Während die Gesamt-Zulassungszahlen von Kraftfahrzeugen zurückgingen, stiegen die Zulassung für E-Autos deutlich an. Viele Autokonzerne setzen auf die Entwicklung der vermeintlich klimafreundlicheren Modelle. Ob E-Mobilität die Verkehrswende einläuten kann, erklärt Florian Hacker, Verkehrsexperte des Öko-Instituts für Ressourcen und Verkehr im Gespräch mit UnAuf.

Der Verkehr landet in puncto Treibhausgas-Ausstoß nach der Energiewirtschaft und der Industrie hierzulande auf Platz 3. Die mobilitätsbedingten Emissionen sollen sich aber laut aktuellem Klimaschutzgesetz bis 2030 um 42% reduzieren (Vergleichsjahr 1990). Bisher hat sich wenig getan: die energiebedingten CO2-Ausstöße des Verkehrs betrugen im Jahr 1990 162 Mill. Tonnen, im Jahr 2018 161 Mill. Tonnen. Zwischen 1995 und 2018 sind die CO2-Emissionen der – weit überwiegend benzin- oder dieselbetriebenen PKW-Flotte sogar angestiegen. Düstere Aussichten für die Verkehrswende? Nicht ganz – tatsächlich boomen E-Autos in Deutschland gerade – Ihre Zulassungszahlen stiegen im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 200%. 

UnAuf: Herr Hacker, die Zahl der neu zugelassenen Elektroautos in Deutschland ist im Jahr 2020 deutlich gestiegen – hat der Verbraucher in Deutschland endlich sein grünes Gewissen entdeckt?

Hacker: Es gab vorher schon Interesse an E-Autos, auch in den Jahren davor. Wir haben in Forschungsprojekten dokumentiert, dass in der Vergangenheit die Nachfrage in Deutschland nach E-Autos oft höher war als das Angebot. Die Hersteller haben nicht im nachgefragten Maß produziert, weil sie kurzfristig mit Verbrennern mehr Gewinn machen. Das lohnte sich mehr, als zu früh einen neuen Markt aufzubauen. 

Nun ist da aber Veränderung: Einerseits werden E-Fahrzeuge neuerdings noch vorteilhafter besteuert, andererseits hat der deutsche Staat die zuvor bereits bestehende Kaufprämie weitergeführt und das Angebot an Ladestationen weiter ausgebaut. Und da haben die Hersteller nachgezogen: Die großen Autokonzerne haben die E-Mobilität nun als Massenprodukt für sich entdeckt. Im letzten Jahr hat man jedoch nicht etwa einen Durchbruch bei der Batterieentwicklung erzielt, sondern die Autohersteller sahen sich durch neue CO2-Obergrenzen dazu gezwungen, emissionsarme Fahrzeuge zu verkaufen. Die Hersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt und wissen: E-Autos sind die Zukunft. Mit Verbrennern wird man bald keine Geschäfte mehr machen können. 

UnAuf: E-Autos versprechen Luxus und Konsum ohne Reue – aber sind E-Autos die Lösung für die Aufgabe „Verkehrswende“? 

Hacker: Das ist in der Tat eine Frage mit Sprengkraft. Viele Probleme, die das Auto verursacht, bleiben auch beim E-Auto bestehen. Zum Beispiel, dass nach wie vor viel Parkfläche und Straßenfläche benötigt wird. Es ist auch bei E-Fahrzeugen ineffizient, wenn in einem Vier- oder Fünfsitzer nur eine einzige Person sitzt und dabei 1,5 Tonnen Masse bewegt. Unabhängig vom E-Auto sollten wir daher Alternativen zum Auto fördern: Bahn oder Fahrrad. 

UnAuf: Bleiben wir kurz beim E-Fahrzeug: Wie sieht es denn hier mit der Klimabilanz von E-Fahrzeugen wirklich aus?

Hacker: Über die gesamte Lebensdauer hinweg ist ein E-Auto klimafreundlicher als ein Verbrenner. Das ist unbestritten, obwohl hier oft mit unseriösen Zahlen versucht wird, Zweifel zu streuen. Das haben in jüngster Zeit vor allem die Entwickler von Verbrennungsmotoren getan, die ihre Technologie in der Debatte halten wollten. So wurden E-Fahrzeuge mit Verbrennern aus ganz anderen Größenklassen verglichen, oder es wurde mit veralteten Zahlen gerechnet, um das E-Auto schlecht zu machen.

Das E-Auto hat aber einen Klimavorteil, der in der Zukunft noch zunehmen wird: Etwa, weil der Anteil an Ökostrom, mit dem wir „tanken“ werden, steigen wird. Gegenüber anderen klimafreundlichen Technologien wie dem Brennstoffzellenfahrzeug hat das E-Auto massive Effizienzvorteile und das wird auch so bleiben. Zusätzlich wird diskutiert, durch synthetische Kraftstoffe, die man mittels Strom herstellt, Verbrennungsmotoren klimafreundlich zu betreiben. Ich glaube aber nicht, dass sich die Leute in Zukunft für so eine kostspielige Kraftstoffoption entscheiden werden, wenn sie auch ein E-Auto kaufen können.

