Man könnte meinen, die Hauptstadt sei dem Wagner-Wahnsinn ganz verfallen. Nachdem Ersan Mondtag vor einigen Wochen im Berliner Ensemble die Ring-Interpretation des Thomas Köck präsentiert hat, spielt die Deutsche Oper nun endlich den ersten Teil des großen Ring-Epos des so umstrittenen wie gefeierten Komponisten Richard Wagner.

Die geplante Premiere im Frühsommer letzten Jahres war der Pandemie zum Opfer gefallen, findig wie man war wurde – mit großem Erfolg – eine abgespeckte Version des Rheingoldes auf dem Parkdeck gezeigt, der zweite Teil, die ,,Walküre‘‘ folgte im Herbst und wurde nach nur wenigen Vorstellungen jäh vom zweiten großen Lockdown unterbrochen. Nun von vorne – aber richtig. 

Das Rheingold also. Jene Oper, die als ,,Vorabend‘‘ die Tetralogie des Rings der Nibelungen eröffnet und hierorts nun am 12.06.2021 ihre Premiere hatte. Die Handlung ist erfreulich ereignisreich und man erinnert sich an Elke Heidenreich, die sich in einer Dokumentation einmal über den Umstand freute, im Rheingold würde ,,immer irgendwo etwas passieren‘‘. 

Doch man soll sich von all den mythischen Gestalten, die hier auftauchen nicht er- oder abschrecken lassen. Wer die Handlung auf ihren eigentlichen Inhalt abstrahiert – was mit ein klein wenig Vorbereitung durchaus möglich ist – wird verstehen, dass (so hat es der große Wagner-Kenner Bernard Shaw in seinem ,,Wagner Brevier‘‘ formuliert) ,,dieser ganze Teil der Handlung erschreckend wirklich, erschreckend aktuell, erschreckend modern‘‘ ist. Und ganz in diesem Sinne inszeniert Stefan Herheim ,,sein‘‘ Rheingold hier in Berlin. Göttervater Wotan kommt in heller Alltagskleidung daher, Feuergott Loge ist – passend zu seinem diabolischen Charakter – eingekleidet wie der Gründgens-Mephisto und Nibelungenkönig Alberich trägt als Clown geschminkt einen wuchtigen Mantel mit Pelzkragen.

Eine ganz besondere Dialektik hat letzteres insofern, als dass diese Verkleidung nur für Auftritte Alberichs außerhalb des Nibelungenreichs Nibelheims gilt. In Nibelheim selber, wo Alberich als grausamer Herrscher seine Arbeiter gewerkschaftsfrei schuften lässt, tritt er als Hitler-Persiflage mit Stahlhelm und Wehrmachtsmantel auf und lässt seine Vasallen – die ebenfalls wie Soldaten eingekleidet sind – im Takt marschieren. Ein krudes Bild, das aber auf exzellente Weise die beschränkte Macht Alberichs und den Größenwahnsinn seiner Figur darstellt. Einer, der für die Weltherrschaft die Liebe verflucht. Mit der Inszenierung als Mini-Hitler betont der Norweger Herheim hier wohl eher den ersten Aspekt, das Streben nach der Weltherrschaft. Doch auch Alberichs Liebes-Entsagung ist einer der Momente, in denen diese Oper so herrlich modern ist und man erinnert sich postwendend an all jene Freunde und Bekannte, die ihre großen Leidenschaften einst aufgaben um sich stattdessen Tätigkeiten zuzuwenden, deren einziger Zweck im Anhäufen von Geld bestand. Interessant zu sehen ist auch die Wendung, dass nach der Fesslung Alberichs seine Vasallen, die immer wieder auch als stumme Zeugen und als einfache Leute auftreten – scheinbar traumatisiert und mit Koffern in der Hand. Eine Anspielung an die Opfer des NS-Regimes? 

Koffer spielen überhaupt eine nicht unwichtige Rolle. So erscheinen die Riesen, deren Darstellung immer eine gewisse Herausforderung für Wagner-Regisseure ist, – jedenfalls bei ihrem ersten Auftritt – als riesige aus Koffern zusammengeklebte Köpfe mit einem Körper aus großen Tuchbahnen. Hier also eine höchst-kreative Umsetzung der Riesen, deren Sänger Andrew Harris (Fasolt) und Tobias Kehrer (Fafner) ihre Partien bestens umzusetzen wissen. Überhaupt sind die Sänger des Abends in keiner Weise zu beanstanden, einzig die Rheintöchter klingen hier und da ein wenig zu leise und nicht ganz so prachtvoll wie erwartet. Besonders Derek Welton als Wotan macht seine Arbeit sehr gut und glänzt genauso wie Markus Brück als Alberich.

