Transit – Gespenster der Vergangenheit

Transit startet als erster deutscher Film in das Rennen um den Goldenen Bären. Schon jetzt stößt der interessant konzipierte Film auf viel Resonanz unter den Zuschauern*innen und in den Medien. Christian Petzolds Film ist angelehnt an den gleichnamigen Roman von Anna Seghers über die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland, er spielt jedoch im Marseille der heutigen Zeit.

Transit – ein Wort, das in diesem Film seine vielschichtige Bedeutung eröffnet. Zunächst gilt: Wem Transit gewährt wird, der darf einen bestimmten Staat durchqueren. So strebt auch unser Protagonist, der bereits einen gefährlichen Weg zurückgelegt hat, nach einer Transit-Genehmigung.
Die deutschen Truppen haben Paris besetzt, im letzten Moment ist Georg ihnen entkommen. Marseille erreicht, scheint er sich dort beinahe einzuleben. Die Aufnahmen der charmanten Gassen von Marseille strahlen Intimität aus und vermitteln ein wohliges Gefühl. Zudem begegnet Georg (Franz Rogowski) immer wieder einer mysteriösen Frau, die ihm im Kopf bleiben soll. Doch das bisschen Ruhe, das einkehrt, ist nicht von Dauer: Die deutschen Truppen rücken heran und unter den Franzosen herrscht eine antideutsche Stimmung. Mit Verrat ist jederzeit zu rechnen und Razzien finden statt. Doch Georg ist ein Ausweg geboten, als sich eine unerwartete Chance auf ein Visum auftut.
Zuvor in Paris ist er durch eine Verstrickung von Ereignissen an die Hinterlassenschaft des Schriftstellers Weidel geraten, der sich selbst das Leben genommen hat. Darunter befinden sich auch Briefe von Weidels Frau. Diese hatte ihn scheinbar zunächst verlassen, um mit einem deutschen Arzt fortzugehen, sich später aber wieder umentschieden. In einem der Briefe schreibt sie Weidel, sie wolle mit ihm zusammen nach Mexiko gehen. Als Georg beschließt den Koffer zur Botschaft zu bringen, um wenigstens Weidels Frau noch zu ermöglichen, dorthin zu flüchten, wird er spontan für den Autoren selbst gehalten. Angesichts des Visums, an das er auf diese Weise gelangen kann, nimmt Georg die Identität des Schriftstellers an. Die Situation verkompliziert sich, als er für den liebgewonnenen Sohn eines Freundes, der auf der gemeinsamen Flucht nach Marseille einer Verletzung erlegen ist, einen Arzt sucht. Dabei gelangt er an einen deutschen Arzt. Als er bei dem zuhause die faszinierende Unbekannte antrifft, setzen sich die Puzzleteile mehr und mehr zusammen. Die Frau entpuppt sich als Marie, die in Marseille auf der rastlosen Suche nach ihrem Ehemann Weidel ist. Georg verliebt sich in sie und es beginnt eine Dreiecksbeziehung, die letztlich anscheinend weder der Arzt noch Georg gegen den Ehemann gewinnen kann
. Erst spät teilt Georg Marie (Paula Beer) mit, dass dieser tot ist, was sie jedoch abtut und der Protagonist nimmt keine weiteren Bemühungen auf sich, ihr die Situation zu erklären. Alle Handlung findet unter dem Ziel und dem Druck der letzten Möglichkeit zur Ausreise aus Frankreich statt, die sowohl der Arzt, als auch Marie, als auch Georg nutzen wollen.
Der Roman von Anna Seghers, an den Transit angelehnt ist, gilt als Meisterwerk der Exilliteratur. Das Buch enthält autobiographische Elemente von der Autorin, die unter dem NS-Regime selbst aus Deutschland nach Mexiko floh. Der Regisseur Christian Petzold stellt mit Transit einen interessanten wie spannenden Film auf die Beine. Auf der Pressekonferenz preist dieser den Roman Anna Seghers an, distanziert sich jedoch zugleich von Transit als eine Romanverfilmung. Damit behält er recht. Die zeitliche Verlegung der Geschichte ins Heute macht den Film aus und verleiht ihm seinen besonderen Charakter. So heißt es auch auf der Pressekonferenz seitens des Hauptdarstellers und der Hauptdarstellerin: Geschichte trifft auf Gegenwart, Geflüchtete von heute auf Geflüchtete von damals, was entsteht ist ein ewiger Transittraum.
Transit ist sehenswert. Die Besetzung funktioniert gut. Nicht nur, aber insbesondere macht es Freude, Hauptdarsteller Franz Rogowski spielen zu sehen. Die inhaltliche Verarbeitung des Themas Flucht und Exil hat etwas Eigenes. Transit verdeutlicht filmisch, wie präsent das Thema noch immer ist und wie gleichbleibend viele der Konflikte, die mit Flucht und Exil einhergehen, sind. Wir sehen, wie der Wunsch zu bleiben und der Wunsch fortzugehen sich aufwiegen. Wie sich Warterei und sich überschlagende Ereignisse ablösen. Welche Ängste durchgestanden werden. Vor allem sehen wir, dass die Geschichte der Flucht, eine Geschichte der Angst vor dem Verlassen und Verlassen Werden ist. Transit bedeutet somit nicht nur physischen Übergang sondern auch ein emotionales Dazwischen sein. Auf die Frage nach der politischen Motivation hinter dem Film antwortet Petzold: „Geprägt von den Schicksalen wie dem von Anna Seghers haben die Gründer der Bundesrepublik einen Asylparagrafen ins Grundgesetz aufgenommen. Der wird heute beschnitten. Und ich finde, dass das nicht geht.“
Dass man während des Schauens von Transit vielleicht nicht immer ganz mitkommt ist entweder Schwachpunkt oder stilistisch gewollt. Es ist nicht überraschend, wenn der eine oder andere den Film als ein erzählerisches Durcheinander oder als wirr bezeichnet. Dem bisherigen Feedback auf Transit zufolge ist das offensichtlich eine Frage des Geschmacks. Die andere Perspektive wäre, dass die Wirkung des Films so noch unterstrichen wird und dass es gar nicht der Anspruch des Films ist, alles auszubuchstabieren. In dem zeitübergreifenden Film stellen sich Fragen, die nicht explizit beantwortet werden. Es wird uns ein bisschen der Boden unter den Füßen weggezogen, auch für uns verschwimmen die Zeiten ineinander, was Transit auch zu einer stimmigen Angelegenheit machen kann.