richtet sich ein Facebook Profil ein und trifft sich mit einem alten, wobei er sich darüber nicht sicher ist, Klassenkameraden, und Mélanie schreibt den nächsten Typen ab. Lächerlich naiv wirkt es, dass sie nicht zu begreifen scheint, dass ihre Reduzierung auf das Äußere das grundlegende Problem der schieflaufenden Begegnungen ist. Aus ihren Fehlern lernt sie nicht, obgleich sie Alpträume plagen. 

Ausgestellte Konstruktion als Reflexion einer Filmbranche? 

Wie lässt sich Einsam Zweisam in wenigen Worten zusammenfassen? Nun ja, es ist das Drama vor dem Drama einer Liebesbeziehung. Mit Blick auf die Dynamik bietet der Film eher einen Einblick in das Dazwischen. Um es mit den Worten des angepriesenen Tanzlehrers, der gleichzeitig der Cousin des Lebensmittelhändlers von nebenan ist, zu sagen: „die Betonung liegt auf dem und.“ Viele Sequenzen bringen keine Bewegung in die Handlung. Eine Katze gegen die Einsamkeit wird groß und breit eingeführt, bekommt mehr Screentime als ihr gebührt, und verschwindet dann spurlos in den letzten 20 Minuten des Films. Wo man als Zuschauer*in noch dachte, jetzt begegnen sich die Protagonisten, deren Liebesgeschichte doch irgendwann innerhalb der 110 Minuten Spielzeit beginnen sollte, verbirgt sich hinter der nächsten Kurve nur wieder eine Wand. Das Ziel scheint bis zuletzt unerreichbar. 

Dass Einsam Zweisam sich an der Handlungskonzeption von Liebesdramen abarbeitet, kann man ihm nicht absprechen. Als Kinobesucherin habe ich mich jedoch am Anfang des Films stehen gelassen gefühlt, da konnten mir auch die schauspielerischen Leistungen nicht mehr die Hand reichen. Den Charakteren fehlte die Tiefe, die es gebraucht hätte, die Konstruiertheit zu deckeln. Ob das Drama mit dem gemacht Sein eines jeden (Liebes-) Films spielt, in dem er dieses nach außen kehrt, muss jeder für sich herausfinden. Ob der Film diese Ebene impliziert, oder ob ich sie nur aufgrund von fehlender Handlungsdynamik hineinlese, kann ich nicht sagen. Denkanstöße liefert er allemal. 

Einsam Zweisam
Regie: Cédric Klapisch      
Länge: 110 min                   
Kinostart: 19.12.2019

Produktionsland: Frankreich

Fotos: © STUDIOCANAL GmbH Filmverleih