Die Boycott-, Divestment- und Sanctions-Bewegung will vermeintlich palästinensisches Leben im nahen Osten schützen. Doch ihr Einsatz für die Rechte von Palästinenser*innen richtet sich ausschließlich gegen Israel und geht so weit, die Existenz des Staates zu delegitimieren.

Ständig kommt bei allen möglichen Veranstaltungen – von Musik- oder Kunstveranstaltung über Literaturwettbewerb bis zur Podiumsdiskussion und Demonstration – das Thema BDS zur Sprache. Vor allem im akademischen, universitären, linken und antiimperialistischen Kontext gibt es zahlreiche, auch prominente Unterstützer*innen der sogenannten Boycott-, Divestment- und Sanctions-Bewegung. Dazu zählen zum Beispiel Angela Davis, Judith Butler, Achille Mbembe oder auch Roger Waters und Kate Tempest. Ihre offene Unterstützung der BDS steht häufig in der Kritik: Museen und Konzerthäuser müssen sich mit der Frage auseinandersetzen, ob sie BDS-Unterstützer*innen eine Plattform bieten wollen. Doch was genau ist eigentlich das Problem mit der BDS-Bewegung?

BDS ist keine feste Organisation, sondern ein loser Zusammenschluss von Akteuren, die eine gemeinsame Agenda verfolgen. Auf ihrer Webseite behaupten sie, sich gegen jede Form des Rassismus sowie Antisemitismus einzusetzen, sprechen jedoch gleichzeitig Israel das Existenzrecht ab. Sie rufen zum Boykott israelischer Waren auf – also die „Kauf nicht bei Juden“-Version des 21. Jahrhunderts. Darüber hinaus werden auch Auftritte und Werke israelischer Wissenschaftler*innen und Künstler*innen boykottiert und aktiv gestört, um dadurch Druck auf die israelische Regierung auszuüben. Ihre Forderung lautet „Free Palestine“, also die „Besatzung und Kolonisierung allen arabischen Landes“ zu beenden und die palästinensischen Geflüchteten, welche im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1947 bis 1949 vertrieben wurden, auf israelisches Staatsgebiet zurückkehren zu lassen. Um welches Gebiet es dabei genau geht, bleibt schwammig, doch die Parole „from the river to the sea“ lässt die Antwort bei einem Blick auf die Karte bereits erahnen – die Existenz Israels scheint ein Dorn im Auge der BDS zu sein. Allein die Rückkehr der Geflüchteten hätte zwangsläufig die Abschaffung Israels als jüdischen Staat zufolge – denn der Geflüchtetenstatus der Palästinenser*innen wird weitervererbt, das heißt die Zahl ist mittlerweile von 750.000 auf 5 Millionen angestiegen. Würde Israel mit seinen 8 Millionen Einwohner*innen noch weitere 5 Millionen Palästinenser*innen aufnehmen, wäre es de facto kein jüdischer Staat mehr. Dieser Status ist jedoch allein vor dem historischen Hintergrund unabdingbar, da Israel der einzige Ort weltweit ist, wo Jüd*innen diskriminierungsfrei leben können.

Der Vergleich von Israels Politik mit der Apartheid hinkt

Doch möchte die BDS-Bewegung nicht lediglich palästinensisches Leben und palästinensische Rechte schützen? Sind ihre Forderungen daher nicht legitim? Die BDS-Bewegung bezeichnet Israel als einen Apartheidsstaat und zieht damit Analogien zum Kampf der Südafrikaner*innen gegen die Apartheid. Dieser Vergleich hinkt, da Israel keine diskriminierende Staatsangehörigkeitsregelung hat, wie es in Südafrika der Fall war. So hat die arabischstämmige Bevölkerungsgruppe, welche 20 Prozent der Bevölkerung Israels ausmacht, die gleichen Rechte. Darüber hinaus ist Israel im Gegensatz zum autoritären, rassistischen südafrikanischen Regime die einzige Demokratie in der Region.

Einige Teile der BDS vergleichen die israelische Palästina-Politik gar mit der Shoah, was das Leid der Opfer des Holocaust relativiert. Denn weder in Israel noch in den palästinensischen Gebieten findet ein Genozid oder nur annähernd Vergleichbares statt. Nichtsdestotrotz begreifen BDS-Aktivist*innen Israel als den Inbegriff des Bösen und legen Doppelstandards bei der Bewertung israelischer Politik an: Während es aktuell über 20 bewaffnete Konflikte weltweit gibt, wird Israel als alleiniger, den Weltfrieden bedrohender Aggressor porträtiert, dessen Existenz demzufolge delegitimiert wird. Ansonsten wird keinem anderen Staat seine Existenz abgesprochen.

