Schlechte Ausrüstung, zu späte Lohnzahlungen, Union Busting – die Liste der Vorwürfe von Gorillas-Beschäftigten ist lang. Seit Monaten kämpfen viele von ihnen für faire Arbeitsbedingungen. Was sich mittlerweile getan hat? Ein Rider und ein Warehouse Mitarbeiter berichten.

„Unsere Rider haben eine Festanstellung inklusive Sozialversicherungen. Sie bekommen die Räder gestellt, Kleidung und Sicherheitsausstattung, alles, was sie brauchen. Aber machen wir alles perfekt? Sicher nicht“ . Gorillas Gründer Kagan Sümer zeichnet im Interview mit der FAZ das Bild eines jungen und progressiven Start Ups, das seinen Erfolg auch am Wohl der eigenen Mitarbeiter*innen fest macht. Doch diese begannen bereits wenige Monate nach der Gründung des Unternehmens zu streiken. Im Februar 2021 weigerten sich Rider in Kreuzberg und Mitte ohne passende Ausrüstung bei Schneefall und Glatteis weiterhin auszuliefern, woraufhin Gorillas den Betrieb für eine Woche stoppen musste, wie netzpolitik berichtete. Kurz darauf organisierten Mitarbeiter*innen sich zum Gorillas-Workers-Collective, legten immer mehr Missstände offen und riefen zu weiteren Protesten sowie Streiks auf. Darauf reagierte Gorillas im Oktober 2021 mit über 100 Kündigungen, so die Berichterstattung der taz, und versuchte auch weiterhin die Wahl des Betriebsrats anzufechten. Im November 2021 führte das Unternehmen ein Franchise Modell für die einzelnen Warehouses ein, was die Organsation der Mitarbeitenden zusätzlich erschwerte, wie der Anwalt Martin Bechert im Spiegel erklärt. Seit Anfang 2022 ist Gorillas als Holding in den Nierlanden ansässig und somit keine deutsche GmbH mehr. Auch hier liegt die Vermutung nahe, Gorillas wolle so das deutsche Arbeitsrecht umgehen und die Betriebsratsbildung erschweren. Das Unternehmen selbst verweist in Pressemeldungen hingegen auf bereits erzielte Verbesserungen für die Mitarbeiter*innen, unter anderem durch einen Rider Aktionsplan.

Als studentischer Leiharbeiter bei Gorillas

Genau zur Zeit der Kündigungswelle im Oktober 2021 hat Philipp* (25) als Nebenjob angefangen, für Gorillas auszuliefern. Philipp ist nicht direkt bei Gorillas angestellt, sondern bei Zenjob – eine Art Zeitarbeitsfirma für Studierende, die nach den Prinzipien der Gig-Economy funktioniert. Es gibt keine festen Arbeitstage oder Schichten, sondern die Mitarbeiter*innen werden auf Basis von befristeten Verträgen je nach Auftragslage eingesetzt. Philipp kann freie Schichten über eine App einsehen und buchen. „Zuletzt habe ich immer vier Stunden morgens gemacht und war um elf Uhr fertig. Dann hatte ich zwei Stunden für mich und konnte am Nachmittag noch ausreichend für die Uni machen.“ Sein Arbeitsweg ist kurz, denn das Warehouse für das er fährt liegt im gleichen Bezirk wie seine WG. Und die Bezahlung? „Mit Trinkgeld im Schnitt 15 Euro die Stunde.“ Bei Zenjob verdient er 13 Euro die Stunde. Das ist ein Euro mehr als Rider direkt bei Gorillas bekommen. Er sagt, er habe schon schlimmere Jobs gemacht: „Die waren dann zum Teil mit Auto, aber auch irgendwo weit außerhalb.“

Von Gorillas bekommt Philipp Teile der Ausrüstung wie E-Bike, Helm oder Regenbekleidung gestellt. Letztere nutzt er gar nicht, da er eigene hat und über die Fahrräder sagt er: „Die sind jetzt nicht die besten. Irgendwas wackelt immer und fällt auch manchmal ab. Bislang war es aber nichts Wichtiges, wie zum Beispiel letztens ein Gehäuseteil. Das habe ich dann einfach liegen gelassen.“ Handys stellt Gorillas den Fahrer*innen zwar nicht zur Verfügung, dafür aber einige Powerbanks. „Ältere Handys muss man trotzdem manchmal in den Flugzeugmodus schalten, um den Akku zu schonen. Aber irgendwie geht das dann schon.“

