Vier Monate und etwa 343.00 gesammelte Unterschriften später hat die Initiative “Deutsche Wohnen und Co. enteignen” eine große Hürde überwunden: Es kommt voraussichtlich zum Volksentscheid. 24 Stunden vor dem Ende der Sammelaktion hat das Kiezteam Steglitz-Zehlendorf noch um Unterstützer*innen geworben.

Steglitz-Zehlendorf ist ein hartes Pflaster, zumindest wenn es um das Sammeln von Unterschriften für die Vergesellschaftung von 240.000 Berliner Wohnungen geht. Auf dem Platz vor der U-Bahn Rathaus Steglitz sind die Menschen im Stress, winken oft ab. Dazu kommt, dass der Begriff Enteignen am Stadtrand eher abschätzige und sogar aggressive Reaktionen hervorruft. „In der Innenstadt kam die Kampagne sofort gut an, hier im bürgerlichen Steglitz mussten wir erst einmal Aufklärungsarbeit leisten“, erinnert sich die 80-jährige Barbara von Boroviczeny, die Mitglied im Kiezteam Steglitz-Zehlendorf für die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen” ist. Dennoch hat das Kiezteam im Bezirksvergleich mit über 5.000 gesammelten Unterschriften gar nicht schlecht abgeschnitten. Ganz im Gegenteil, sie sind sogar vorn mit dabei, wie die 24-jährige Studentin Helmine erklärt.

Das Kiezteam Steglitz-Zehlendorf. Foto: Laura Strübbe
Das Kiezteam Steglitz-Zehlendorf. Foto: Laura Strübbe

Zu fünft sammeln sie die letzten Unterschriften ein, in den Listen ist kaum noch eine Zeile frei. Geht es nach Barbara, kann gar nicht genug getan werden. Auch in Steglitz-Zehlendorf müsse für die Rechte der Mieter*innen gekämpft werden. Soziale Wohnungspolitik? – Fehlanzeige! „Der Bezirk ist Immobilienunternehmen wie Deutsche Wohnen und Vonovia zugetan, hat vor allem Interesse an unbezahlbaren Luxuswohnungen“, sagt die Rentnerin. Für die Lehramtsstudentin Helmine bedeutet enteignen, Raum für die Allgemeinheit bewohnbar zu machen. „Wohnraum muss fairer verteilt werden und selbst wenn die Vergesellschaftung fehlschlägt, haben wir ein Zeichen gesetzt“, so Helmine.

Die meisten Häuser von Deutsche Wohnen und anderen Immobilienkonzernen haben früher dem Land Berlin gehört. Heute haben Mieter*innen kaum noch Mitspracherecht und die Berliner Landespolitik keine Mittel, um den rasanten Anstieg der Mietpreise zu stoppen. 240.000 Wohnungen will die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ vergesellschaften. Das Volksbegehren beruft sich dabei auf Artikel 15 des Grundgesetzes: „Grund und Boden können zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden”.

Wie sehr Wohnungs- und Mietenpolitik die Bürger*innen in Berlin bewegen, zeigte sich auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Berliner Mietendeckel zu kippen. Bei spontanen Demonstrationen am Tag des Urteils kamen ein Drittel mehr Unterschriften für die Initiative zusammen als an einem normalen Wochenende.

Johan vom Kiezteam Steglitz-Zehlendorf ist nie besonders politisch aktiv gewesen, doch in dieser Kampagne sah der 21-Jährige eine Chance, wirklich etwas zu verändern. „Die schönsten Momente beim Sammeln sind die, wenn sich voreingenommene Menschen auf eine sachliche Diskussion mit uns einlassen. Sie müssen gar nicht unterschreiben oder sich überzeugen lassen, uns reicht es, wenn sie einmal ihre Engstirnigkeit ablegen“, berichtet er. Helmine hat es nie am eigenen Leib erfahren, aber schon oft mitangehört, wie Aktivist*innen als Kommunist*innen beschimpft wurden. Barbara wächst in solchen Momenten über sich hinaus, reflektiert sie. Sie könne sich beherrschen, wenn jemand sie als Kriminelle verunglimpfe. „Ich muss mit meiner Energie haushalten, kann mich nicht in fruchtlose Gespräche verwickeln lassen“, die 80-Jährige lacht.

In den kommenden zwei Wochen wird die Landeswahlleitung Berlin die gesammelten Stimmen auszählen. Wie die Initiative mitteilte, geht man wegen der hohen Anzahl gesammelter Stimmen davon aus, dass das Volksbegehren erfolgreich ist und es zum Volksentscheid am 26. September kommt. Die notwendigen 175.000 Unterschriften wurden nach Angaben der Initiative deutlich überschritten, allerdings würden Zehntausende Unterschriften für ungültig erklärt, da sie von Berliner*innen ohne deutschen Pass abgegeben worden seien.

Parallel zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses und des Bundestags könnten Berliner*innen dann in drei Monaten über die mögliche Enteignung von Deutsche Wohnen und weiteren Immobilienkonzernen abstimmen. Wenn mindestens 25 Prozent der Abstimmungsberechtigten zustimmen, ist der Volksentscheid angenommen. „Von der Vergesellschaftung würde die ganze Stadt profitieren“, sagt Johan.