Eine Masern-Impfpflicht muss kommen – und zwar so schnell wie möglich. Sie ist notwendig, denn Aufklärung allein hilft bei faktenresistenten Impfgegnern nicht mehr. Ein Kommentar
Ursprünglich war geplant, die Masern bis 2015 auszurotten. Dafür müssten 95 Prozent der Deutschen geimpft sein, sagt die Wissenschaft – das ist der sogenannte Herdenschutz. Doch stattdessen mehren sich in den letzten Monaten die Masern-Fälle. Das ist fatal – und angesichts der existierenden Impfungen ein unnötiges Risiko.
Sieben Prozent aller Kinder und ein Drittel der Erwachsenen sind ungeimpft. Die Masern brechen immer wieder aus. In den ersten sieben Wochen des Jahres wurden dem Robert-Koch-Institut zufolge bereits 132 Fälle registriert – nach 46 Fällen im Vorjahreszeitraum. Derzeit wird die Impfpflicht heiß diskutiert, nachdem Brandenburg eine solche Pflicht in Kitas beschlossen hat und ein Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) diskutiert wird. Doch die Argumente der Skeptiker sind zu kurz gedacht.
Die unter Gegnern besonders beliebte Behauptung, eine Impfung sei mit den gleichen Risiken verbunden wie die ursprüngliche Krankheit, ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der sich seriös mit Medizin beschäftigt. Seriös heißt in dem Fall, dass er sich auf fundierte Studien stützt und nicht auf pseudo-wissenschaftliche Literatur oder YouTube-Videos wie die Impfgegner. Die Skeptiker sprechen eine simple Sprache und brechen das Thema herunter auf einfache, klare Botschaften. Einfacher zu verstehen als eine wissenschaftliche Abhandlung, aber schlicht und ergreifend falsch.
Bei einem derart wichtigen Thema – hier geht es um Menschenleben – greift das zu kurz. Laut Robert-Koch-Institut stirbt in Industrieländern einer von 1000 Masern-Erkrankten. Weit verbreitete Nachwirkungen sind Folgeinfektionen, zudem besteht die Gefahr, dass Kinder auch nach einer überwundenen Masernerkrankung noch Jahre später an einer tödlichen Hirnhautentzündung erkranken. Sich diesem Risiko auszusetzen, ist unverantwortlich. Die Nebenwirkungen der Impfung sind dagegen sehr gering. Medizinische Studien gehen von sieben Komplikationen bei 16 Millionen Impfungen aus. In Zahlen: 7 zu 16.000.000. Wohlgemerkt im Vergleich zu einem Toten bei 1.000 Infizierten.
„Bunte Flyer in Arztpraxen helfen nicht mehr“
Dass diese Debatte über das Impfen überhaupt geführt werden muss, ist ein Armutszeugnis. Denn: Die eigene Freiheit hört da auf, wo sie anderen schadet. Das gilt an der roten Ampel, soll aber bei einer ansteckenden und lebensgefährlichen Krankheit aufhören? Milliarden von Euro fließen jährlich in die Erforschung und Herstellung von Impfstoffen. Impfgegner ignorieren, dass es diesen Schutz bei Masern schon gibt. Und stellen das in dubiosen Internetforen angelesene Wissen und ihre eigene moralische Überheblichkeit über die Gesundheit ihrer Kinder und Mitmenschen. Das ist egoistisch und verantwortungslos. Denn: Besonders junge, alte oder gesundheitlich schwache Menschen können sich nicht impfen lassen und sind auf den Herdenschutz angewiesen.
Deutschland hat jahrelang auf Vernunft gesetzt, auf Aufklärung. Doch besonders in Zeiten von Online-Medien, die Impfgegner in ihrem Weltbild bestärken, helfen bunte Flyer in Arztpraxen nicht mehr. Impflücken und Skepsis werden größer. Wir müssen die Masern ausrotten, und das geht nur mit einer Impfpflicht. Wenn gutes Zureden nicht mehr hilft, muss ein Zwang her.