Ein Semester im Ausland verbringen — für viele Studierende ein großer Traum. Ein Traum, den es auch zu finanzieren gilt. Unterstützung gibt es durch ein Stipendium des Programms Erasmus+, das Studierende mit geringeren Chancen zusätzlich fördert. Doch Erstakademiker*innen und Studierende mit Nebenjob sind an der HU in diesem Jahr leer ausgegangen — zwei Studierende erzählen von den Folgen.

Sebastian studiert Biologie an der Humboldt-Universität und macht seit September 2022 ein Auslandssemester in Bordeaux, Frankreich. Als er sich im Sommer vor seiner Reise noch einmal beim Internationalen Büro über die Auszahlung der Zusatzförderung erkundigte, wurde er enttäuscht. Aus Budgetgründen sei die Förderung für 2022/2023 nicht möglich. Keine Begründung, keine Entschuldigung.

Vor seinem Erasmus-Semester hat Sebastian neben dem Studium gearbeitet. Seinen Job musste er dafür kündigen. Außerdem ist Sebastian Erstakademiker. Somit wäre er in zwei der Zielgruppen des Social Top-Ups gefallen, mit dem er auch fest rechnete: „Die Uni kann nicht Zusagen treffen und sie dann wieder zurückziehen, ganz ohne Konsequenzen. Es gab keinen Ersatz, keinen Kompromiss, überhaupt keinen Dialog. Ich habe mich komplett vor den Kopf gestoßen gefühlt, weil mir einfach so ein Teil meiner finanziellen Grundlage, auf die ich mich verlassen habe, genommen wurde“, so der Student.

Fehlende Förderung, fehlende soziale Teilhabe 

Die Höhe der Förderung durch Erasmus+ richtet sich nach drei Ländergruppen und wird durch die Nationale Agentur im Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) festgelegt. Für mehr Chancengleichheit unterstützt das Erasmus+ Programm Studierende mit geringeren Chancen mit einer finanziellen Zusatzförderung von 250 Euro pro Monat. Dieses sogenannte Social Top-Up konnten bisher nur Studierende mit Kind(ern) im Ausland und Studierende mit Behinderung und/oder chronischer Erkrankung beantragen.

Seit 2022 können außerdem Erstakademiker*innen und erwerbstätige Studierende das Social Top-Up für Praktikums-, Forschungs- oder Studienaufenthalte im Ausland erhalten. Da diese Auslandsaufenthalte jedoch durch die jeweilige Hochschule, die Fördermittel aus dem Erasmus+ Programm erhält, finanziert wird, obliegt die endgültige Höhe der monatlichen Förderrate der jeweiligen Hochschule. Für das Jahr 2022 konnte die Humboldt Universität die zwei neuen Zielgruppen nur in der Praktikumsförderung berücksichtigen, nicht aber bei den Studienaufenthalten, wie die Pressestelle der HU der UnAuf mitteilte.

Grund dieser Einschränkung war, dass die Förderzusagen bereits im Wintersemester 2021/2022 versendet wurden, um den ausgewählten Studierenden ausreichend Zeit für die Planung ihres Aufenthalts zu geben. Erst später habe der DAAD die Zielgruppen und Budgetzusagen für die Social Top-Ups festgelegt. Zu diesem Zeitpunkt sei das verfügbare Budget bereits für die reguläre Förderung verplant gewesen. „Wir erwarten vom DAAD zukünftig eine bessere finanzielle Ausstattung, um den Mehrbedarf bei den zukünftigen Bewilligungen besser abbilden zu können“, so die Pressestelle der Universität.

Sebastian hat kurz vor Beginn seines Auslandssemesters noch die Zusage für ein weiteres Stipendium erhalten. Die fehlenden 250 Euro pro Monat hätten für ihn vor allem fehlende soziale Teilhabe bedeutet: „Selbst meine Miete ist teurer als der Betrag, den ich durch Erasmus+ bekomme und ich wohne auf 10 Quadratmetern für 600 Euro in einer WG mit fünf anderen Studierenden. Da wäre mal ein Barabend, ein Kinobesuch oder ein Zugticket zum nächstgelegenen touristischen Ort nicht drin gewesen.“

„Ich lebe gerade meinen Traum“

Auch, dass Sebastian der erste in seiner Familie ist, der studiert, habe vor seinem Auslandssemester zu großen Zweifeln geführt: „Wenn du keine finanziellen Ressourcen und keine Vorbilder hast, ist es enorm schwierig, sich überhaupt zu mobilisieren und für eine längere Zeit ins Ausland zu trauen.“ Zwar habe ihn sein Umfeld unterstützt, diesem fehlte jedoch die Begeisterung für ein Auslandssemester. Stattdessen spielte die Abwägung von Kosten und Nutzen eine größere Rolle. „Ich wurde schon gefragt, ob es nicht besser wäre, hier zu bleiben, um mein Studium schneller abschließen zu können“, erinnert sich Sebastian.