Antisemitismus ist nicht einfach eine Unterform von Rassismus

Darüber hinaus blockiert die BDS-Bewegung israelisch-palästinensische Friedensgespräche, während sie Israel die alleinige Schuld für das Scheitern dieser gibt. Die Rolle der Terrororganisation Hamas wird dabei ausgeblendet. Und teilweise verharmlost die BDS-Bewegung, die sich als gewaltfrei bezeichnet, gar Anschläge auf israelische Zivilist*innen, indem sie sich weder von der Hamas noch von der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine) distanzieren, die beide als militante Terrororganisationen gelten. So nahm beispielsweise BDS Berlin an einer Veranstaltung zum Gründungstag der PFLP teil. Aber auch postkoloniale, BDS unterstützende Theoretiker*innen, wie Achille Mbembe, Edward Said oder Gayatri Spivak zeigen Verständnis für Selbstmordanschläge. Spivak definiert Israel gar als „Kolonialstaat“, sieht „in Palästina“ nur „territorialen Imperialismus und Staatsterrorismus alter Prägung“ am Werk und bezeichnet Selbstmordattentate als emanzipatorisch, da sie vermeintlich „Normalität kollektiv verändern“ wollen. Viele postkoloniale Theoretiker*innen teilen die Welt binär in Unterdrücker und Unterdrückte ein und begreifen dabei Israel als weißen, kolonialen Unterdrücker von Palästina, den es zu bekämpfen gilt. Dabei wird sowohl die jahrhundertelange Verfolgung von jüdischen Menschen sowie die Einzigartigkeit des Antisemitismus verkannt, welcher eben nicht als eine Unterform des Rassismus verstanden werden darf und im Widerspruch zur binären Weltaufteilung der postkolonialen Theorie steht.

Außerdem fordert BDS, Mauern und Zäune zu den palästinensischen Gebieten abzureißen und verkennt dabei, dass diese zum Schutz der Menschen in Israel vor Terroranschlägen und als Konsequenz der Intifada errichtet wurden. Als Intifada werden zwei palästinensische Aufstände gegen Israel in den 90er und 00er Jahren bezeichnet, bei denen mehrere Tausend Menschen ihr Leben verloren. Übrigens kritisiert BDS lediglich den Flüchtlingsstatus palästinensischer Geflüchteter in Israel und erwähnt mit keinem Wort, dass in den umliegenden Staaten seit 70 Jahren palästinensische Geflüchtete in menschenunwürdigen Zuständen ohne Rechte und Staatsbürgerschaft leben. Es entsteht der Eindruck, dass die palästinensischen Geflüchteten für BDS nur von Interesse sind, wenn sie gegen Israel instrumentalisiert werden können.

Genau diese Doppelstandards, Delegitimierung und Dämonisierung, das sogenannte 3D-Modell Israels, stößt sauer auf, wenn man sich die Forderungen der BDS genauer anschaut. Denn es bleibt nicht nur beim Boykott von Produkten – Jüdinnen und Juden, ganz gleich, ob sie die israelische Regierung von Benjamin Netanjahu unterstützen oder ob sie die israelische Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht, werden für jeden politischen Schritt Israels verantwortlich gemacht. Dabei kommt es auch zu verbalen und körperlichen Angriffen, wie die Störung einer Holocaust-Gedenkveranstaltung durch BDS-Aktivist*innen und Angriffe auf jüdische Einzelpersonen zeigen. Paradoxerweise erhebt sich die BDS-Bewegung gleichzeitig zur Verfechterin der Meinungsfreiheit und einer offenen Diskussionskultur – das jedoch ohne israelische Stimmen. Indem sie alle jüdischen Menschen in Sippenhaft nimmt, perpetuiert die BDS das antisemitische Bild eines jüdischen, mächtigen Kollektivs, welches es auszugrenzen gilt. Die BDS entpuppt sich somit als Teil des Nahostkonflikts, da sie Lösungen und Dialogprojekte blockiert und die Fronten verschärft, anstatt auf einen friedlichen Ausweg hinzuarbeiten.


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