UnAuf: Eine andere Debatte ist die über die Umweltauswirkungen der E-Autoproduktion. In Ländern wie Chile oder China, in denen seltene Erden für die Batterieherstellung abgebaut werden, kommt es oft zu direkten Schäden an Mensch und Natur. Schaffen wir uns mit E-Fahrzeugen neue Probleme?

Hacker: Ich finde es gut, dass es hierzu eine Debatte gibt. Verantwortung hört nicht auf, wenn Hersteller Komponenten geliefert bekommen oder wenn man ein Auto kauft. Die Herkunft der Rohstoffe spielt bei jedem Produkt eine Rolle. Bei PKWs spielt es aber eine besondere Rolle, denn Autos sind sehr ressourcenintensive Produkte. Die Frage ist nun: was ist der Unterschied in der Lieferkette eines Verbrenners und eines E-Autos? Die E-Mobilität fordert in anderen Bereichen als die Verbrennertechnologie Umwelt- und Sozialstandards, weil es um andere Rohstoffe geht. Ich würde aber nicht sagen, dass wir da in ein schlimmeres System wechseln.

Einerseits wird beim E-Auto schon versucht, kritische Inhaltsstoffe wie beispielsweise Kobalt zu substituieren. Ähnliche Entwicklungen konnten wir auch bei anderen Produkten sehen, etwa beim Ersatz von Quecksilber oder der Entwicklung von bleifreiem Benzin. Wenn der öffentliche Druck also hoch genug ist, werden solche Stoffe nicht mehr verwendet bzw. auf die Einhaltung strenger Umweltstandards geachtet.

Andererseits muss man auch die negativen Umstände der Produktion von fossil-getriebenen Automobilen betrachten, so wie wir sie heute vorfinden. Wir könnten ja mal durchgehen, in welchen Ländern Erdöl gefördert wird und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht. Wir sollten also nicht vergessen, aus welcher Welt wir kommen. Wichtig zu verstehen ist aber: Umwelt- und Sozialstandards sind letztendlich nicht an eine Technologie gekoppelt. 

UnAuf: Gehen wir weg vom E-Auto und blicken wir kurz in die Vergangenheit: Warum sind eigentlich in den letzten 30 Jahren die Emissionen im Verkehrssektor nicht gesunken?

Hacker: Im Verkehrssektor hat man Klimaschutz lange nicht ernst genommen. Im Stromsektor wurde der Atomausstieg beschlossen und die Förderung der erneuerbaren Energien. Es spielt auch eine Rolle, dass Mobilität sehr stark ins Private hineinragt. Der Stromsektor ist weiter weg. Durch den Bezug von Ökostrom verändert sich der Lebensstil nicht wesentlich. Die Dekarbonisierung der Energieerzeugung ist hier für den Endnutzer relativ komfortabel abgelaufen.

Beim PKW funktioniert das nicht so einfach. Hier muss der Umgang mit der Technologie ein anderer werden, während bei der Umstellung auf Ökostrom das Produkt für den Kunden unverändert bleibt. Zudem hat die deutsche Autoindustrie eine um ein Vielfaches größere Bedeutung für die deutsche Volkswirtschaft als der Bereich der Energieerzeugung. Die Automobilwirtschaft ist entsprechend einflussreich und die Branche hatte in der Vergangenheit auch ein großes Interesse, dass bestehende Technologien weiter optimiert werden, solange es in der Welt keine großen Umbrüche geht. Umbrüche will man nicht. Graduelle Entwicklungen sind für Unternehmen in dieser Situation viel besser steuerbar.

UnAuf: Wie emotional werden in Deutschland Themen rund ums Auto diskutiert?

Hacker: Ziemlich emotional. In Deutschland gibt es eine sehr starke Autofixiertheit. Man will dem Gegenüber nicht nachgeben. Das wird mit Verlieren assoziiert. Relativ selten wird die Frage gestellt, ob man nicht doch Vorteile hätte, wenn man aufs Auto verzichten oder mit dem Rad auf dem Schnellradweg zur Arbeit fahren würde. Hier fehlt meiner Meinung nach in unserem Land ein gemeinsames Bild einer zukünftigen Mobilitätswelt, in der wir leben wollen.

Stattdessen wird oft gesagt: „Ich lasse mir doch nichts von denen wegnehmen, die meinen, man müsste Fahrrad fahren“. Man sollte nicht unterschätzen, wie viel es braucht, diese Konfrontation aufzulösen. In anderen Ländern wird oft ein rationalerer Umgang mit dem Thema gepflegt. Das sind sicher keine einfachen Ausgangsvoraussetzungen für die Verkehrswende. Man braucht ein Narrativ für Leute, für die ihr Auto bisher das ein und alles war.

UnAuf: Blicken wir in die Zukunft: Glauben Sie, wir schaffen die Klimaschutzziele im Verkehrssektor?

Hacker: Ich glaube, dass wir mit den bisherigen Maßnahmen die Klimaziele nicht erreichen werden. Hier muss von Seiten der Politik nachgeschärft werden, da ist bisher zu viel Ziel und zu wenig Instrument.

UnAuf: Herr Hacker, ich danke Ihnen für das Gespräch.