Das Kleine Theater in Friedenau inszeniert das auf Robert Musils Erzählung basierende Stück „Törless“, inszeniert von Boris von Poser. Insbesondere die feinen Details tragen dazu bei, dass das Stück auf verschiedenen hermeneutischen Ebenen seine volle Wirkung entfalten kann.

Jugendliche Selbstfindung, unverstandene und doch begehrte Macht sowie erste sexuelle
Empfindungen – die Verwirrungen des Zöglings Törless sind mannigfaltig. Die gleichnamige
Erzählung von Robert Musil, der 1906 veröffentlicht wurde, thematisiert die Pubertät des jungen Schülers Törless und seiner Freunde an einem österreichischen Internat. Er spiegelt den Geist einer Zeit wider mit ihrem autoritär geprägten Menschenverständnis, aber auch mit dem jugendlichen Verlangen nach Wissen und Sinn.

Die Klassenkameraden Beineberg und Reiting, mit denen Törless eine zwar fragwürdige, aber für ihn dennoch relevante Freundschaft verbindet, stehen dabei in ihrer Rohheit eher im Gegensatz zum durchgeistigten und künstlerischen Törless. Musil entwirft menschliche Charakterstudien die vom brutalen, machtversessenen Reiting über den von indisch-spirituellen Schriften inspirierten Beineberg bis hin zum empfindsamen Törless reichen.

Törleß internalisiert die Macht

Zu Beginn beispielweise wird dem Stück die Bewegungsstudie eines nackten, rennenden Mannes in Form von bewegten Bildern vorausgestellt. Diese stammt von dem Fotografen Eardweard Muybridge, welcher Ende des 19. Jahrhunderts zahlreiche solcher Bewegungsreihen hervorbrachte. Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert und damit die Entstehungszeit des Romans brachte also ein allgemeines Interesse an Menschenstudien hervor und die Bewegungsstudie lädt dazu ein, das folgende Stück in seinem  gesamthistorischen Zusammenhang zu sehen. Dass nämlich sogar Törless, den die Gewaltakte seiner Freunde an Basini eher anwidern, eine unterbewusste Affinität
zur Macht hat, zeigt, wie tief das hierarchisch-autoritäre Denken in den jungen Köpfen wurzelt.

In Deutschland ist es genau diese Denkart, die den Menschen einen „Platz an der Sonne“ verspricht. Das Bühnenbild scheint in seinem Aufbau der Dachkammer eines Instituts nachempfunden zu sein und holt aus der kleinen Bühne viel heraus. Virtuos bewegen sich die Schauspieler Fabian Oehl (Törless), Justus Verdenhalven (Reiting), Anthony Paul (Beineberg) und Marco Litta (Basini) auf, über und zwischen den Pritschen, die im Vordergrund der Bühne an den Schlafsaal der Zöglinge erinnern.

Ein gelungener Theaterabend, der zum Nachdenken anregt

Hinter den von Zeit zu Zeit zum Einsatz kommenden Masken stecken die unentwickelten Persönlichkeiten der Zöglinge. Sie verstecken und vertuschen, insbesondere Törless, der weder sich noch anderen seine Zuneigung zu Basini eingestehen kann. Bei den drei Freunden handelt es sich also keineswegs um eine homogene Gruppe. Törless ist immer außen vor, was auch die häufig synchronen Bewegungen im Schauspiel von Beineberg und Reiting klarmachen. Dass Justus Verdenhalven nicht nur Reiting, sondern bei dem Besuch von Beineberg und Törless auch die Prostituierte Božena verkörpert, lässt die Szene äußerst grotesk wirken, verzieht sie ins Lächerliche und hinterlässt eine Vorahnung auf das Kommende.

Die Jungen erwischen ihren Mitschüler Basini beim Diebstahl. Nun können sie ihn zu allerlei Experimenten missbrauchen, denn um nicht verraten zu werden, unterwirft sich Basini. Reiting und Beineberg vergreifen und üben sich an ihm mit ihren Experimenten. Schließlich, nachdem das Geschehene bekannt wird, muss Törless zu seinen Motivationen aussagen und versucht sich vor den Lehrern zu erklären. Mit der Schlussszene erfolgt noch ein grandios satirischer Seitenhieb auf das Bildungssystem. Die Pädagogen tappen, hier wortwörtlich mit Taschenlampen, völlig im Dunkeln. Ihr völliges Missverständnis für den jungen Törless hätte wohl nicht besser verbildlicht werden können.

Die Auswahl von Szenen und Textpassagen, das Bühnenbild, die Kostüme, Licht, Musik und
Schauspiel sind völlig harmonisch und besonders die textnahe, bodenständige Art der Inszenierung legt den Fokus auf das Wesentliche: den Inhalt. Ein gelungener Theaterabend, der zum Nachdenken anregt.

Törless: Nach der Erzählung von Robert Musil
Buch und Regie: Boris von Poser
Ausstattung: Stefan Bleidorn
Mit: Justus Verdenhalven, Fabian Oehl, Marco Litta, Anthony Paul

 

(Fotos: Kleines Theater)