Noch wird er bis Januar 2023 in Bordeaux bleiben. Auf seine Zeit dort blickt er trotz der schwierigen finanziellen Umstände positiv: „Ich lebe gerade meinen Traum. Für viele ist ein Auslandsaufenthalt während des Studiums normal, fast obligatorisch, aber für mich hat das einfach einen ganz anderen Stellenwert. Auch wenn es dafür jeden Tag Nudeln mit Pesto gibt.“

Zusätzliche Hürden für Erststudierende 

So wie Sebastian erging es auch Maurice. Maurice studiert Jura an der HU, ist Erstakademiker und macht noch bis Februar 2023 sein Auslandssemester in Madrid. Auch er musste dafür seinen Nebenjob aufgeben. Und auch er hat das Social Top-Up nicht erhalten: „Dieses Angebot der HU hat damals auf mich schon so gewirkt, als wäre es relativ problemlos, die Zusatzförderung zu bekommen. Ich wusste ja, dass ich alle nötigen Nachweise erbringe.“

Als Maurice erfuhr, dass ihm das Social Top-Up nicht ausgezahlt wird, dachte er einen Moment, dass das Auslandssemester für ihn nicht mehr realisierbar sei. Zum Glück habe am Ende dann doch noch alles geklappt, auch wenn er viel rechnen musste. „Insgesamt muss ich aber schon sagen, dass die fünf Monate meine Ersparnisse aufbrauchen. Ich bin dankbar für die Erasmus-Finanzierung, aber die Mieten in Madrid sind nicht billig. Das Zimmer kostet mich jetzt schon 500 Euro. Dazu kommen gerade auch noch die relativ hohen Kosten für Lebensmittel, die durch die Inflation zusätzlich gestiegen sind“, so  Maurice. 

Neben dem finanziellen Aspekt eines Auslandssemesters sieht der Student zusätzliche Hürden, vor denen insbesondere Erststudierende stehen: „Erstakademiker*innen müssen eine besondere Herausforderung meistern, wenn sie das erste Mal an der Uni sind. Ich bin da einfach hingegangen und wusste überhaupt nicht, wie das System Uni funktioniert. Ich glaube, da haben Menschen, deren Eltern studiert haben, einen großen Vorteil. Das zeigt sich ja dann auch in der Planung eines Auslandssemesters.“

„Es braucht eine transparentere Kommunikation“

Maurice hat das Gefühl, Erststudierende seien an der HU sehr unterrepräsentiert, besonders an der juristischen Fakultät. Auch Studierende, die einen Nebenjob haben, um ihr Studium finanzieren zu können, werden von der Universität und allgemein in der Politik zu wenig wahrgenommen. Deswegen fordert der Student, dass die HU ihren Fokus stärker auf die Belange der Studierenden legt: „Es ist auch wichtig, zu erkennen, dass es innerhalb der Studierendenschaft Gefälle gibt. Die Uni muss versuchen, die gleichen Voraussetzungen für alle Studierenden zu schaffen. Dafür braucht es eine transparentere Kommunikation.“

Sebastian fordert, dass finanziell benachteiligte Studierende geschützt werden müssen, „damit wir eben nicht ein Erasmus-Semester abbrechen müssen oder überhaupt erst gar nicht in Erwägung ziehen.“ Es sei armutsfeindlich, wenn Erstakademiker*innen oder Menschen, die nicht genug Geld haben, auf diese Weise ausgeschlossen werden: „Ich wünsche mir dahingehend einfach mehr Unterstützung von der Humboldt Universität, aktuellere Informationen und einen echten Dialog.“

Wie die Pressestelle der HU der UnAuf mitteilte, soll die Förderung einschließlich der Social Top-Ups spätestens zum akademischen Jahr 2023/24 umfänglich berücksichtigt werden. Inzwischen liege die Zusicherung des DAADs vor, dass die Zielgruppen und Förderhöhen im nächsten Erasmus+ Förderzeitraum gleich bleiben. So könne die Universität verlässlich planen.


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