Ob im Feuilleton oder in sozialen Medien – Home-Workouts sind gerade überall. Während die einen sich über mehr Zeit für Sport freuen und jede Challenge annehmen, wähnen die anderen die plötzliche Flut an Heimsportler*innen im Zwang der Selbstoptimierung. Auch die Humboldt Universität (HU) hat ein kleines Sportangebot für das Training zu Hause zusammengestellt. Dabei muss es nicht immer um Selbstoptimierung gehen: Ein Erlebnisbericht.

Als ich in das Zoom-Meeting eintrete, bin ich erleichtert. Niemand hat die eigene Kamera an. Schon Stunden vorher habe ich überlegt, ob ich meine Kamera ein- oder ausschalten soll. Meine Sozialphobie kickt auch in Corona-Zeiten ordentlich rein. Es ist Mittwoch, 18 Uhr. Ich habe mich selbst dazu durchgerungen, mal wieder einen Uni-Sportkurs auszuprobieren. Diesmal soll es das Bootcamp sein, ein hartes Fitness-Training in Intervallen, quasi ein modernes Zirkeltraining. 

Ich habe schon mehrfach versucht, einen Kurs beim Hochschulsport durchzuziehen, bin aber immer wieder gescheitert. Manchmal sogar schon vor dem ersten Mal. Zu weit schien der Weg zur Halle, zu anstrengend das Training und dann fühlte ich mich plötzlich auch noch so kränklich! Aber vor allem wurden immer wieder die gleichen schlechten Erinnerungen geweckt. Szenen des Versagens beim Kinderturnen, nicht geschaffte Bocksprünge im Schulsport, schamvolles Umziehen in Umkleideecken: Sport in Gesellschaft war für mich schon immer eine Qual. Heute bin ich zwar wesentlich fitter als damals, aber kaum weniger unsicher. 

Alleine bin ich damit scheinbar nicht. Die Bootcamp-Trainerin steht mit einem Zettel in der Hand in einem großen Raum und fühlt sich sichtlich unwohl. Sie referiert darüber, wie der Kurs aufgebaut ist. Ich empfinde Mitleid, so schüchtern wie sie da schlecht ausgeleuchtet in ihrer eigenen Wohnung steht. Bevor es losgeht erklärt die Trainerin noch, dass wir gut auf uns selbst aufpassen müssen: „Das wird ein wirklich hartes Training. Wenn es euch nicht gut geht, bleibt bitte stehen.“ Eigentlich halte ich mich für ziemlich fit und es macht mir Spaß an meine Grenzen zu gehen. Aber heute fühle ich mich gar nicht gut. Es ist schwül, ich bin gestresst und sehe schon vor dem Training Sterne. Das kann ja was werden. 

Die Trainerin stellt die Musik an. Eine Mischung aus House und sowas wie Reggaeton schallt mir entgegen. Es geht los mit dem Warm-Up. Gehen, laufen, Schultern kreisen, so weit so easy. Im Chat fragt jemand, wie man die Ellbogen aufwärmen könne. Die Trainerin fängt an, die Hände ineinander zu legen und irgendeinen Arm auf irgendeine spezielle Art ein- und auszudrehen. Ich kann nichts erkennen. Sie steht vor ihrem eigenen riesigen Schatten und die Musikboxen, die scheinbar direkt an der Kamera stehen, übertönen jegliche Erklärungen. Jetzt passiert auch noch das, was ich von Anfang an befürchtet habe: Meine Internetverbindung ist instabil, Video und Ton fangen an zu stocken. Ich fluche laut. 

Bevor es ans Eingemachte, also die Intervalle, geht, gibt es noch eine Runde Krafttraining für die Beine. Langsam fange ich an zu schwitzen, ich habe jetzt schon keine Ahnung, wie ich noch 45 Minuten durchstehen soll. Dann geht es los: 7 Übungen à 45 Sekunden, dazwischen jeweils 15 Sekunden Pause. Die Erklärung dazu, wie viele Runden es davon geben wird, habe ich leider verpasst, da ich mich eine Minute zu spät ins Zoom-Meeting eingeschaltet habe. Squatjumps, Lunges, Mountain Climber, Push-Ups, Planks – alle Fitness-Klassiker sind dabei. Die Auswahl der Übungen gefällt mir und die Trainerin zeigt immer wieder verschiedene Ausführungslevel. 

Nach der zweiten Runde sinkt meine sowieso schon geringe Motivation weiter in den Minusbereich. Es will einfach kein Spaß aufkommen, obwohl die Trainerin wirklich sympathisch und bemüht ist. Die Distanz ist einfach zu groß, die Musik zu laut, ihre Stimme zu leise, das Video ruckelt und mein Kreislauf ebenfalls. Ich fluche immer lauter und frage mich, wie viele Runden ich noch durchhalten muss. Hätte ich keine Erfahrung mit Fitness-Training – ich wäre nicht nur völlig verloren, sondern würde jetzt wahrscheinlich schwer atmend und schweißnass auf meiner Matte liegen. Aber das lässt mein Stolz leider nicht zu. Halbherzig quäle ich mich also durch die insgesamt vier Runden, schwer atmend und schweißnass. 

Zum Ende gibt es noch ein kurzes Bauch- und Rückentraining. Sit-ups, Russian Twist, Side Planks. Mein Bauch brennt. Dann ist es endlich vorbei. Ein kurzes Stretching beendet das Bootcamp. Rund 700 Kalorien habe ich verbrannt, sagt die Trainerin. Und, dass man als Frau einen Kalorienbedarf von ca. 2000 Kalorien pro Tag habe. Aha. Die Teilnehmer*innen bedanken sich noch via Chat als die Trainerin das Meeting mit einem Lächeln im Gesicht abrupt beendet. Scheinbar ist auch sie froh, es hinter sich zu haben. Den in der Kursbeschreibung versprochenen Serotoninkick spüre ich nicht. Aber ich freue mich, dass ich das Training trotz widriger Umstände geschafft habe. Und ich sehe umso klarer die Chance, die sich für mich auftut: Einen Hochschulsport trotz oder vielleicht gerade wegen Social Distancing einmal ganz durchzuziehen.