Wie entsteht Stilsicherheit, wie Stilunsicherheit? Warum treffen wir die Kaufentscheidungen, die wir treffen? Wie spielen da Erfahrungen, die wir gemacht haben, mit rein? Und was hat das Thema Nachhaltigkeit damit zu tun? Ein Kommentar über den Zwang zur Stilsicherheit und die vermeintliche Schere zwischen Nachhaltigkeit und „fast fashion“.

In dem identitätsstiftenden Alter von 12, 13 Jahren wurde mir in der Schule wiederholt gesagt, meine Kleider sähen aus, als ob sie aus der Altkleidersammlung stammen würden. Meine Mitschüler*innen fragten mich, warum ich denn so oft hintereinander dieselben Sachen tragen würde. Damals hatten weder ich noch die Personen, die das gesagt haben, die nötige Reflexionsfähigkeit, darüber nachzudenken, dass es wirklich Menschen gibt, die auf Kleiderspenden angewiesen sind. Ich habe diese Aussagen und Fragen als das aufgefasst, was sie sein sollten: Beleidigungen.

Ebenfalls eine Erfahrung, die ich im Jugendalter machen durfte, war folgende: Zwei meiner Mitschülerinnen hatten sich vorgenommen, eine komplette Typveränderung mit mir durchzuführen, weil sie dachten, dadurch würde ich im Klassenkontext eher akzeptiert werden. Davon wichen sie allerdings zurück, als ich nicht mit ihnen shoppen gehen, sondern lediglich einen Friseurtermin wahrnehmen wollte. Diese Erlebnisse haben Spuren hinterlassen.

Auf der Suche nach dem eigenen Stil

Ich habe lange gebraucht, um meinen eigenen Modestil zu finden, war unsicher, habe viel nach Trends gekauft. Auch heute würde ich nicht behaupten, dass ich eine komplette Stilsicherheit erlangt habe, auch wenn das nach außen hin so wirken mag.

Zudem habe ich das Bedürfnis, ständig neue Sachen zu erwerben, um up-to-date zu bleiben. Das rührt einerseits sicherlich aus der Angst vor dem Gefühl von damals, diesem Gefühl von Hilflosigkeit, diesem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Mit dem Kaufen der neuesten Trends will ich mich scheinbar dagegen schützen. Ich baue mir sozusagen meine eigene Festung aus Anziehsachen, nur dass diese mit der Zeit ihre Wirksamkeit verlieren und ich immer neue nachkaufen muss. Andererseits war zu Hause tatsächlich immer recht wenig Geld vorhanden – meine Mutter ist der minimalistischste Mensch, den ich kenne, jedoch nicht aus Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit. Ich kann mir vorstellen, dass auch das etwas mit meinem Wunsch nach ständig neuer Kleidung zu tun hat.

Nachhaltigkeit und  „fast fashion“

Wieviel also verschiedene große Versandhäuser schon an mir verdient haben, ist undenkbar. Und trotzdem würde ich mich gleichzeitig auch als nachhaltig denkenden Menschen bezeichnen. Doch geht sowas überhaupt, auf der einen Seite die großen Konzerne und „fast fashion“ zu unterstützen und auf der anderen an Nachhaltigkeit interessiert zu sein? Das frage ich mich oft und habe derweil ein schlechtes Gewissen, während das Geld auf meinem Konto immer weniger wird. Eigentlich will ich das ja gar nicht, dieses andauernde Kaufen, Anprobieren, Zurückschicken, weil es dann doch nicht passt oder doch nicht so aussieht wie bei dem Model im Internet. Auch auf das andauernde Abwägen, ob das Geld diesen Monat noch für den einen Pulli oder das eine Kleid reicht, habe ich keine Lust mehr. Und erst recht nicht darauf, mich permanent schlecht fühlen zu müssen, weil ich ganz genau weiß, in welchen Konditionen die an der Produktion beteiligten Personen arbeiten. Und dennoch: Der Drang nach neuer, schöner Kleidung bleibt. Warum ist das so? Ich habe in meinem heutigen Erwachsenenleben keine einzige Person in meinem Umfeld, die meine Art mich zu kleiden derart kritisieren würde, dass die von mir erbaute Festung noch notwendig wäre. Und selbst wenn, hätte ich genug Kleidung, um mich jahrzehntelang modisch zu kleiden. Aber ist modisch wirklich gleich stilsicher? Das Wort Stilsicherheit impliziert ja, dass eine Person sicher ist – in ihrem Stil, aber auch in ihrem Auftreten. Da kommt bei mir nun die Frage auf, ob, wenn man nach etwas, wie der Stilsicherheit, so lange strebt, es sich so sehr wünscht, dies nicht auch zu einem Zwang werden kann.

Ich befinde mich finanziell in einer Situation, die es mir nicht erlauben würde, fair produzierte Kleidung in dem Maß zu konsumieren, in dem ich es aktuell mit herkömmlicher Mode mache. Außerdem glaube ich nicht, dass das der Sinn von Nachhaltigkeit ist: Für mich ist die nachhaltigste Lebensweise diejenige, in der nichts Neues gekauft wird, bis das Alte aufgebraucht oder wirklich nicht mehr nutzbar ist. Aber wenn ich das doch alles weiß, wieso setze ich es dann nicht um?

Ich schätze, hierbei geht es mir wie vielen anderen auch: Obwohl ich etwas theoretisch weiß, ist es in der Praxis oftmals doch nicht so leicht, das umzusetzen. In meinem Fall haben mich meine Erfahrungen mit meinen Mitschüler*innen und das wenige Geld, das damals zu Hause vorhanden war, so sehr beeinflusst, dass meine Suche nach Stilsicherheit schon zwanghafte Züge annimmt. Und obwohl ich einigermaßen gut über Arbeitsbedingungen und Co2-Ausstoß informiert bin, fällt es mir noch heute sehr schwer, diesen Zwängen zu entkommen.


Foto: Andrej Lišakov / unsplash