Was früher “Singles mit Niveau” vorbehalten war, nutzen mittlerweile viele junge Leute: Online Dating. Doch was macht die Partner*innenwahl per App eigentlich mit uns?
Ich wische. Nach links und wieder nach links. Manchmal nach rechts, eher selten, wische so viel bis mein Daumen ganz warm von der Reibung geworden ist und schaue nicht einmal mehr genau hin, wen ich da wegwische. Lege das Handy weg, wenn meine Augen müde werden und versuche zu lesen. Greife ein paar Minuten später nach dem ersten Bimmeln zum Smartphone, um eine andere meiner vier Dating Apps zu öffnen und das ganze Prozedere von vorne zu beginnen. Wische potentielle Begegnungen oder vielleicht auch Beziehungen weg, die ohne aufkeimen zu können bereits am Algorithmus scheitern. Habe jemanden aus Versehen zu schnell weggewischt, aus Gewohnheit, dass eh nichts Gutes dahinter steckt – hätte aber in diesem Fall vielleicht ja doch was werden können, man weiß es nicht, aber nun ist er für immer in den Tiefen des Internets verschwunden, von den Fängen der Dating App verschluckt.
Der Menschenmarkt spuckt jedoch schon einige Swipes später den nächsten potentiellen Kandidaten aus, der es schafft sich besonders sympathisch, individuell und gleichzeitig möglichst unnahbar und wenig preisgebend darzustellen. Während ich wische, schiebe ich meine eigenen negativen Gedanken, psychische Probleme und mich von innen zerfressende Komplexe für einen Moment beiseite und die Auseinandersetzung damit auf einen späteren Zeitpunkt, der niemals eintreten wird.
In einen Automatismus verfallen, wische ich hin und her, mit der leise glühenden Hoffnung auf temporäre Bestätigung, ob virtuell oder von Angesicht zu Angesicht. Wische die immer größere werdende Angst vor Einsamkeit und davor nicht perfekt genug zu sein hin und her, bis sie überall zu sein scheint und mich immer öfter einholt. Um ihr Herrin zu werden, lasse ich mich immer öfter auf flüchtige Begegnungen, sexuelle Kontakte oder auch nur Chats ein, die mir für einen Abend das Gefühl dieser Angst nehmen und mir Bestätigung verleihen. Nach jeder austauschbaren Befriedigung bleibt das Gefühl ungenügend, ersetzbar und benutzt zu sein zurück, jedes Mal ein bisschen mehr davon, weswegen ich immer mehr auf den algorithmischen Teufelskreis des Online Datings angewiesen bin.
Treffen, bis zu viele Imperfektionen sichtbar werden
In einer Zeit, in der unsere Möglichkeiten analog Menschen kennenzulernen massiv eingeschränkt sind, greifen viele noch eher aus Angst vor Vereinsamung auf Dating Portale zurück, um wenigstens ein wenig das Gefühl zurückzuerlangen, begehrt zu sein, an jemandem interessiert zu sein und Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Zuneigung zu zeigen. Ich sehe die inszenierten männlichen Erscheinungen in Form von Pixeln auf meinem Bildschirm und nicht mehr die Geschichten dahinter.
Im Kapitalismus wird alles zur Ware – aus potentiellen Partnern werden Objekte im stets abrufbaren Online Dating Katalog, auf welche ich meine eigene Vorstellung von Liebe, Lust und die eines perfekten, gut zu mir passenden Charakters projiziere, während andersherum genau das Gleiche geschieht. Wenn er dieser idealisierten Vorstellung, der Utopie eines Mannes beim persönlichen Treffen näher kommt, als erwartet, treffen wir uns vielleicht noch ein zweites oder drittes Mal. Solange bis zu viele Imperfektionen sichtbar werden, die zu sehen uns überfordert und deren Sichtbarkeit wir nicht mehr gewohnt sind. Oder wir fangen an, die eigenen Selbstzweifel auf das Gegenüber zu übertragen, die Furcht davor jemanden zu nah an uns heranzulassen und uns verletzlich, schwach und menschlich zu zeigen. Dann steht plötzlich wie aus dem Nichts ein dicker Elefant im virtuellen Raum und ohne klar zu kommunizieren und sich auszusprechen, lässt man den Kontakt langsam versiegen und irgendwann ganz abbrechen. Der Unfollow auf Instagram oder das Unmatchen besiegelt die Liebesgeschichte, die nie eine war.
Doch wir haben uns nebenbei natürlich alle anderen Optionen auf dem Datingmarkt offen und warm gehalten. Jetzt aktivieren wir rastlos die anderen Matches, auf der Suche nach Ablenkung, weil wir verlernt haben, mit Gefühlen umzugehen. Jegliche Unsicherheit muss sofort überschatten werden, weil sie sonst unser fragiles, konstruiertes Selbstbildnis zu zerstören droht.
Habe ich ihm das schon erzählt?
Die Masse an Menschen, mit welcher ich durch die Apps in Kontakt trete, überfordert mich und baut einen Druck auf, meine eigene Internetpräsenz zu perfektionieren, um einen makellosen Abstrich meiner Selbst zu servieren – der klägliche Versuch meine Person zu erfassen, mir selbst irgendwie gerecht zu werden. Was aber gar nicht möglich ist. Denn ich bin dazu angehalten mich selbst toxisch positiv auf die besten Eigenschaften in bearbeiteten Bildern verpackt herunter zu brechen. Entfremdet von einer wirklich persönlichen und tiefergehenden Konversation, stürze ich mich in Unterhaltungen mit Menschen, die meinen, Smalltalk genauso sehr zu hassen wie ich. Schlussendlich sprechen wir doch über die immer gleichen, sich wiederholenden Themen in einstudierten Floskeln, Phrasen und Anekdoten.
Ich weiß plötzlich nicht mehr, ob ich ihm das, was ich jetzt sagen werde, schon erzählt habe. Ich habe vergessen, ob die Geschichte über seinen Auslandsaufenthalt wirklich von ihm stammt, oder ob mir das nicht doch der Typ von letzter Woche schon erzählt hat. Meine frühzeitige Amnesie resultiert aus einem Überfluss an Informationen und einer Flut an neuen Geschichten und Gesichtern, für die ich in meinem Inneren keinen Platz mehr habe. Denn ich bin zu beschäftigt damit, einer utopischen Vorstellung einer romantischen Beziehung nachzujagen, die es so nicht geben wird und von der ich mich selber immer weiter entferne, weil meine Kapazitäten mich auf jemanden wirklich einlassen zu können immer geringer werden.
Die Resignation darüber, dass auch ich nichts Besonderes für mein Date bin, sondern ein weiterer One Night Stand oder eine Affäre, an deren gesellschaftskritische Ergüsse und Geschichten aus der Kindheit er sich nicht erinnern wird, weil er sie sich nicht einmal merkt, lässt in mir eine Leere zurück. Diese klaffende Leere versuche ich mit Komplimenten und Sex zu füllen, aber zurück bleibt immer mehr Unsicherheit darüber, was ich eigentlich will. In diesem Dating Dschungel sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wir wissen nicht was wir wollen, vielleicht aber nach jeder missglückten Begegnung nur etwas mehr, was wir nicht wollen.