Problematischer findet Philipp die schweren Rucksäcke, die das angestrebte Maximalgewicht von zehn Kilogramm häufiger überschreiten und nach spätestens zwei Touren zu Rückenschmerzen führen. „Vielleicht könnte man das ansprechen und sagen ‚Das ist mir jetzt zu schwer‘, aber gleichzeitig wird einem schon das Gefühl vermittelt, dass man da jetzt keine Wahl hat und das ausliefern muss, weil die Bestellungen sich so häufen.“ Um das Problem zu lösen, hat Gorillas im Herbst fast alle Lager mit einem oder zwei Lastenrädern, sogenannten Cargo Bikes, ausgestattet. Zudem ist es jetzt technisch möglich, eine Bestellung auf mehrere Fahrer*innen aufzuteilen. Bestellt wird bei Gorillas vor allem mittags und abends. Dann sind für Rider keine Pausen mehr möglich „und man nimmt mit einer Tour dann auch mindestens zwei Bestellungen mit“, erzählt Philipp. Manchmal sind die beworbenen zehn Minuten aber „rein physikalisch“ gar nicht möglich. Ärger mit Kund*innen hatte Philipp bislang nicht. Einmal nur hat ihn ein Kunde angerufen, weil er die Bestellungen vertauscht hat und nochmal zurück musste.

Die Situation in den Warehouses

Die Kritik an Gorillas bezieht sich nicht nur auf die Situation der Rider, sondern auch die Warehouses, welche häufig in ehemaligen Ladenlokalen untergebracht sind. Im Sommer berichteten Mitarbeiter*innen in Prenzlauer Berg von mangelnder Hygiene, keinen funktionierenden Toiletten oder fließend Wasser und in Kreuzberg streikten Beschäftigte unter anderem wegen zu kleinen Pausenräumen und der Nicht-Einhaltung von Mindestabständen, wie der rbb berichtete.

Auch Mattia* (27) erinnert sich: „Als ich im Sommer angefangen habe, gab es keine Klimaanlage bei uns und es wurde richtig heiß. Zusätzlich wurde durch die Kühlschränke Wärme in den Raum gepumpt. Irgendwann hat unsere Schokolade angefangen zu schmelzen. Dann haben sie das Warehouse vorübergehend zugemacht. Das mussten sie ein paar Mal machen.“ Mattia arbeitet seit Juli 2021 Vollzeit als Inventory Associate für Gorillas. Er ist für die Waren im Lager verantwortlich, prüft ihre Verfügbarkeit, Qualität sowie Lieferungen und unterstützt die Picker beim Zusammenstellen der Bestellungen. „Mittlerweile verfügen die meisten Warehouses über eine Klimaanlage und auch eine Heizung für den Winter. Zumindest die neueren.“ Zusätzlich wurde in seinem Warehouse ein Pausenraum eingebaut. Mattia erzählt auch, dass er der Sicherheitsbeauftragte im Warehouse ist, aber bislang keine weiteren Informationen erhalten hat, was seine Aufgabe dabei ist: „Sie haben mir das nur irgendwann mitgeteilt, da ich Vollzeit arbeite und somit täglich da bin.“ Alles in allem ist er zufrieden mit der Arbeit im Warehouse und beschreibt sie für Rider und Picker als entspannt. Sein Manager sei nett zu allen und der Zusammenhalt unter Kolleg*innen groß, denn irgendwie säßen sie alle im selben Boot – sie alle kommen aus einem anderen Land und sprechen kein fließendes Deutsch. Dass das nicht überall so ist, weiß Mattia auch und berichtet von seiner Arbeit in einem Kreuzberger Warehouse: „Das hatte einen ganz anderen Vibe. Da herrschte ein richtig schnelles Tempo und kontinuierlich wurden Bestellungen gepackt. Während bei uns zwischen den Bestellungen etwas Zeit liegt, hieß es da nur: ‚Go, Go, Go‘. Die Rider kamen und fuhren gleich wieder. Die Abholbank war durchgehend mit Bestellungen vollgestellt.“