Dabei intoniert das Orchester der Deutschen Oper unter der Ägide des kürzlich in den Adelsstand erhobenen Sir Donald Runnicles höchst präzise und besonders die Partien der Blechbläser erklingen in einem hervorzuhebenden Glanz. Getrübt wird dieser Eindruck einzig von dem spärlichen Klang der Schlagwerker, denen es hier nicht ganz gelingt die Macht der Ambossschläge am Anfang der dritten Szene kernig genug darzustellen. Richard Wagner selbst hatte bei der Uraufführung des ganzen Rings für das Rheingold einst achtzehn muskulöse Bayreuther Turner engagiert und sie auf echte Ambosse einschlagen lassen – man wünscht sich, auch die Deutsche Oper hätte die Mittel und den Platz im Orchestergraben so etwas zu realisieren. Neben den Koffern, die als Leitmotiv immer wieder auftauchen, steht ein Flügel stets präsent mitten auf der Bühne. Er ist zudem auch ein Portal, durch das die einzelnen Figuren verschwinden und wieder auftauchen. Man verfällt schnell dem Interpretieren. Stefan Herheim lässt in einem Vorgespräch hierzu wissen: der Flügel sei ,,ein musikalisch-optisches Tor zur Phantasie und bleibt dennoch ein alltägliches Vehikel der im Moment zu schaffenden Kunst.‘‘ Es bleibt jedem selber überlassen, die passende Interpretation zu finden.

Doch die eindrückliche Umsetzung der Riesen ist nicht die einzige inszenatorische Idee, die zu loben ist. Nein, das gesamte Bühnenbild ist schlichtweg gelungen. Hier hat Stefan Herheim zusammen mit Silke Bauer kreativen Geist bewiesen und durch geschickten Einsatz von riesigen Tuchbahnen immer wieder glanzvolle Übergange und Stimmungen realisiert. Durch entsprechende Projektionen und Verwerfungen des Tuches gelingt es so mit sehr spartanischen Mitteln eine große Wirkung zu erzeugen und den Traum Wagners vom ,,unsichtbaren Theater‘‘ wenigstens in Teilen zu realisieren. Umso ärgerlicher, dass sich just bei der letzten Szene, beim Einzug der Götter nach Walhalla wohl die entsprechende Bühnenautomatik nicht hat auslösen lassen und die Götter ihren Abgang statt die Tuchbahn hinauf nur an selbiger vorbei und von der Bühne ab machen mussten. So wird dem Zuschauer jener goldene Abschluss ein wenig genommen. Ein Umstand, der in Gesamtschau der Inszenierung aber fast überhaupt nicht auffällt. 

Besonders in Erinnerung bleibt aber das Ende der dritten Szene. Loge und Wotan fordern Alberich auf sich mittels des Tarnhelms zuerst in einen Drachen, danach in eine Kröte zu verwandeln um Alberich dann gefangen nehmen zu können. Auch hier ist der Opernkenner jedes Mal gespannt, wie diese Verwandlung umgesetzt wird. In der Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf in der Deutschen Oper am Rhein aus dem Jahre 2017 war etwa eine riesige Pranke von der Bühnendecke heruntergefahren worden. Voller Erwartung auf große Gesten wurde das Berliner Publikum von Herheim nun überrascht. Auf die Zeile ,,Riesen-Wurm winde sich ringelnd‘‘ reißt Alberich in bester Exhibitionisten-Manier zu Wotan und Loge gewandt seinen Mantel auf und präsentiert offenbar sein freies Geschlecht. Wer nicht hier schon schmunzeln muss, lacht spätestens bei Loges ,,Schreckliche Schlange, verschlinge mich nicht‘‘ laut auf. Herheim ist also – wie der große Meister selber – ein Revolutionär, denn dass bei Wagner gelacht wird, ist (leider) selten.

Kurzum: dieses Rheingold überzeugt ganz besonders, weil es Stefan Herheim gelingt dem Publikum den scheinbar schweren Stoff bekömmlich zu machen, ganz ohne an Bedeutung und Tiefgründigkeit zu verlieren. Dabei schafft Herheim es mit einer gewissen Ironie selbst den konservativsten Wagnerianer zum Schmunzeln zu bringen. Insbesondere das Bühnenbild ist wirkungsvoll. Kombiniert mit der vortrefflichen Leistung der Sängerinnen und Sänger sowie der des Orchesters entsteht hier etwas Großes und man freut sich schon jetzt auf den zweiten Teil der Ring-Tetralogie, der im Herbst zur Wiederaufführung kommen wird.

 

Weitere Aufführungen der Oper ,,Das Rheingold‘‘ am 25.06. und 27.06.2021 in der Deutschen Oper Berlin. Karten sind noch zu haben, teilweise mit großzügigen Rabattierungen für Studierende.