Die Front Row war voll, die Kollektionen auf hohem Niveau. Es scheint, als wäre die Berlin Fashion Week aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht. Neue Konzepte, alte Bekannte und maximale Inklusion machten die BFW zum internationalen Festspiel. Unsere Autorin Felicia  Okçu berichtet von ihren Streifzügen durch die Modeszene Berlins.

Haus Zenner in Alt-Treptow, das ehemalige C&A-Kaufhaus in Neukölln und dann noch kurz Grill Royal: Ich kann von Glück reden, dass die Bahn diesmal nicht gestreikt hat, denn die Fashion Week jagte  mich quer durch die Stadt und wieder zurück. Von diesem Luxusproblemchen abgesehen, war das viertägige Programm der Berlin Fashion Week mit Hauptstadt-Ikone Richert Beil, Haute Couture Enthusiastin Lou de Bètoly und Kosmopolit Shayne Oliver diverser, internationaler und relevanter denn je. Soviel sei vorab gesagt: Streetwear bleibt in Berlin der größte gemeinsame Nenner. Hier meine Highlights des Fashion-Klassentreffens in Berlin.

William Fan 

©WilliamFan AW24 by Boris Marberg

Die erste Modenschau führte mich in die Aufwärmhalle des Olympiastadions zur William Fans Off Duty-Kollektion. Oversize Mäntel aus Kaschmir, dazu Hosenentwürfe schnitttechnischer Raffinesse hoben sich in ihren blassen Grüntönen wertig von den orangenen Kunststofflaufbahnen ab. Eine unerwartete, aber sehr gelungene Abwechslung in Sachen Nuancen für Fan, der eigentlich für seine farbigen Designs bekannt ist. Besonders das Farbric-Layering aus Wolle, Leinen und Nylon wirkt effortless und rundet den Gesamteindruck des Elevated-Sportswear-Looks ab. Eine definitiv alltagstaugliche Kollektion, aus der man sich Inspirationen für eine fashionable Bib-Session holen kann.

Anonymus Club

©AnonymousCLUB AW24  by Ioannis Papadakis

Anschließend ging es nach Neukölln, genauer gesagt in das riesige, dunkle und etwas gruselig leerstehende C&A-Kaufhaus, wo die AW-24-Kollektion der US-Streetwear-Ikone Shayne Oliver für ein Auflaufen urbaner Elite-Gäste sorgte: Ich saß genau hinter Sven Marquardt und Wolfgang Tillmans (Fan-Girl-Moment!!). Die Models trugen bis unter die Achseln hochgezogene Sweatpants, schwere Lederjacken, Rubberboots und natürlich die typischen Shayne-Oliver-Caps mit den zwei Hörnern. Für mich sah das ganze wie eine gelungene Fusion aus Ye und Julia Fox Street-Style aus, mit ein bisschen Fetisch, Underground und Abstraktion.

Richert Beil

©RICHERT BEIL AW24 by James Cochrane

Am nächsten Tag ging es dann nach Westend, wo Jale Richert und Michele Beil mit der Kollektion „Nachlass“ ihr zehnjähriges Jubiläum feierten. Auf dem Laufsteg vereinten sich Fashion, Handwerk und Upcycling zu Sportswear mit kinky Elementen. Neben viel Jeans, Latex und Nieten war mein Favorit-Piece ein Patchwork-Kleid aus braunem Leder, das aus alten Satteln geschneidert wurde. Ob man sich damit hinsetzen kann, keine Ahnung. Jedenfalls eine sehr avantgardistische Ausführung des Coastal Cowgirl (- oder boy) Trends. Hinzu kommt der sehr diverse Model-Cast von Richert Beil. Auf dem Laufsteg trafen sich verschiedene Herkünfte, Körperformen und Altersklassen – alle größtenteils aus dem Streetcasting.

Lou de Bètoly

©LOU DE BETOLY AW24 by James Cochrane

Nach diesen bis jetzt eher darken Vibes entführte mich die nächste Show in ein wahres Winter-Wonderland. Die Designerin Odély Teboul verzauberte mit ihrem handwerklichen Können, was sich besonders in der Zartheit der Spitzendetails sowie Häkel- und Strickkonstruktionen spiegelte. Die gebürtige Französin zeigte ein Ensemble aus filigranen Etui- und Bètolys Kleidern sowie Zweiteilern. Die Farbpalette reichte von pudrigem Rosa bis Chromschwarz, transparenten Materialien und Cutouts. Schockverliebt habe ich mich in das beigefarbene Set aus Alpakawolle, an dem klimpernde Perlen wie kleine Eisblumen herunterhängen. Eine insgesamt sehr romantische Kollektion auf Haute Couture Niveau, die Mermaid- sowie Coquette Momente hat und mich an die Chanel Resort 2019 Kollektion erinnert. Chapeau!

 



Namilia

©Namilia AW24 by Boris Marberg

Von diesem nostalgisch-dekadenten Traum wurde ich in der Namilia Show in das trashige Y2K gebeamt. Rasant kurze Miniröcke, knallenge Leder-Bodies und sehr viel nackte Haut. Die Kollektion des Designerduos Duo Nan Li und Emilia Pfohl heißt „Pfoten weg“ und setzt damit ein Zeichen gegen misogyne, trans- und queerfeindliche Überfälle. Was also auf den ersten Blick wie ein Potpourri aus Emo und Pop-Princess wirkt, beinhaltet ein ernsthaftes Statement. Beleidigungen  und aufdringliche Anmachsprüche dröhnten aus den Boxen, entsprechend standen  auf einzelnen Pieces in Glitzer- oder Neonschrift Sprüche wie „notgeil” oder „Fame Bitch”. Somit blieb Namilia ihrem genderfluiden Style treu und passt wie keine andere Brand in die Berliner Clubszene.

Marina Hoermanseder

©Marina Hoermanseder AW24 by Ben Moenks

Und das Beste kommt ja bekanntlich zum Schluss – für mich die Kollektion von Marina Hoermanseder. Nach vier Jahren Pause ist die Star-Designerin endlich wieder auf der Berlin Fashion Week. Im Haus Zenner ließ sie einen Zirkus mit Akrobat*innen, Clowns und vielen Luftballons und Konfetti nachbauen. Auch ihre Kollektion war ein Hochgefühl aus Farben, Materialien und Formen. Besonders stach das skulptural rot-glänzende Herzkleid sowie der mit Glücksbärchen bestückte Body heraus. Neben plastischen Designs fanden sich auch die Hoermanseder-typischen Gürtel in der Kollektion wieder, die alle Male tragbar sind. Im durchsichtigen Cocktailkleid mit farbenfrohen Glanzpunkten zur nächsten Party? Unwiderstehlich!


Bild: ©b2b AW24 by Till Milius