„Wir sind schnell“ – Bonussystem für Rider

Denn Gorillas wirbt auf seinem Blog mit „Wir sind schnell“, und tatsächlich vermerken Warehouse Manager Bestleistungen ihrer Mitarbeiter*innen wie „most orders picked“ oder „most rides done“ auf einem White Board. Für Rider entwickelte das Unternehmen zudem ein Bonussystem, das einen Aufschlag von vier Euro pro getätigte Lieferung vorsieht. Dieser wird laut dem Unternehmen ausgezahlt, sobald die Summe der Bonuszahlungen die Summe des Grundgehalts für dieselbe Arbeitszeit erreicht. Ein Rider muss im Schnitt also drei Bestellungen in einer Stunde ausliefern, um die Summe von 12 Euro (Stundenlohn) zu erreichen. Das sei für Rider in der Frühschicht, wo weniger Bestellungen reinkommen, oft kaum machbar, so Philipp. Und das Gorillas-Workers-Collective mahnt via Twitter zur Vorsicht, aufgrund der körperlichen Belastung: „Workers, please consider you only have one back.“

Mattia und Philipp sind nicht im Gorillas-Workers-Collective organisiert und auch nicht aktiv in die Streiks involviert, die sie insgesamt als positiv bewerten: „Sie haben Missstände offengelegt und gezeigt was dringend verändert werden muss. Insgesamt haben sie den ganzen Verbesserungsprozess wahrscheinlich beschleunigt und einige Personen im Management wachgerüttelt“, sagt Mattia. Allzu hart geht er mit Gorillas dennoch nicht ins Gericht: „Ich denke, es ist relativ normal für ein Start-Up, dass nicht Alles von Anfang an läuft.“.

Management seit drei Monaten nicht erreichbar

Die Umsrukturierungen des Unternehmens im November 2021 und auch der Umzug in die Niederlande hatten für die beiden keine spürbaren Auswirkungen. Das größte Problem ist die schlechte Organisation und Kommunikation, vor allem oberhalb der Warehouses. Verantwortlichkeiten und Ansprechpartner*innen sind entweder unklar oder unerreichbar. Philipp zum Beispiel versucht seit über drei Monaten, jemanden aus dem Management zu erreichen, weil ihm das Trinkgeld für einen Monat nicht ausbezahlt wurde. „Ich glaub nicht, dass es da am Geld mangelt oder sie Interesse haben, 300 Euro von einem Studenten einzubehalten. Aber es ist schon krass, dass nicht einmal Zenjob eine Antwort von ihnen bekommt.“ Bei einigen seiner Kolleg*innen habe teilweise schon über die Hälfte des Lohns gefehlt.

Auch Mattia kennt solche Erzählungen von Kolleg*innen und findet viele der auf Twitter artikulierten Forderungen des Workers-Collective deshalb richtig und wichtig. Neben pünktlichen Lohnzahlungen, die selbstverständlich sein sollten, befürwortet er wöchentliche Meetings für Mitarbeiter*innen. Andere Ansprüche, wie die Entfristung aller Beschäftigten oder die Verkürzung ihrer sechsmonatigen Probezeit, hält er hingegen für unrealistisch, da diese gesetzlich verankert und auch in anderen Unternehmen üblich sind. Und eine Forderung, nämlich die gleiche Bezahlung aller Mitarbeiter*innen für die gleiche Art von Arbeit, sieht er in seinem Warehouse schon erfüllt.

Trotz der berechtigten Kritik an Gorillas Umgang mit seinen Beschäftigten, wollen Philipp und Mattia weiterhin dort arbeiten. Eine Festanstellung kommt für Philipp zwar nicht infrage, aber „ich kann mir vorstellen auch später, wenn ich vier Tage im Büro sitze, an einem Tag für Gorillas zu fahren. Einfach zum Ausgleich und um den Kopf frei zu kriegen.“ Mattia möchte bei Gorillas beruflich weiter aufsteigen. Für ihn birgt das Unternehmen Potenzial: „Gorillas wächst und verändert sich und ich würde gerne auch auf einer höheren Ebene dazu beitragen.“

Dass die öffentlichen Proteste und Kritik Gorillas geschadet haben, glaubt Philipp nicht. Im Gegenteil hat er das Gefühl, dass immer mehr Menschen dort bestellen. Aufhalten, zum Beispiel durch einzelne Boykotte, lässt sich Gorillas wohl kaum noch. Einen Appell an die Kund*innen hat Philipp dennoch: Wer im Sinne der Rider handeln will, sollte „Einkäufe über 30 Euro weiterhin selber machen.“


*Namen von der Redaktion geändert.

Foto: Jonas Allert